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Johann Gottlieb Fichte to Theodor von Schön

Zürich, d. 20. 7br: 1793.
Was mögen Sie von meinem Wort halten denken? bester theuerster Freund. – Seit so einer Ewigkeit nicht geschrieben; ich der ich Ihnen versprach, so bald zu schreiben? Soll ich Ihnen meinen Lebenslauf seit dieser Zeit erzählen, so werden Sie vielleicht Gründe finden, mich, wenn auch nicht zu vertheidigen, doch zu entschuldigen. – Nach meiner Abreise von Königsberg warf ich mich in Danzig gierig über mein Papier her, als ob alles voll geschrieben seyn müste. Bis zu Anfange des Merz kam ich nicht zu Athem, außer so oft ich nothwendig Lebensluft schöpfen muste. Dann reis’te ich nach Berlin, Dresden, Leipzig, Jena, Weimar, Gotha, Erfurt, Frankfurt, durch die Pfalz, das Würtembergische bis Zürich, wo ich erst in der Mitte des Junius ankam. Allenthalben fand ich alte, und neue Freunde, Bekannte, Zerstreuungen, Geschäfte, nothwendige Briefstellerei ohne Ziel, Maaß und Ende. – Ich lange in Zürich an; finde meine Geliebte, kann, um der pedantischen Zürcher Gesetze willen nicht getraut werden. Urtheilen Sie, wie viel Mühe, Gänge, Schreiberei mir dies nur verursacht. Ich gerathe in Umgang mit verschiednen Fremden, denen ich mich nicht ganz entziehen konnte: und überdies – hatte ich für die Michaelis Meße eine Schrift zu liefern. Erst heute sende ich die lezten Bogen ab. – – Jezt werden Sie mir verzeihen; ich weiß es.
Das erste, was Sie fragen werden, weiß ich – was ich denn seitdem geschrieben habe? – Die Schriften sind anonym. Ihre Preußischen Posten sind nicht ganz sicher; ich laße Ihnen also es über, sie zu errathen; mich in ihnen zu erkennen: Ich werde über einen Gegenstand, der mich mit unwiderstehlicher Stärke an sich zieht – über Natur= und Staatsrecht noch manches schreiben; ich werde so lange schreiben, bis ich durch irgend eine Schrift hierüber mich so in Respekt gesezt habe, daß sich Niemand an mich traut; dann werde ich zu Allem mich freimüthig bekennen. – Haec inter nos. [/]
Sie wißen mich in Zürich; man hat auswärts für die Schweiz so günstige Vorurtheile; Sie wißen mich im Umgange einer vortreflichen Geliebten, die in einigen Wochen meine Frau seyn wird; Sie müßen mich für sehr glüklich halten: und ach! ich bin es, den leztern Punkt abgerechnet, der wahres Glük ist, gar nicht. – Zürich ist für mich ein unausstehlicher Ort. Die Natur hat alles gethan, um die Gegend zum Paradiese zu machen; aber die Bewohner dieses Paradieses sind gefallen. So eine fremdfeindseelige Denkungsart, solche ausschließende Gesinnungen, solchen steifen Bauernstolz, solche Unwißenheit mit solchen Ansprüchen vereint, und besonders solche Entfernung von den sanften Grazien des Atticismus giebt es sicher nirgends mehr. Ich mag gern zuweilen lachen, mit Freunden mich freuen: aber die Zürcher Freude sieht steif aus, wie anderwärts die Gravität. – Manches kettet mich an diesen Ort; ich denke es aber doch bald durchzusetzen, ihn verlaßen zu können.
Bei unsrer Abrede uns etwa in einigen Jahren im Mittelpunkte von Deutschland zu sehen, soll es doch bleiben. Ich denke dann wohl irgendwo in Franken, Nieder= oder Ober=Sachsen mein Wesen zu treiben. Vor jezt gehen meine Wünsche, und Aussichten am meisten nach Franken.
Haben Sie in Ihrer Gegend etwas merkwürdiges Neues im Reiche der Litteratur, so schreiben Sie mir es doch. Ich lebe hier so in der Dunkelheit, daß ich gar nichts weiß, was um mich herum vorgeht. Ich vertiefe mich bloß in mich selbst.
Sind Sie seitdem, wie ich glaube, Maurer geworden, so grüße ich Sie auch in [/] dieser Verbindung brüderlich. Schreiben Sie mir in diesem Falle [Ihre] Gesinnungen, u. Beobachtungen darüber; ich würde mich sehr freuen, Jemanden zu haben, wie Sie, mit dem ich darüber frei sprechen könnte. – Ich habe mancherlei Pläne, Verbindungen, Aussichten, Hofnungen hierüber, zu denen ich wohl gut gesinnter Menschen bedarf. – Ich bin es erst in diesem Jahre geworden. Das, damit [Sie] mich nicht etwa für zurükhaltend ansehen.
Ich habe auf einem Briefe, der von Leipzig nach Königsberg gewandert, und von da mir wieder nach Zürich geschikt worden, Ihre Hand zu sehen geglaubt. Ist es so, so danke ich Ihnen herzlich, daß Sie sich deßelben annahmen. Sie wißen demnach auch noch meine Addreße, u. auch dieses gute Gedächtniß in Dingen, die mich betreffen, ist mir ein sehr schmeichelhafter Beweiß Ihrer Freundschaft. Erhalten Sie mir dieselbe, u. seyn Sie versichert, daß ich bis an den lezten Hauch meines Lebens bleibe
Ihr
innigst ergebner Freund
Fichte
Z. im Waaghause
Des
Herrn von Schön
Hochwohlgebohrn.
Zu erfragen bei den Herren
Referendaren Göbel, u. Claustin
am Neuen Markte, in des
Höker Müllers
Hause.
zu Königsberg.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 20. September 1793
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Theodor von Schön
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Königsberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 433‒435.
Manuscript
  • Provider: Staatliches Archivlager Göttingen
Language
  • German

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