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Johann Gottlieb Fichte to Anna Henriette Schütz

Ich könnte sehr triftige Entschuldigungsgründe, z.B. Heyrathen, Reisen, viel und mancherlei Arbeiten, nicht aufzuschiebende Briefschreiberei, etc. etc. anführen, warum ich auf Ihren gütigen Brief, meine Verehrungswürdige Gönnerin und Freundin, erst jezt antworte; aber ich will durch Rechthaben mich nicht des Vergnügens, mir von Ihnen verzeihen zu laßen, berauben. [/]
Daß Sie mein Schreiben und die beigelegte Schrift als einen Beweiß meines guten Willens mit gutem Willen aufnehmen wollten, erfreute mich innig. Aber wie konnten Sie doch glauben, daß ich, wenn gleich im äußersten Norden, und hernach unter Polnischen Leibeignen mich aufhaltend, so unbekannt mit dem geblieben wäre, was im Mittelpunkte der teutschen Litteratur vorgeht, daß ich nicht wirklich von Ihrem Einfahren in die berufene tiefe Bergschacht etwas gewußt hätte? Aber indem Sie die Fruchtbarkeit dieser Reise lieber abläugnen wollten, geben Sie mir die überzeugendsten Beweise davon.
Der HauptMoment der Exposition (nicht Definition) des Wollens ist das Bewußtseyn eigner Thätigkeit, und dadurch wird das Wollen hinlänglich vom Vorstellen unterschieden. Ohnerachtet ich seit Herausgabe jener Schrift um vieles tiefer eingedrungen, und meine Überzeugungen über die dort berührten Punkte sehr umgemodelt habe; so bin ich doch hierüber noch ganz der gleichen Meinung; nur daß ich vielleicht jetzt fähig seyn möchte, sie etwas schärfer zu bestimmen. „Bestehbarkeit und Nichtbestehbarkeit,” – ich könnte sophistisiren, ich könnte anführen: man sagt: ein Abentheuer bestehen; das Abentheuer wird demnach bestanden. Nach dieser Analogie sagt man auch: Empfindungen werden bestanden. – Sie lächeln? Nun wohl, ich bin ehrlich. Es ist wirklich ein häßliches, gegen alle Analogie der Sprache verstoßendes Wort. Es ist von dem ersten rohen Entwurfe, wo man sich nichts übel nimmt, was man nur selbst versteht, stehen geblieben. Es ist ein Fehler, aber ein so menschlicher Fehler, daß jeder, der aus Erfahrung weiß, was mit Feuer arbeiten heißt, ihn verzeiht. Mit „der Möglichkeit der Bestimmbarkeit” verhält es sich nicht ganz so, wie es Ihnen erschien. Bestimmbarkeit ist allerdings die Möglichkeit bestimmt zu werden; und die Möglichkeit dieser Bestimmbarkeit ist die höhere logische Möglichkeit, jene Möglichkeit zu denken. Ob es nicht hätte geschmeidiger gesagt werden können? Ohne Zweifel. Meine Abgöttin, die Kürze, mag mich wohl oft verführen.
Ich denke seit einiger Zeit gar sehr darauf, der Philosophie (so unpaßend darf sie dann auch nicht mehr heißen) eine geschmeidigere und besonders eine teutsche Mundart zu verschaffen. Neue Worte bilden, schon vorhandne für eine besondere Bedeutung ausschließend bestimmen, – das wird unumgänglich nothwendig seyn. Anfangs also [/] wird freilich auch diese Sprache nicht gemeinfaßlich seyn, aber wenn die Zeichen nur nach der Analogie gemacht sind, und den Begriffen genau anpaßen, so wird man sich bald daran gewöhnen. Wenn nur nicht etwa ich für meine Person schon so im Geruche der Barbarei stehe, daß man in solchen Dingen auf mich gar nicht hört, sondern was von mir kommt, unbesehen verwirft! – Aber eine philosophische Sprache zu erschaffen – das Recht hat nur derjenige, der Philosophie als strenge Wissenschaft aufstellt.
Ich wünsche eben um des Willen gewiß nicht weniger, als Sie so gütig sind, es zu wünschen, daß ich in Ihrer Nähe seyn könnte, wenn Sie meine Schrift lesen, um von Ihnen in Absicht der Gefälligkeit, der Geschmeidigkeit, des Anschmiegens der Sprache an die Gedanken zu lernen. Gewiß wird in dieser Absicht die Philosophie nicht eher werden, was sie soll, bis gebildete Frauen sich mit ihr beschäftigen.
Daß die Anmerkung S. 24. Ihre vorzügliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, erfüllt mich mit inniger Hochachtung für Sie, und mit den frohesten Erwartungen für Kinder, die Sie zur Mutter haben. Gewiß, die schmälige Erniedrigung, und Herabwürdigung, in der der denkende und fühlende Mensch mit Wehmuth sein Brudergeschlecht vor sich liegen sieht, kommt allein aus Mangel des starken, und heeren Gefühls seines Ich, welches der Grund aller erhabnen Gefühle ist, und hinwiederum durch sie erzeugt wird – und hier glaube ich liegt das wahre Verdienst der Kantischen Philosophie. Sie erhebt die Seele; und das scheint mir so wahr, daß ich von jedem, der eine Spur kleinlichen Egoismus zeigt, vor aller Untersuchung vorher behaupten will, daß er in das Innere dieser Philosophie noch nicht eingedrungen. – Sie ist jezt noch ein kleines Senfkorn; aber sie wird und muß ein Baum werden, der das ganze Menschengeschlecht beschatte. Sie muß ein neues, edleres, würdigeres Geschlecht hervorbringen – Ich muß mich mit Gewalt losmachen; denn diese Betrachtung reist mich allemal so hin, daß ich kein Ende finde.
Haben Sie die Güte, Ihren Herrn Gemahl meines hochachtungsvollsten Andenkens zu versichern und Ihr gütiges Wohlwollen zu erhalten
Ihrem
innigst ergebenen Fichte.
Zürich. d. 15. Jenner. 1794
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 15. Januar 1794
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Anna Henriette Schütz
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 49‒51.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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