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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Stuttgard, d. 9. Jun. 93.
Theuerste Geliebte,
Ich lange in Stuttgard an; ich frage auf der Post nach Briefen an mich; ich finde keine: betrübt gehe ich nach Hause, u. ergreife die Feder, um Dir mein Leid zu klagen.
Auf meinen Brief von Frankfurt aus kann freilich noch keine Antwort da seyn; aber auf den von Gotha aus doch. Jedoch schrieb ich Dir damals, wo ich mich recht errinnere, wohl nur bedingungsweise, daß Du Briefe auf Stuttgard addreßiren könntest. Gewiß ist es, daß Du außer Schuld bist, u. daß es Deinem zärtlichen Herzen unmöglich gewesen wäre, mir diese Befriedigung zu versagen, wenn Du voraus gewust hättest, daß ich heute in Stuttgard seyn würde.
Ich bin Dir jezt um vieles näher, Theuerste, u. wer diese lange Reise von Königsberg aus gemacht hat, den dünken die 24. Meilen, die ich etwa noch bis zu Dir habe, eine wahre Kleinigkeit. Ich dünke mir schon SchweizerLuft zu athmen, u. fühle mich innig wohl bei dem Gedanken, nun aufs längste den Tag bestimmen zu können, da ich wieder mit Dir vereinigt seyn werde, um mich nie wieder von Dir zu trennen, als durch den Tod. – Noch kann ich nicht so geschwind zu Dir fliegen, als ich es wünschte, ohnerachtet in dieser Stunde mein Geist Dich unsichtbar umschwebt, sich zu Dir hindenkt, wie Du Dich vielleicht anschikst, in die Kirche zu gehen – wie vielleicht auch ein Gedanke an mich glüklichen Deine [/] übrigen Gedanken unterbricht – wie Du vielleicht denkst: wo mag er doch jezt seyn – vielleicht ahndest; ich sey nicht mehr weit; vielleicht fragst: werde ich wohl noch Einen Sontag ohne ihn verleben? – Nein, Auserwählte meines Herzens, das sollst Du nicht. Heut über 8. Tage spätstens sehen wir uns.
Der Postwagen nemlich, mit dem ich abgehen kann, geht künftigen Donnerstag. Den Sonnabend also, sey es so spät es wolle, bin ich sicher in Schaffhausen. Laß mich daselbst im Schiffe einen Brief finden, in welchem Du mir sicher bestimmst, wo, u. wann ich Dich Sontags treffen kann. Die Wahl des Orts hängt gänzlich von Dir ab: nur laß es mich wißen. – Das ist das pis aller.
Ich sehe aber nicht ab, wie ich es bis Donnerstag hier aushalten soll. Vielleicht also findet sich ein Mittel eher abzureisen. Zur Zeit weiß ich noch keins; vielleicht erfahre ich eins, ehe dieser Brief noch abgeht. So melde ich es Dir sogleich. Diesen Brief erhältst Du Dienstags Nachmittag, oder Mittwochs früh, u. der Donnerstag könnte daher schon der Tag des frohen Wiedersehns seyn. Nur könnte ich dann keine Antwort von Dir haben. In diesem Falle bitte ich Dich gar keine arrangements zu treffen; ich würde Dir dann vielleicht auf eine andere Art zu wißen thun, wo ich Dich erwartete. Mittwochs geht von hier aus wieder eine Brief Post, die Freitags oder Sonnabends früh in Zürich eintreffen muß. Ist es noch möglich, daß [/] Du mit ihr einen Brief vor meiner eignen Ankunft erhältst, so schreibe ich Dir mit derselben wieder. – Erhältst Du nichts bestimmtes, so bleibt es bei’m Sontage: fehlgehen können wir uns so nicht, aber ach! – die Dauer der Zeit!
Doch mein Herz stärkt der Gedanke an die Stunde des Wiedersehens: laß ihn auch das Deinige stärken; theures, geliebtes Mädgen. – Die Empfindung preßt mein Herz ein; mein Blut stokt, u. wallt heftiger; meine Feder zittert. Ich kann nicht schreiben, was ich fühle; ich werde es eben so wenig ausreden können. Glük, u. Seegen über Dich, Geliebte! das ist alles, was sich meinem vollen Herzen entdrängt.
Hier ist ein Brief an Mdme Ott. Laß ihn abgeben, wenn Du meinst, daß ich da wohnen soll. Ich gestehe, daß es mir selbst anfängt, rathsam zu scheinen[,] auch habe ich schon von Frankfurt aus meinen Coffre dorthin addreßirt. Ich hatte anfangs auf ein Privat=Haus gerechnet; so wie ich mich aber der Verfaßung von Zürich errinnere, scheint mir das für eine kurze Zeit – das wird sie doch seyn, u. doch recht sehr kurz? – auch nicht rathsam.
Leb wohl, ewig geliebte Theure. Ich mag das Papier nicht mit Dingen vollpfropfen, die uns nicht zunächst intereßiren; u. für das, was uns zunächst intereßirt, versagt mir meine Feder den Ausdruk.
Ewig, u. ganz der Deine
Tausend Grüße unserm vielgeliebten Vater!
Fichte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 9. Juni 1793
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Stuttgart · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 414‒416.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 72
Language
  • German

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