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Johann Gottlieb Fichte to Karl Leonhard Reinhold

Zürich den 15. Januar 1794.
Baggesen, den ich vor einiger Zeit hier gesehen, der mir in Kurzem für sich alles dasjenige eingeflößt, was ein solcher Mann jedem, der nur einiges Gefühl für wahre Würde hat, nothwendig einflößen muß, und der vielleicht auch für mich einen guten Eindruck bekommen, machte mir von Ihnen eine Schilderung, welche meiner immer gehegten Hochachtung gegen den gründlichen Denker und gegen einen meiner verdientesten Lehrer durch Schriften, noch die viel angenehmere Empfindung der Liebe für den reinen Charakter hinzufügte, und mich überzeugte, daß ich manche Ihrer öffentlichen Handlungen ehemals aus einem falschen Gesichtspunkte angesehen; er setzte insbesondere hinzu: seyen Sie je gegen irgend Jemand zur Freundschaft gestimmt gewesen, so seyen Sie es gegen mich. Ich würde, was ich jetzt thue, sogleich nach dieser Unterredung gethan haben, wenn ich nicht von Zeit zu Zeit einer Antwort auf meine Zuschrift an Sie entgegengesehen hätte. Aber – Ihre Geschäfte können Sie verhindert haben, zu antworten, Sie können aus andern Gründen die Antwort aufgeschoben haben; es läßt hieraus sich Nichts schließen.
Ich thue es also jetzt, und bitte mit den Gesinnungen des freien Mannes, der Ihren Werth von ganzem Herzen ehren, achten, lieben, sich seiner freuen, aber auch den seinigen nicht aufgeben will, Sie um Ihre Freundschaft, um Ihre Liebe, um Ihr Zutrauen, und versichere Sie, wenn Sie diese meine Bitte gewähren, der unbegränztesten Achtung, Anhänglichkeit und Zutrauens von meiner Seite. Halten Sie mich jener Gesinnungen nicht werth – auch [/] eine versagte Anwort würde mir das sagen, aber ein gerades Nein wäre Ihrer und meiner würdiger – so werden Sie wenigstens darum mich nicht weniger achten, daß ich diese Bitte that, und dann steht Alles auf dem alten Fuße, und die jetzige Handlung ist gar nicht geschehen. Gewähren Sie mir dieselbe, so geben Sie dadurch meinem Herzen eine sehr angenehme Befriedigung, und zugleich entsteht daraus noch ein anderer Vortheil, der aber bei der Berathschlagung über das Wesentliche nicht in Anschlag kommen muß. Die Philosophie hat große Schulden an das Menschengeschlecht zu bezahlen; sie sollte auch insbesondere der gelehrten Welt das Beispiel zweier Männer geben, welche, bei aller Verschiedenheit ihres besondern Weges, das Ziel ihrer Arbeit vereinigte, welche einander herzlich lieben und ehren konnten, ohngeachtet sie nicht über Alles gleich dachten, welche durch die Anstrengung, die ihre eigenen Arbeiten ihnen gekostet haben, nicht abgehalten wurden, den Werth des Andern gehörig zu würdigen. Ich fühle mich fähig, der eine dieser Männer zu seyn, und Reinhold ist gewiß zu Allem, was gut und groß ist, fähig.
In Erwartung Ihres Entschlusses bin ich mit denjenigen Gesinnungen, die ich immer gegen Sie hegte
ec. ec.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 15. Januar 1794
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Karl Leonhard Reinhold
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 52‒53.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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