Zürich, d. 4. Februar. 1794.
Wirklich, Theurer Freund, gab es außer dem Hauptgrunde, der mich verhinderte mich für nächstkünftige Ostern zu bestimmen, auch noch Nebengründe; die Sie glüklich berühren, u. darauf etwas, wenigstens zum Theil befriedigendes sagen.
Mein SchwiegerVater ist ein alter Mann von etlichen u. siebenzig Jahren, der über dies bis zu Ende dieses Jahrs ein Amt verwaltet, das er im Laufe deßelben nicht nieder legen kann. Es ist eine meiner heiligen Verbindlichkeiten gegen mein gutes Weib, sie nie zu veranlaßen, ihren Vater zu verlaßen; u. folgen könnte er uns jezt nicht. – Nicht daß Er jene Verbindlichkeit geltend machen sollte; vielmehr bleibt die ganze Unterhandlung ihm ein Geheimniß, weil es die Quelle vieler Unruhen für den treflichen Mann seyn würde, vorherzusehen, daß die Zärtlichkeit seiner Tochter für ihn sie auf eine Zeit lang von ihrem Manne trennen sollte. Mein Antritt mit dem Oster Halb= Jahre würde also nicht anders möglich seyn, als daß ich jezt beide zurükließe. Wie hart und herzzerschneidend meinem guten Weibe auch nur der, als ein Einfall hingeworfne Gedanke angekommen, kann ich Ihnen nicht sagen. Jezt, indem ich Ihnen schreibe, begehe ich eine kleine Zurükhaltung gegen [sie], denn sie weiß nichts von meinem Entschluße, und ich muß sie allmählich darauf vorbereiten.
Wenn ich aber dieses, in meiner Lage, bei einer Frau, die mich unaussprechlich liebt, und die seit dem Jahre 90. schon unaussprechlich um mich gelitten hat, gewiß höchst beträchtliche Opfer den mir freilich sehr einleuchtenden Absichten Ihres Ministerium bringe, so geschieht es in keiner andern Rüksicht, als in der Hofnung, daß man mir nach vollendeten Kursus Urlaub gebe in die Schweiz zurükzureisen, wenn es auch nur das WinterhalbJahr von 94–95. wäre, hier alles in Ordnung zu bringen, um dann mit meiner Familie nach Jena zu kommen. – Von dem höchstbeträchtlichen Verluste, den wir alle ohne diese Bedingung erleiden müsten, schweige ich. [/]
Ich wünsche, und hoffe das um so eher, da ich von dem Vorschläge des Herrn G.A.R. Voigt, den mir auch schon P. Hufeland gethan, im Anfange höchst wenig zu lesen, keinen Gebrauch zu machen gedenke. – Ich gestehe Ihnen sehr gern, daß auch vorzüglich der Wunsch, meine Profeßur höchst ausgerüstet, und nachdem ich vor dem ganzen Publikum gezeigt hätte, daß ich derselben nicht nur halb und halb würdig sey, anzutreten – daß dieser Wunsch mich vermochte, den Antritt aufzuschieben bis mein Projekt ausgeführt wäre; ein Projekt, wobei es um nichts geringeres zu thun ist, als um eine wißenschaftliche Philosophie, die sich selbst mit der Mathematik meßen könne – ein Projekt, deßen Gelingen mir schon so gut als sicher ist. Ob ich unter den jetzigen Umständen nun gleich das nicht thun kann, so möchte ich doch wenigstens durch meine Vorlesungen zeigen, daß ich im Besitze eines solchen Systems seyn möchte. Zum Glük bin ich seit meinem lezten Briefe in der Arbeit so vorgerükt, daß ich das Ende wenigstens schimmern sehe, u. also schon jezt mit mehr Zuversicht ein philosophisches Catheder betreten würde, als damals. – Dennoch bleibt mir nach meiner Art zu arbeiten, für die Composition ungestörte Muße höchst wünschenswürdig. Da dieser neue Entschluß zugleich den ganzen Plan meines Studirens verändern muß, indem ich von nun an, statt die trokne Speculation fortzusetzen, Pläne zur Mittheilung derselben in meinen Vorlesungen entwerfen muß, so haben Sie ja die Güte, das, was ich Ihnen darüber [schreibe], dem Hrn. A. Rth. mitzutheilen, u. mir sobald als möglich zu melden, ob alles angenommen ist, und wird: damit ich noch Zeit behalte brav Hefte zu sch<nei>den [/]
In Absicht eines teutschen Programma zur Einladung der Studirenden bin ich ganz Ihrer Meinung: u. es soll daran nicht fehlen. Haben Sie doch aber die Güte mir zugleich zu melden, ob eine lateinische Disputation zu schreiben, und zu vertheidigen ist? (pro loco, wie sie’s in Leipzig nennen). Das, gesteh‘ ich, wäre mir jezt, da ich etwas gescheuteres zu thun habe, höchst ungelegen, und ich würde sehr wünschen, daß man mir das borgte, bis zu einer gelegnern Zeit; wo ich denn mit den etwanigen gelehrten Raufern zu Jena mich nach Herzenslust herumraufen wollte.
Wenn Sie dann doch auch gelegentlich nach einem für einen Strohwittwer anständigen Logis horchen könnten? Doch, hierüber schreibe ich wohl am besten Herrn Prof. Hufeland.
Eine Junggesellen Wirthschaft ist ja leicht, leicht eingerichtet. Herrn Reinholds Auditorium (ich meine das unbewegliche) wird wohl zu haben seyn. Ich weiß, daß es geräumig ist: aber ich will schon die Unbescheidenheit begehen, zu thun, als ob ich auf seine Erfüllung sicher rechnete. Wenn es auch nur im publicum wäre; man wählt eine allgemein intereßante Materie. Schon ist mir ein Einfall darüber gekommen. – Das publicum ist doch für diese Stelle nicht vorgeschrieben?
Meine Frau empfiehlt sich Ihnen, u. unbekannter Weise Ihrer Frau Gemahlin; u. ich gleichfals bis auf einstige Bekanntschaft. – Diesmal ist sie freilich nicht wohl zufrieden mit Ihnen; aber es wird sich schon geben. Fragen Sie einmal Ihre Frau Gemahlinn, was sie sagen würde, wenn ich einen Plan entwürfe, Sie auf ein halbes Jahr von Ihr zu trennen? Aber dolor hic tibi proderit olim würde ich ihr sagen, wenn sie Latein verstünde.
Verzeihen Sie daß ich diesen Brief hier beischließe. Er sagt ganz das gleiche.
An Fr. v. Koppenfels, u. Bischof habe ich mit gleichem Posttage, als an Her. G.A.R. Voigt geschrieben. Bischof hatte mir ehemals selbst etwas von dieser Sache geschrieben. Dennoch habe ich ihm von den jezt laufenden Unterhandlungen nichts gesagt; noch weniger der Fr. v. Koppenfels.
Behalten Sie lieb
Ihren
wahrsten ergebensten Freund
Fichte.
Wirklich, Theurer Freund, gab es außer dem Hauptgrunde, der mich verhinderte mich für nächstkünftige Ostern zu bestimmen, auch noch Nebengründe; die Sie glüklich berühren, u. darauf etwas, wenigstens zum Theil befriedigendes sagen.
Mein SchwiegerVater ist ein alter Mann von etlichen u. siebenzig Jahren, der über dies bis zu Ende dieses Jahrs ein Amt verwaltet, das er im Laufe deßelben nicht nieder legen kann. Es ist eine meiner heiligen Verbindlichkeiten gegen mein gutes Weib, sie nie zu veranlaßen, ihren Vater zu verlaßen; u. folgen könnte er uns jezt nicht. – Nicht daß Er jene Verbindlichkeit geltend machen sollte; vielmehr bleibt die ganze Unterhandlung ihm ein Geheimniß, weil es die Quelle vieler Unruhen für den treflichen Mann seyn würde, vorherzusehen, daß die Zärtlichkeit seiner Tochter für ihn sie auf eine Zeit lang von ihrem Manne trennen sollte. Mein Antritt mit dem Oster Halb= Jahre würde also nicht anders möglich seyn, als daß ich jezt beide zurükließe. Wie hart und herzzerschneidend meinem guten Weibe auch nur der, als ein Einfall hingeworfne Gedanke angekommen, kann ich Ihnen nicht sagen. Jezt, indem ich Ihnen schreibe, begehe ich eine kleine Zurükhaltung gegen [sie], denn sie weiß nichts von meinem Entschluße, und ich muß sie allmählich darauf vorbereiten.
Wenn ich aber dieses, in meiner Lage, bei einer Frau, die mich unaussprechlich liebt, und die seit dem Jahre 90. schon unaussprechlich um mich gelitten hat, gewiß höchst beträchtliche Opfer den mir freilich sehr einleuchtenden Absichten Ihres Ministerium bringe, so geschieht es in keiner andern Rüksicht, als in der Hofnung, daß man mir nach vollendeten Kursus Urlaub gebe in die Schweiz zurükzureisen, wenn es auch nur das WinterhalbJahr von 94–95. wäre, hier alles in Ordnung zu bringen, um dann mit meiner Familie nach Jena zu kommen. – Von dem höchstbeträchtlichen Verluste, den wir alle ohne diese Bedingung erleiden müsten, schweige ich. [/]
Ich wünsche, und hoffe das um so eher, da ich von dem Vorschläge des Herrn G.A.R. Voigt, den mir auch schon P. Hufeland gethan, im Anfange höchst wenig zu lesen, keinen Gebrauch zu machen gedenke. – Ich gestehe Ihnen sehr gern, daß auch vorzüglich der Wunsch, meine Profeßur höchst ausgerüstet, und nachdem ich vor dem ganzen Publikum gezeigt hätte, daß ich derselben nicht nur halb und halb würdig sey, anzutreten – daß dieser Wunsch mich vermochte, den Antritt aufzuschieben bis mein Projekt ausgeführt wäre; ein Projekt, wobei es um nichts geringeres zu thun ist, als um eine wißenschaftliche Philosophie, die sich selbst mit der Mathematik meßen könne – ein Projekt, deßen Gelingen mir schon so gut als sicher ist. Ob ich unter den jetzigen Umständen nun gleich das nicht thun kann, so möchte ich doch wenigstens durch meine Vorlesungen zeigen, daß ich im Besitze eines solchen Systems seyn möchte. Zum Glük bin ich seit meinem lezten Briefe in der Arbeit so vorgerükt, daß ich das Ende wenigstens schimmern sehe, u. also schon jezt mit mehr Zuversicht ein philosophisches Catheder betreten würde, als damals. – Dennoch bleibt mir nach meiner Art zu arbeiten, für die Composition ungestörte Muße höchst wünschenswürdig. Da dieser neue Entschluß zugleich den ganzen Plan meines Studirens verändern muß, indem ich von nun an, statt die trokne Speculation fortzusetzen, Pläne zur Mittheilung derselben in meinen Vorlesungen entwerfen muß, so haben Sie ja die Güte, das, was ich Ihnen darüber [schreibe], dem Hrn. A. Rth. mitzutheilen, u. mir sobald als möglich zu melden, ob alles angenommen ist, und wird: damit ich noch Zeit behalte brav Hefte zu sch<nei>den [/]
In Absicht eines teutschen Programma zur Einladung der Studirenden bin ich ganz Ihrer Meinung: u. es soll daran nicht fehlen. Haben Sie doch aber die Güte mir zugleich zu melden, ob eine lateinische Disputation zu schreiben, und zu vertheidigen ist? (pro loco, wie sie’s in Leipzig nennen). Das, gesteh‘ ich, wäre mir jezt, da ich etwas gescheuteres zu thun habe, höchst ungelegen, und ich würde sehr wünschen, daß man mir das borgte, bis zu einer gelegnern Zeit; wo ich denn mit den etwanigen gelehrten Raufern zu Jena mich nach Herzenslust herumraufen wollte.
Wenn Sie dann doch auch gelegentlich nach einem für einen Strohwittwer anständigen Logis horchen könnten? Doch, hierüber schreibe ich wohl am besten Herrn Prof. Hufeland.
Eine Junggesellen Wirthschaft ist ja leicht, leicht eingerichtet. Herrn Reinholds Auditorium (ich meine das unbewegliche) wird wohl zu haben seyn. Ich weiß, daß es geräumig ist: aber ich will schon die Unbescheidenheit begehen, zu thun, als ob ich auf seine Erfüllung sicher rechnete. Wenn es auch nur im publicum wäre; man wählt eine allgemein intereßante Materie. Schon ist mir ein Einfall darüber gekommen. – Das publicum ist doch für diese Stelle nicht vorgeschrieben?
Meine Frau empfiehlt sich Ihnen, u. unbekannter Weise Ihrer Frau Gemahlin; u. ich gleichfals bis auf einstige Bekanntschaft. – Diesmal ist sie freilich nicht wohl zufrieden mit Ihnen; aber es wird sich schon geben. Fragen Sie einmal Ihre Frau Gemahlinn, was sie sagen würde, wenn ich einen Plan entwürfe, Sie auf ein halbes Jahr von Ihr zu trennen? Aber dolor hic tibi proderit olim würde ich ihr sagen, wenn sie Latein verstünde.
Verzeihen Sie daß ich diesen Brief hier beischließe. Er sagt ganz das gleiche.
An Fr. v. Koppenfels, u. Bischof habe ich mit gleichem Posttage, als an Her. G.A.R. Voigt geschrieben. Bischof hatte mir ehemals selbst etwas von dieser Sache geschrieben. Dennoch habe ich ihm von den jezt laufenden Unterhandlungen nichts gesagt; noch weniger der Fr. v. Koppenfels.
Behalten Sie lieb
Ihren
wahrsten ergebensten Freund
Fichte.