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Johann Gottlieb Fichte to Christian Gottlob Voigt

An Voigt.
Unter einem Fürsten, der zuerst der Kritischen Philosophie, der der ich mein Leben gewidmet habe, einen Lehrstuhl widmete, u. auf einer Akademie, die mit Recht für die erste in Teutschland gilt, auf eine so ehrenvolle Art aufgefordert zu werden, meine Laufbahn zu eröfnen, ist ein größeres Glük, als ich je erwartet habe, u. ich dürfte mit den Umständen zürnen, daß [sie] mir nicht erlauben, die Werthachtung deßelben durch seine ganz unbedingte Annahme zu zeigen.
Ich überzeugte mich, sowie ich einige Fortschritte in der Kritischen Philosophie machte, immer mehr, daß sie die Philosophie ihrem erhabnen Ziele, ein festes System zu seyn, zwar sehr nahe, aber doch noch nicht ganz an daßelbe geführt hatte, u. neuere Begebenheiten mußten beitragen, diese Ueberzeugung immer mehr zu befestigen. Die Untersuchung, ob es denn überhaupt möglich sey, jemals etwas sicheres, u. ausgemachtes
So wie ich einige Fortschritte im Selbstdenken machte, überzeugte ich mich immer mehr, daß die Philosophie unter Leitung der Kritik durch die kritischen Bemühungen um sie ihrem erhabnen Ziele, eine sichere Wißenschaft zu bilden, sich sehr genähert, aber es doch noch nicht erreicht habe; u. es war einer der Hauptgegenstände meines fortgesezten Forschens, dem ich meine erlangte Muße widmen wollte, ob man diesen Plan ganz aufgeben müße, oder was zu thun sey, um ihn zu realisiren. Durch einen glüklichen Vorfall habe ich weit früher, als ich es hoffen konnte, den Weg entdekt, der meines Bedünkens dahin führen muste: ich habe ihn versucht, u. ich kann mit höchster Warscheinlichkeit glauben, daß er der richtige ist. Eröfnete sich mir nicht jezt die Bahn zur Thätigkeit andrer Art, so würde ich diesem Plane, der nur in geschäftsloser Muße gut ausgeführt werden kann, einige Jahre meines Lebens ganz u. ausschließend gewidmet haben. Jezt, nachdem ich alles überschlagen habe kann ich berechnen, daß es bis Ostern 1795. völlig ausgeführt seyn wird. –
Die Unterbrechung, u. vielleicht das gänzliche Unterbleiben dieser Arbeit (sey es auch nur ein neuer Versuch) abgerechnet, würde eine andere Unbequemlichkeit daraus entstehen, wenn ich zu Ostern 94. schon das Lehramt antreten sollte. Ein Lehrer der Philosophie muß ein wenigstens für ihn selbst, völlig haltbares System haben. Ich habe gegenwärtig keins, das mich völlig befriedigte. Ich würde den gütigen Erwartungen, die mir jenen ehrenvollen Antrag verschaft haben, nicht entsprechen. [/]
Ist es nun nicht unnachlaßliche Bedingung, daß Reinhold‘s Nachfolger zu Ostern jetziges Jahres sein Lehramt antreten muß, könnte ich bis dahin im künftigen Jahre, durch Ew. Vermittlung vom durchl. Herzoge Urlaub erhalten, so nehme ich den erhaltnen Ruf mit voller Empfindung der Ehre, die mir dadurch bezeigt wird an. –
So ich gleich nicht weiß, ob diese Bedingung eingegangen werden kann, so breite ich doch, ohne Zurükhaltung mich über das übrige aus. –
Hat der Wunsch <des> Herzens mich nicht irre geführt, so entdeke ich in Ew. gütigem Schreiben an mich, sogar einiges persönliches Wohlwollen, das ich auf jeden Fall zu verdienen mich bestreben werde, das ich aber sogleich in einer höchst zarten Sache zu benutzen im Begriffe bin. Mein edler Freund Hrr. Prof. Hufeland that einen Posttag früher auf den vorliegenden Fall eine ganz vorläufige Anfrage an mich; schreibt mir, was er ohngefähr glaube, daß der durchl. Herzog für diese Stelle thun werde, erwähnte des Raths Charakters den Hrr. Prof. Reinhold gehabt, und sezte hinzu: Ob man Ihnen auch den geben werde, weiß ich nicht. Doch vielleicht auch den? Ich sehe die Gnade des Herzogs, mit welcher er mich sogleich bei meinem Antritte mich meinem großen Vorgänger völlig gleich macht, gewiß aus dem rechten Gesichtspunkte; ich sehe den Fürsten, der es einem jungen Manne, von dem man einige Hofnung gefaßt hat, zeigen will, daß er das Verdienst selbst noch im Werden zu schätzen, u. auszuzeichnen wiße; u. ich würde dieses Denkmal der edlen Gesinnung des Herzogs gewiß mit dem Gefühl seines Werthes kränzen. Aber ich habe mich seit einem Vorfälle mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß es nicht so seyn müße, u. daß dem Manne, der sich so durch Verdienste ausgezeichnet hat, am Anfänge etwas vor seinem Nachfolger voraus bleiben müße. Bin ich in der Zukunft so glüklich, <auch> etwas beizutragen, daß man ihn weniger vermiße, so werde ich jeden Beweiß, daß der durchl. Herzog meinen guten Willen anerkenne, mit desto größerer Zufriedenheit aufnehmen. – Nicht jeder ist geneigt, diesen Bewegungsgrund zu faßen, u. selbst er könnte Misdeutungen ausgesezt seyn. Wenn es Ihnen daher gefällig ist, so bleibe dieser Punkt der Unterhandlung zwischen dem durchlauchtigen Herzoge, der meinen Bewegungsgrund gewiß faßt, u. Ihnen, der Sie ihn gleichfals gewiß faßen.
Die Bitte, um den KostenErsaz der künftigen Reise nach Jena, seze ich mehr hinzu, um mit diesem einen Briefe alles zu sagen, als daß ich glaubte, dieser Punkt könne von einer oder der andern Seite einen Anstand veranlaßen.
Wenn der verlangte Urlaub Statt finden kann, so betrachte ich mich von der Zeit der Erhaltung dieser Versicherung an, als der Akademie zu Jena gewidmet, u. es würde auch mir in manchem Betracht höchst angenehm seyn, wenn eine künftige festgesezte Bestallung auf eine völlig gültige Art bestimmt, u. <bekannt> wäre.
Mit der ausgezeichnetesten Hochachtung habe ich die Ehre zu seyn.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 15. Januar 1794
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Christian Gottlob Voigt
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Weimar · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 42‒44.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 79
Language
  • German

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