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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Frankfurt, d. 4. Juny. 1793.
Theuerste meiner Seele,
Sogleich nach Erhaltung Deines lieben Briefs setze ich mich hin ihn zu beantworten – Dir aus voller Seele meinen Dank abzustatten, daß Du durch denselben mich erquikt hast. In diesem heitern frohmüthigen Tone muste er geschrieben seyn, um mein Herz, das durch Deinen leztern gelitten hatte, völlig zu beruhigen. – Ich reise morgen, oder übermorgen ab, u. werde vielleicht auch nicht einmal in Stuttgard einen Posttag überschlagen. Ich habe die herzlose Existenz auf Reisen völlig satt, u. sehne mich innig mit derjenigen, die allein meine Seele ausfüllen kann, vereinigt zu seyn.
Die Ankunft in Frankfurt war mir in vieler Rüksicht sehr angenehm. Theils dünke ich mich hier schon halb in der Schweiz zu seyn, weil ich von hier aus ganz fremd bin, theils bin ich meines Reisegefährten entledigt, bei dem ich das erwartete Vergnügen nicht fand, u. durch ihn sehr aufgehalten worden bin. An 12. Meilen sind wir 7. Tage gereis’t. Ich hätte ihn längst verlaßen, wenn er mich nicht von der großen Straße abgeschleppt hätte, wo ich mir nicht so helfen konnte. – Innig habe ich da das Glük der Gesundheit empfunden, der gute Mann war hypochondrisch, und schwächlich; hatte ein Heer von Bedürfnißen p. p. Laß uns, Theuerste, diese erste unter allen Erdenglükseeligkeiten sorgfältig bewahren, wie es denn überdies auch Pflicht ist. Du, beste des Glüks würdigste Deines Geschlechts, wirst [/] Dir Dein Leben nicht durch unnütze Sorgen, u. Kummer verbittern; u. ich werde mich hüten, es durch zu vieles Studiren zu thun. Du sollst darüber meine Aufseherinn werden. Meine erprobte mir zuträgliche Lebensweise werde ich Dir aufrichtig mittheilen, u. Du wirst darüber halten, daß ich mir keine Ausnahmen davon erlaube. Schon einigemal hat das Ungeheuer, Hypochondrie mir auf den Füßen gefolgt; einmal in Zürich bei Ott’s, u. dann im vorigen Jahre. Ich habe es beidemale glüklich verjagt, u. weiß nun aus Erfahrung, wovor es flieht. – Keine Langeweile, keine schaale Gesellschaft, keine Beschäftigung, die meinen Geist nicht ausfüllt! Das alles ist mir Gift. Dagegen strenge, mich angreifende Arbeit, u. nach der Arbeit wieder lebhafte Zerstreuung, starke Fußreisen, u. dergl. – Dies hilft sicher. Nichts hat mir auch in dieser Rüksicht mehr genüzt, als meine Schriftstellerei.
Ich werde Dir den Tag meiner Ankunft im voraus melden. In Stuttgard erwarte ich Deinen nächsten Brief, worin ich Dich bitte mir zu schreiben, ob ich über Winterthur, oder Eglisau kommen soll. Ich werde, wenn ich Dich erwarten darf, reitend kommen
Wegen der Gesinnungen des Ottischen Hauses gegen mich! – Du sagst, sie hätten Achtung gegen mich, u. ich möchte es gern glauben, weil ich es wünsche. Ich weiß kaum, wie ich mich verhalten soll. Ich habe den Leuten ihren Unverstand längst verziehen; ob sie aber auch mir meine Entschloßenheit verziehen haben, u. je werden verzeihen können? Man verzeiht ungern, wenn man unrecht hat. Besonders befürchte ich von H. O. die Mine des Protec[/]teurs, u. diese anzusehen würde mir nicht kleiden. Wegen des Logirens? – Kurz, ich muß Dich erst sprechen. Auf jeden Fall schreibe ich wohl noch von Stuttgard aus ein Briefgen an Madame O. das Du übergiebst, wenn Du es für schlechterdings nöthig hältst, daß ich da wohne – widrigenfalls zurükbehältst. – Ueberdies brauche ich auch die paar Wochen über, daß der glüklichste Zeitpunkt meines Lebens aufgeschoben wird, diejenige Zeit, die ich nicht bei Dir zubringe, höchst nothwendig, u. das Schwerdt hat der Zerstreuungen zu viele. Doch, befiehl auch hierüber unumschränkt. Du bist in der Nähe, u. kennst die Lage der Sachen. Ich werde schon sehen, wie ich zurecht komme.
Grüße herzlich, herzlich unsern theuren Vater, u. sage ihm, wie sehr ich mich sehne, auch ihn bald wiederzusehen.
Daß Lavater nach Coppenhagen gereis’t, habe ich in den Zeitungen gesehen. Vielleicht könnte der dort uns einst dienen. Doch! – keine Plane!
Daß Palmer den Brief zurükgeschikt ist wohl sicher. Ob er aber nicht auf einer Post: vielleicht schon auf der Leipziger vernichtet worden? Die ganze Sache ist äußerst verdrießlich. Aber sey darum in Deinen Briefen so offen Du willst. Es soll mir keiner mehr verlohren gehen.
Noch recht viel wollte ich Dir schreiben, und unterdeßen ist die Zeit vorüber, u. der Abgang der Post da. Ungern reis[s]e ich mich auch von diesem leblosen Papiere los, weil es Deine Hände berühren wird.
Leb wohl, meine Theuerste. Ganz der Deine
Fichte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 4. Juni 1793
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Frankfurt am Main · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 412‒413.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 71
Language
  • German

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