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Johanna Fichte to Johann Gottlieb Fichte

Zürich d: 8: Maj 1793:
Theurster meines Herzens!
Ich schreibe Dir gleich mit umgang der Poost, damit Du gewis meinen Brief in Frankfurt findest: Den Brief welchen ich d: 6: Aprill auf Leipzig schikte, und in welchem ich Dir Engel auf alles antwortete, hab ich nicht bekommen, allso hatt ihn Palmer nicht zurük geschikt, denn sonst müßt ich ihn längst haben: Ich möchte Dich doch bitten ihm nachzufragen; das ist mir wirklich ein unausstehlicher Gedanke, daß Jemand meine Briefe an Dich ließt[.] Auch hab ich am 1: Maj einen auf Leipzig für Dich, an Palmer addressirt geschikt, welcher am 9: muß angekommen sein.
Theurste auserwählte Seele! wie viel möcht ich Dir sagen, hab aber keine Zeit, denn dieser Brief muß vort: allso nur eins, Engel! Vor 2: Jahren hatt ich das gleiche arangement wie izt: daß es sich nämmlich nach Zürcher ètiquette nicht schikt, daß wir uns gleich die ersten Tage nach Deiner Ankunft auf immer verbinden; sondern wir müßen einige Wochen warten, ich habe darüber ganz genau nachgefragt, auch darf ich Dich Theurster während dieser unglüklichen Wochen nicht bey mir lojiren, sonst dörfen wir den aller vertrautesten, herzlichsten Umgang mit ein ander haben, aber nicht in einem Hause leben; dies will nun der hiesige Gebrauch; In Gewißens’s Sachen kehre ich mich nach keine Gebräuche, sondern da gebeuth nur Pflicht; aber in Sachen die nur aufopferung verlangen; will mein Ficht sich gern mit mir unterziehn, nicht wahr Engel? Wir wollen Gott mit gerührter Seele danken, daß wir dem glüklichsten Zeitpu[nkt] unsers Leben’s so nahe sind; auch diese aufopferung wird ihre Belohnung mit sich führen; sind einige Wochen nach Deiner glüklichen Ankunft vorbey, während welchen wir einander beständig sehn, und allein sehn dörfen; so soll mein Ficht den Festlichen Tag der uns auch in den Augen der Welt auf ewig vereinigt bestimmen, bestimmen wie diese Festlichen Tage sollen gefeyert werden: und nun theurste Seele! laß uns [/] der selligsten Stunde, des Wiedersehns, des Glüks, der innigsten Vereinigung mit inniger Wonne entgegen sehn; ich danke Gott daß ich nun einmahl diesem Glük entgegen sehn darf; daß Dir kein unglük auf Deinen vielen Reisen begegnet, daß Du gesund bist, daß Du von Deinen Mitmenschen geschäzt, und geliebt wirst: Ach wie viele Ursache zum Dank, gegen unsern gütigen Schöpfer. Theurste Seele! Durch Dich wird mir zu viel geschenkt, als daß ich nicht alles andre entbehren, zu vielem Kräfte bekäme die ich sonst nicht hätte.
Ich kann nun dem Papier nicht mehr meine kleine Herzens-Ergießungen anvertrauen, da ich nicht weiß was aus meinem Brief vom 6: Aprill geworden; ich werde mich zwingen recht droken zu sein, denn auch dieser könnte in unglükliche Hände fallen, drum verschließe ich mich in mich selber; mein Ficht versteht mich aber wohl! und empfindet gleichsam selbst, was ich sagen möchte; und nicht darf.
Du Kömmst Engel über Schaffhausen, kömmst Du auch über Winterthur? so wollt ich bis dort hin Dir entgegen; gerne kämm ich viel weiter Dir entgegen das weißt Du auch, könnt ich gut länger als einen Tag von meinem Vater abwesend sein; denn begegnete ihm, während meiner Abwesenheit was, ich müßte mir mein Lebtag vorwürfe machen: allso bis auf Winterthur, Lieber kämm ich auf Oberwinterthur, welches eine vierthelstunde außert Winterthur, näher gegen Dir ist, dies ist nun ein Dorf, wo wir ungestöhrt von Neugierigen, und indiscreten Menschen sein könnten, welche uns sehr lästig währen; da in Winterthur einige Famillien sind, die mich kennen, so könnte das unglük wollen, daß mich Jemand von Ihnen sähe [/] Sie würden mir ihre Bewirthung anbieten, und die wäre izt sehr lästig, denn ich möchte mit meinem Ficht ganz allein sein, drum nehm ich auch eine chaise mit 2: Pläzen, damit sich niemand unter irgend einem vorwand zu uns einschleiche. Ich bitte Dich Engel! laß mir einige Tage vorher wißen, an welchem Tage ich Dich dort finden werde: eh will ich nicht entgegen fahren, als fürchten müßen Dich zu verfehlen, und Du mich dann suchtest, da wärs beßer, wir sähen uns erst in Zürch, wo Du mich dann gewis findst. Findst mit einem Herzen [das] Dir entgegenschlägt, [das] nur für Dich da ist, [das] ganz Dein ist; doch ich schweige, denn sonst kämm ich bald in mein Lieblings Geschwäz, und das darf ich ja nicht, Dein Herz weiß schon, was sein 2tes Herz ihm zu sagen hatt, und schriftlich darf ichs nun nicht sagen, auch nichts von dem was ich bey dem entzükenden Gedanken des Wiedersehens empfinde.
Lavater vereißt in der Pfingstwoche mit seinem Sohn, und seiner Tochter nach Koppenhagen, um den Kronprinzen, und Bernstorff mit welchen er in Corespondenz ist, zu besuchen, auch Klopstok in Hamburg, die eigentliche Absicht dieser Reise, weiß man nicht recht, viel wird drüber geschwazt. Ich möchte Dich bitten Engel! die paar Wochen, welche wir als verlobte noch vor unsrer Heurath verleben müßen, beym Schwerdt zu lojiren, weil ich weiß daß H: Otten es sehr übel nähmen, wenn Du ein andres Haus wähltest; denn sie haben wirklich viel Freundschaft für meinen Theuren, ewig geliebten Ficht; aber melde Ihnen nicht den Tag Deiner Ankunft, denn sonst fürcht ich, kämm Dir der Sohn entgegen, und das wäre mir nicht wilkommen, einen dritten bey uns zu haben. Ich bitte Dich inständig, melde mir bestimmt [/] wenn ich Dich theurste Seele in Oberwinterthur treffen kann, damit wir einander nicht vergeblich suchen, und denn ein jedes betrübt, und gequällt, allein nach Zürich geht; das wäre hart, und doch fürcht ich, es komme so, weil die Randevous oft unglüklich sind.
Müßt ich meinem Ficht: erst versichern, wie weh es mir thut, daß ich seinem Wunsch nicht entsprechen, ja daß ich ihm nicht zuvorkommen kann, sondern daß wir noch einige Wochen weilen müßen, eh wir uns verheurathen dörfen; wo weilen wir aber mit einander? an einem Orte, wo wir uns täglich sehn, allein sehn, allein mit einander spahzieren, und in der herzlichsten Vertraulichkeit mit einander leben, und einander Lieben, ewig lieben; und uns über die Freuden, der engsten verbindung, mit einander freuen: da Theurste Seele! meine Seele bebt vor Entzüken, wenn es sich diese Freuden nur einen Augenblik denkt: Gnädiger Gott! Laß mich mein ganzes Leben durch, Dir dankbahr sein! Laß mich, laß uns täglich Dir wohlgefälligere Geschöpfe werden. Würdige auch uns Deiner gnädigen Leitung, Deinem gnädigen Erbarmen! und Seegne uns: O: Gott! meine Seele ist aufs innigste gerührt, ich möchte nur immer Lob und Danklieder singen. Unser Vatter grüßt Dich herzlich, Du Engel! meine ganze Seele dankt unsern Theuren Eltern für Ihr gütigs Zutrauen: Gott gebe daß ichs verdienen könne, Gott gebe daß ich meinen Ficht so glüklich machen kann, als meine ganze Seele es wünscht; er gebe daß ich meinen Besten nun bald bald in meine Arme schließe, an mein Ihn ewig liebendes Herz drüke, und mich auf ewig mit Ihm vereinige. Der Seegen des Herrn ruhe auf uns.
Sag mir Engel wohin ich Dir das nächste mahl schreiben kann; ich will nun nichts von dem sagen, was meine ganze Seele für Dich fühlt, in Deinen Armen will ichs Dir dann sagen. Gott! der gnädigste Gott! sey mit Dir, mit Deiner schwester Seele! möchte dies das lezte Lebewohl von Deiner Geliebten sein; nicht wahr? nun nur noch eins, und dann ewig keins mehr; unauflößlich die Deinige Hannchen
Rahn
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 8. Mai 1793
  • Sender: Johanna Fichte
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Frankfurt am Main · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 405‒407.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 65
Language
  • German

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