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Johanna Fichte to Johann Gottlieb Fichte

Zürich d: 10: Aprill 1793:
Theurste Seele!
Ich schreibe Dir schon wieder, da ich erst lezten Poosttag geschrieben, ich kann aber nicht anderst; Liebe, und Furcht treiben mich, Furcht weil ich hiesiger Poost, oder vielmehr, weil ich fürchte der Brief könne verlohren gehn, und Du Bester dann nicht wüßtest was denken, und Liebe, weil ich unaufhörlich mit meinem Ficht schwazen möchte, unaufhörlich nur Ihn denke, nur für Ihn empfinde, meinen Vatter ausgenommen, nur Ihn Liebe: Ach, unaufhörlichs schriftlichs Geschwäz, wenn wirst Du in die süßere mündliche Sprache übergehn? wenn werd ich meinen Ficht sehn? wenn Ihn an mein Herz drüken? und für Freude sprachloß, an seine Brust sinken: auf Juni hoff ich nun immer, laß es doch Du Bester nicht Juillet werden, laß mich in meiner süßen Hoffnung nicht getäuscht werden, daß Du im Juni kommest; Seinen Geliebten in solcher Entfernung zu wißen, so lange von Ihm getrennt leben; in solcher Furcht zu schweben, daß Ihm den Theuren ein Unglük begegne welches man nicht mit Ihm theilen könne; diese Qualen aller Art, sind so drükend, daß wenn ich einen Feind hätte, ich sie dem ärgsten Feind nicht wünschen möchte; ich kann während diesen 3: unglüklichen Jahren, gewis aus Erfahrung reden. Nun Gottlob diese Zeit der Torthur ist nun bald überstanden, mein Theurster verkürzet diese unglükliche Zeit, so viel nur immer möglich, und an der Seite des Besten Manns, empfange ich mehr als doppelten Ersaz.
Vorigen Poosttag allso Geliebter! schikte ich 3: Briefe unter einem Couvert an Dich addressiert, und Prof: Palmer empfohlen ab: einen an Dich, einen an Klopstock, und einen an Burgemeister Krone in Lübek; sollte das Unglük wollen, und Du hättest diese Briefe [/] nicht empfangen, so schreib mirs doch gleich, und ich schike sie Dir auf Hamburg addressiert nach; mit Gottes hilfe wirst Du sie doch dort bekommen. Ich kanns nicht läugnen daß ich sehr wünschte es möchte Dir in Hamburg oder Lübeck gefallen, und daß Du an beyden Orten izt bey der Durchreise predigen möchtest; der Gedanke Freunde und Verwandte zu finden, thut doch wohl. Doch nein, auch hierüber will ich nichts wünschen; wo die Vorsehung uns einmahl hinbestimmt, wo es meinem Ficht gefällt, da gefällts gewis auch mir; wozu hab ich Freunde, wozu Verwandte nöthig! mein Ficht ersezt mir das alles, und weit mehr als das: ja das kann ich mit fester Überzeugung sagen; ich weiß es schon von meinem Vater nach, wie ausschließend ich mich an eine Seele die ich Liebe, über alles Liebe und schäze, anschließen kann; wie alle andren Menschen, nur dadurch einen Werth bey mir erhalten, in so fern sie eine Beziehung auf den Gegenstand meiner Liebe haben; so giengs mir mit meinem guten Vater, mit meinem theuren Ficht wirds mir in einem höheren Grad so gehn, das fühle ich: ich weiß wie ich nur so einzig und allein, meine Freuden, meine Erholungen, meine Ruhe, im Häußlichen Glük suche, und sie nur da finde; allso bin ich bey meinem Ficht, in jedem Ort in der Welt glüklich; andre Menschen können mir nichts geben, allso auch nichts nehmen; wollen gute, rechtschaffne Seelen mir ihre Freundschaft schenken, so werde ich sie gewis mit dankbahrem Herzen erwiedern, wollen sies nicht, nun so kann ich sie entbehren; ich habe ein Herz, voll warmen Gefühlen, gegen meine Mitmenschen, es kann sich aber auch, in sich selber verschliessen; gegen seinen theuren Geliebten ist es ganz offen, ganz nur für Ihn, nur voll von Ihm.
Es thät mir doch weh, wenn ich erführ Du hättest meine Briefe nicht bekommen, und ein andrer Sterblicher hätte mein liebendes Geschwäz an Dich gelesen: auch diese Besorgniß wird ja ein Ende nehmen, wenn ich meinen theuren Engel habe, da kann ich Ihm tausendmahl mehr mündlich sagen; da kann ich Ihm zeigen, wie ich Ihm Liebe, wie ich nur für Ihn zu Leben wünsche, [/] wie ich in Ihm, und durch Ihn nur glüklich sein kann; wie mein Herz sich an [das] Seinige anschließt, und nur eine Seele mit Ihm ist: O Zeit des Glüks, des Frieden’s, der reinsten, der vollkommensten Freude, der wahren Glükselligkeit, eile eile mit schnellen Schritten heran.
Ich wünschte sehr, daß unsre erste Zusammenkunft ohne augenzeugen wäre, damit ich mich ganz meiner Freude, meiner Wehmuth, des innigen Danks gegen meinen Schöpfer, für das unbeschreiblich große Geschenk, welches ich in Dich erhalte, überlaßen könnte; oder was wünschest Du mein Bester? Ists Dir nicht auch so? und wenn Dir auch so ist, wie wollen’s wir anstellen, daß unser Verlangen erfüllt werde? Ich kann hierüber wenig rathen, ich weiß nicht durch welche Gelegenheit, nicht mit wem, nicht von welcher Seite Du kommst, Engel! nun das läßt sich beßer bestimmen, wenn Du mir darüber schreibst; wir wollen uns hüten, einander nicht zu verfehlen, denn das würde mich sehr betrüben, und Dich gewis auch. Nun bist Du in Leipzig, nicht wahr? und von da gehts auf Hamburg und Lübek, und dann auf Zürich, diese route ist freylich ein Umweg, aber vielleicht machst Du diesen Umweg gern; mir thuts freylich unaussprechlich weh, Dich vielleicht um deßentwillen länger zu mißen; Du versprachst mir aber gleich anfangs auf Juni oder Juillet, und wegen dieses Umwegs willen, muß ich aber nicht länger warten, nicht wahr Engel? Nein laß mich nicht länger warten, ich bitte Dich, um alles was Dir in der Welt teuer sein kann; diese Zeit ist schon viel viel zu lange.
Mein guter Vater befindet sich nicht wohl, ich hoffe mit Gottes hilfe es sey ein Übergang: muß ich ihn einst verliehren, so kann mir ihn Niemand als mein Ficht ersezen; ja Er allein kann es; dem gütigen Gott sey ewig Dank gesagt, für [das] theure Geschenk, für die große Wohlthat welche ich in Deinem Besiz empfange; Worte sind zu schwach, meinen innigsten Dank zu beschreiben, zu schwach meine Liebe gegen Dich zu schildern. [/]
Wenn Du nun beyde Briefe an einem Poosttag erhälst, welches zufälliger Weise leicht möglich sein kann, so hast Du eine ganze Epistel von mir; erhälst Du aber nur diesen, ja denn hast Du keine Antwort auf Deinen lieben Brief, und die muß ich Dir denn auch auf Hambourg nachschiken; das wäre wirklich sehr verdrießlich; ich will immer das Beßere hoffen; Hoffnung allein, hat mich bis izt erhalten.
Vieles, vieles möcht ich noch schwazen, aber wegen Mangel Zeit mus ich aufhören, denn dieser Brief muß heute vort; allso sag ich nur, was ich schon tausendmahl gesagt habe, und nie genung sagen kann, daß Dich von ganzer Seele liebt Dein Hannchen.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 10. April 1793
  • Sender: Johanna Fichte ·
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Leipzig · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 394‒396.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 69
Language
  • German

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