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Johanna Fichte to Johann Gottlieb Fichte

Zürich d: 1 [: May 1793:]
Auserwählte Seele!
O, Du Theurster Engel! ich fliege wieder [zu meinem P]apier, kann ich ja noch nicht in Deine Arme fliegen, an d[en Ort] meiner Bestimmung; und dieses arme Papier kann nicht den hunderstens Theil meiner Empfindungen auffaßen, die meine Seele durchströmen, und sie gleichsam zu vers[chlin]gen drohen: mir ists oft ich könne es nicht mehr aushalten, meine Seele, wird von dem Verlangen Dich zu besizen zerrißen, und mein Körper leidet sehr, von den Stürmen meines Herzens; ich möchte Dir so gerne eine starke, gesunde Geliebte geben, weil ich weiß, wie sehr ein kränkelnder Körper, meinem Ficht zu leiden gebe; aber da ist es hohe Zeit Theurste Seele, daß Du mich aus diesem Zustand der Angst, und Quall reißest; denn ich habe während diesen 3: unglüklichen Jahren zu viel gelitten, als daß der Körper es nicht sehr empfunden hätte. Ich hoffe mit Gottes hilfe, es sey ein Brief von Dir unterwegs, ein Brief der mir meldet, Du gehest nicht auf Hamburg, und Lübeck, sondern seyest bald in meine Arme: das gebe der gütige Gott!
Dies ist der 4te Brief den ich auf Leipzig schike; er wird Dich, nach allem was ich ungefehr berechnen kann, dort treffen, und von Leipzig kommst Du ja zu mir, nicht wahr? Du Theurer, Theurer Auserwählter, Ich habe im Sinn, Dir in einer chaise allein entgegen zu fahren; an dem Ort wo Du mir sagst daß ich Dich treffen werde, melde mir Engel doch den Tag, den glüklichsten aller Tage recht, wo ich mich in Deine theuren Arme schlinge, in Dein Herz hinsinke, und vor Freude, Wehmuth, und Dank vergehe; wie könntens wir machen, daß wir uns ganz allein träffen, und keinen Zeugen hätten? Sag mir Geliebter, wie könnten wir das machen? Ich denke wenn Du Dich eine Weile vorher, von Deiner Reisegesellschaft trentest, und mir noch [/] [genau den Ort] meldest, wo ich Dich erwarten kann, und […]n einsamen Zimmer, auf Dich harrende; ich denke Du [kommst von der] Schaffhauser Seite, und allso über Winterthur, da würd ich Dir bis dort hin entgegen kommen; ich kämme gerne, ach gerne weiter Dir entgegen, aber länger darf ich meinen guten alten Vatter nicht allein laßen, als höchstens einen Tag denn er ist viel älter geworden, und wenn Ihm etwas begegnete, während meiner Abwesenheit, so müßte ich mir tausend Vorwürfe machen. Du denkst gewis auch so Theurster?
Es ist äußert Winterthur, gegen der Seite von welcher Du kommst ein Dorf welches Oberwinterthur heißt, dort in dem Ländlichen Wirthshaus würd ich Dich Engel am liebsten erwarten, weil ich glaube man läßt uns eher allein in diesem ländlichen Wirthshaus, als im Wirthshaus in Winterthur, weil die Städler immer neugierig sind; ihre Neugier und Zudringlichkeit, ist mir nun ganz besonders lästig: wegen heimfahren wäre nun schon gesorgt, denn ich nehme mit Absicht nur eine 2: pläzige chaise, damit sich unter keinem Vorwand, eine Seele zu uns hinneinschleichen könne, und wir in unsrer herzlichsten, innigsten Vertraulichkeit, in der Entzükung unsrer Seelen, in dem Zerfließen von Wonne, und Glükselligkeit nicht gestöhrt werden. O, Du Engel! wie wird mir! wenn ich mich nur einen Augenblik, diese süßen Empfindungen denke. Alle Jahre wollen wir diesen festlichen Tag, da wir uns nach so vielen Prüfungen, so vieler Angst und Quall, zum ersten mahl wieder umarmten, feyern; es bleibe uns unser ganzes Leben durch, ein festlicher Tag, ein Tag des Danks, der innigen Anbethung. [/]
Mein Herz ist voll von Empfindungen, ach so voll, daß ich nichts zu Worten bringen, nichts diesem Papier an vertrauen kann; ich kann nichts mehr als wehmuthsvoll seufzen, nach meinem Theuren, ewig Theuren Ficht seufzen; nicht wa[h]r Engel Du läßt mich nicht mehr seufzen? hielte mich nicht die Pflicht gegen meinen alten Vater zurük, Gott weiß wie weit ich Dir entgegen flöge.
Nun mußt Du meine 3. Briefe haben, und ich hoffe mein Bester geht nicht auf Hamburg, denn das nähme Dir im ganzen immer 3: bis 4: Wochen Weg, und diese 3: Wochen welche ich Dich länger mißen müßte, wären für mich sehr hart, oder wären sie’s Dir nicht auch? Ach stünde es so in meiner Gewalt, die Zeit dieser unglüklichen Trennung zu verkürzen, wie es in der Deinigen steht, O Theurer Engel! in 14: Tage späthen’s wär ich bey Dir.
Ich habe gehört, daß der Meßcatalogus eine zweyte Auflage von Deinem Buch ankündigt, das hatt mich erstaunlich gefreut, wie auch, daß hiesige Gelehrte, welche es gelesen, Dir Gerechtigkeit wiederfahren laßen, und gestehn, Du seyest ein ganzer Mann. Was nun Gelehrte, mit dem Ausdruk, ein ganzer Mann verstehn, weiß mein Theurster am besten. Wie auch, was das für eine Seelenfreude für Deine Geliebte ist, wenn sie sieht daß man ihrem Ficht, nur einige Gerechtigkeit wiederfahren läßt: Welche Selligkeiten schenkt mir der gütige Gott durch Dich, meinen ewig Geliebten. Was ich auch bey diesem Gedanken empfinde, kann ich nicht beschreiben. Überhaupt je tieffer, je inniger ich empfinde, je weniger kann ich mich ausdrüken, denn die Sprache scheint mir viel zu schwach, jeder Ausdruk zu kalt, zu schwach, ich kann meinem armen Herzen auch gar nicht Luft machen, das werd ich durch keine Briefe nie können; an Deinem Herzen ruhend, mich erquikend werd ichs erst können.
Noch einmahl muß ichs wiederholen, Theurste Seele; Eyle, Eyle [/] denn ich muß fürchten, daß wenn ich noch einige Zeit in dieser harrenden, angst und kummer vollen Lage sein muß, ich wirklich gefährlich krank werdn könnte, und Gott weiß wies mir gehn würde; langer verstekter Gram, war oft, wenn er in eine Krankheit ausbrach tödlich; Du Engel bist gewis versichert, daß ich quämpfe so viel ich kann; aber Pflicht ists doch, daß ich sage wies mir geht: ein großer Theil meines Kummers ist auch, daß ich fürchte Du könnest noch krank werden; ja wenn ich einen Augenblik diesen schreklichen Gedanken denke, so überfällt mich Todes Angst, und das entsezlichste Seelen Leiden.
Diesen Brief will ich in Gottes Namen noch auf Leipzig schiken, die Angst Du habest vielleicht meinen lezten vom 17: Aprill, in welchem ich Dich bitte flehe, doch nicht auf Hamburg und Lübeck zu gehn, nicht erhalten, treibt mich, und die unbeschreiblichste Liebe, und Sehnsucht nach Dir, Du Engel, wenn ich in den unglüklichen 3: Jahren noch nicht genung empfunden hatte, was diese Seele zereißende Trennung mir kostet, so empfinds ichs izt, in seiner entsezlichen Stärke, welche mein ganzes Sein zu zertrümmern droht: Laß Dich erflehn diesem Seele und Leib verherendem Elend ein Ende zu machen; und eile, fliege in meine Arme, Du Auserwählter meiner Seele! Lach mich nicht aus, daß ich Dir schon wieder schreibe, die unbeschreiblichste Liebe zu Dir treibt mich unaufhaltsam dazu, und gebietet mit einer Allmacht, der ich nicht wiederstehn kann noch will.
Lebe nun noch einmahl wohl! bis zu dem selligen Augenblik, da ich Dir kein Lebe-wohl, dieses schrekliche Lebewohl nicht mehr sagen muß. Ich drüke Dich mit innigster Wehmuth, an mein vor Liebe zerschmelzendes Herz! Du Theurster, Theurster, Ficht! Ich muß aufhören, denn durch nichts kann ich Dir meine Empfindungen gegen Dir beschreiben. Ich bin Ewig die Deine. Hannchen
Rahn.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 1. Mai 1793
  • Sender: Johanna Fichte
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Leipzig · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 397‒400.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 70
Language
  • German

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