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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Theuerste meiner Seele,
Es gereichte mir zur innersten Erquikung bei meiner Ankunft in Leipzig zwei Deiner Briefe vorzufinden. Zwei sage ich, denn zu meinem innigsten Misvergnügen hat Herr Palmer den ersten zurükgeschikt – aus einer elenden Kleingeisterei vermuthe ich. – Jedes Papiergen, worauf Dein Auge geruht hat, ist mir ein theurer Schaz: überdies sehe ich, daß eben dieser auch besonders wichtig war. – Ich sollte da die Gründe einer Verzögerung erfahren, die mir höchst unangenehm ist, der unser innigsten Vereinigung. Ich weiß diese Gründe nun nicht, u. leide dadurch doppelt. O theure EngelsSeele; sollte denn jezt sich die Sache nicht so machen laßen, wie Du sie vor 2. Jahren machen wolltest – Ich bekenne Dir, daß die Aussicht auf jene Wochen der Gaffer, u. der Frager, u. der guten Rathgeber mir innigst zuwider ist. Doch was quäle ich vielleicht Dein liebes Herz durch meine Klagen! Sicher ist Dir [diese] traurige Nothwendigkeit – das muß sie wohl seyn – so unangenehm als mir. Könntest Du ihr ausweichen – o ich bin es von Deiner Engelsseele überzeugt, daß Du nichts thun würdest, was Deinen nur zu seeligen Liebling betrübt! wenn ich Dir gestehe, daß ich alle Tage für verloren halte, die ich zubringe, ohne ganz Dein zu seyn. Nur der Augenblik, da ich mich Dir ganz hingeben u. sagen werde: ich will nicht mehr mein, ich will Dein seyn, wie ein Sterblicher einer Sterblichen seyn kann – nur er ist’s, auf welchen hin ich mein gegenwärtiges Leben aufspare – um deßen Willen ich den Ueberdruß, das Fade Geschmaklose Langweilige deßelben ertrage – u. um der Tage willen, die ihm folgen werde[n]; da meine Seele nicht mehr verwaiset u einsam ihre SchwesterSeele suchen wird, um in sie überzufließen, u. sie nicht findet, hier sich täuscht, u. hier kalt zurükfährt – um der Tage willen, wo ich nicht mehr, wie jezt nur halb, sondern ganz existiren werden. Und diese seelige Zeit sollte die zweite beßere Hälfte meiner Seele aufhalten, wenn sie es ändern könnte. Nein sie thut es gewiß nicht.
Ohne Zweifel war auch in diesem Briefe das Maas zu dem Porträt, dem nur Deine Anhänglichkeit an das Original seinen <kleinen> Werth geben konnte. Schon längst hätte ich gern Deinen Wunsch, der gewiß aus dem zärtlichsten Herzen kommt, befriediget; aber so lange ich das Maaß nicht habe, kann ich nicht. Werde ich nun überhaupt können, ehe ich nach Zürich komme, da ich nirgends lange zu verweilen denke, auch eben keinen Ort paßire, der sonderlich große Künstler aufzuweisen hätte. In Berlin od. Dresden wäre es recht gut gegangen.
Die Empfehlungsbriefe vermiße ich am wenigsten, da ich schon seit langem den Vorsaz nach Hamburg u. Lübek zu gehen aufgegeben habe. Dein guter Vater wünscht es! Wüste ich recht sicher, daß ihm eine Befriedigung dadurch geschähe, ich ertrüge meine jezige kalte Existenz der Trennung von Dir noch länger, um seine leisesten Winke zu befolgen. Ohne einen Grund aus meinem Herzen hergenommen, auf bloße Speculation der Politik hin bin ich nicht stark genug meinem Herzen seine höchste Beruhigung länger zu versagen. Hamburg u. Lübek sind, ihrer verschrienen Orthodoxie ohngeachtet doch sehr in meinen Plänen, weil das erstre Dich jung gesehen, u. beide unserm würdigen Vater lieb sind. Ich hoffe aber, durch Briefe läßt sich auch, wenigstens etwas thun, u ich werde sogleich nach meiner Ankunft in Zürich schreiben. Sonst hätte ich auch in Sachsen Aussichten; der [/] OberhofPrediger in Dreßden hatte schon durch Briefe angefragt, ob ich mich nicht im Vaterlande geben möchte; u. jezt habe ich durch persönliche Bekanntschaft mir seine nähere Freundschaft zu erwerben gesucht. Doch überhaupt, theure Seele, laß uns keine Pläne machen, überhaupt keine – leite mich die Hand des Weltregierers so wie sie mich bisher geleitet hat, u. wie könnte sie mich anders als wohl leiten, da ein’s seiner vollkommensten Geschöpfe ihr Schiksal an das meinige zu ketten mich würdiget. Warum muste ich als Schriftsteller ein so ganz eignes ausgezeichnetes noch nie erhörtes Glük machen? Andere, die gewiß nicht mit weniger Talent auftraten, wurden unter der großen Fluth begraben, u. musten ein halbes Leben hindurch kämpfen, um nur bemerkt zu werden. Mich hob bei der ersten Erscheinung ein günstiger, unvorzusehender, unzuberechnender Vorfall. Geschah das um meinetwillen, oder war es nicht vielmehr um Deinetwillen, weil nur das mich bestimmen konnte – ja Du Engel ich gesteh es – nur das mich bestimmen konnte, mich auch vor den Augen der Welt Deiner nicht mehr unwerth zu achten, u. Dein zärtliches Herz sich ausschließend an mich gehängt hatte.
Ich kann Dir gar keine bestimmte Addreße geben. Ich weiß noch nicht wann ich aus Leipzig abreise; aber es wird in einigen Tagen geschehen. Ich gehe über Jena, Gotha pp muß in allen diesen Orten ein wenig verweilen, weiß aber nicht, wann ich ankommen oder abgehen werde. Verloren gehen will ich keinen Brief laßen; lieber würde ich keinen haben. Also Frankfurt am Mayn, zum Abholen auf der Post. Mache mich so glüklich, daß ich da nicht leer wi[e]der fortgeschikt werde. Höchstens in 14. Tagen werde ich dort seyn. Ich schreibe Dir vielleicht eher wieder; von da aus aber hoffe ich Dir die Zeit meiner Ankunft bestimmt melden zu können. Ich werde ohne Zweifel über Schaafhausen kommen. Treffen wir uns da? O Aussicht auf die seeligste Stunde meines Lebens begeistre, u. erhalt mich.
Meine Eltern habe ich gesehen, u sie mit Deinem Geiste, u. Herzen bekannt gemacht. Sie seegnen, Du kannst es glauben, die Beseeligterinn ihres Sohns, den Sie lieben, u. deßen Glük sie jezt sicher gegründet glauben. – Grüße unsern theuren von mir innigst verehrten Vater.
Lebe wohl bis keine Trennung mehr ist.
Ganz. der Deinige
Fichte
Metadata Concerning Header
  • Date: Ende April/Anfang Mai 1793
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 402‒404.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 67
Language
  • German

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