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Johann Gottlieb Fichte to Friedrich Immanuel Niethammer

Ohnerachtet ich, mein theurer, innig geliebter Freund, die völlige Beantwortung Ihres höchst interessanten Briefes mir für die mündliche Unterredung vorbehalten muß, so darf ich mir doch eine Erklärung nicht vorbehalten, die Ihr gütiges liebevolles Zutrauen mir zur unerläßlichen Pflicht gegen Sie sowohl als gegen mich macht, und deren Erfüllung ich auch nicht bis jetzt aufgeschoben hätte, wenn ich Ihre Addresse hätte wissen können. Erlauben Sie mir dabei [/] mit einer Freimüthigkeit zu reden, die meinem Herzen wohl thut, und das Ihrige mir erlaubt.
Als Sie Ihren letzten Brief schrieben, ahndeten Sie nicht, was Sie vielleicht bald darauf, oder auf Ihrer Reise ganz gewiß erfahren haben. Es wäre sehr möglich, daß die Erledigung der Reinholdischen Stelle, und die Vermuthung, daß dieselbe entweder gar nicht, oder sobald nicht wieder besetzt werden dürfte, etwas zur Bestimmung Ihres Entschlusses für Jena beigetragen hätte: und in diesem Falle hätten Sie das gegründetste Recht, zwar nicht über den meinigen, wohl aber über die unfreundschaftliche Zurückhaltung, mit der ich Ihnen denselben verborgen und sogar versteckt hätte, sich zu beklagen. Eine detaillirte Geschichtserzählung erhalte mir Ihre Achtung und Ihr Wohlwollen!
Was ich Ihnen in meinem letzten Briefe über meine Wünsche schrieb, war wahr; insbesondere an die Reinholdische Stelle hatte ich nicht gedacht, und blos ich weiß nicht, welche Delikatesse war der Grund, daß ich da, wo ich von Ihnen redete, nicht, wie ich wollte, hinzusetzte: ich wünschte, daß Sie dieselbe erhalten möchten. Zu Anfänge des Dezembers v. J. sagte mir Baggesen: Sie hätten sie wirklich erhalten, und derselbe könnte Zeuge seyn von der lebhaften Freude, die ich darüber äußerte. Noch Anfänge dieses Jahres erhielt ich – Sie können denken wie unerwartet, da ich nichts anderes wußte, als was Baggesen gesagt hatte – den festen und förmlichen Antrag durch den H. G. R. Voigt. Da ich unterdessen eine für mich höchst interessante Entdeckung gemacht hatte, die mir auf ein Paar Jahre Arbeit vollauf versprach, so hatte ich um so weniger Lust, meine geliebte Muße aufzuopfern. Ich suchte Aufschub, und – unter uns sey es gesagt, denn sonst wäre es undelikat und schiene prahlerisch – nur die zarteste Behandlung und das freundschaftlichste Zureden bewog mich von dieser Forderung abzustehen; erst gegen Ende des Februars ist meine unbedingte Annahme in Weimar gewesen. [/]
Sie glauben mir ohne Zweifel auf mein Wort, sonst wäre es auch wohl möglich, daß etwas von der Art unsrer Unterhandlungen in das Publikum gekommen wäre; auf jeden Fall aber lege ich Ihnen in Jena den Briefwechsel darüber vor. – Was ich aber hierüber Ihnen gesagt habe, oder sagen werde, sage ich blos dem Freunde, wie sich versteht.
Wie sich Schmid betragen hat, werden Sie jetzt aus dem I.B. der A.L.Z. wissen. Von ihm also, so scheint es, habe ich weder Wohlwollen, noch Gerechtigkeit, noch Billigkeit zu erwarten. Seyn Sie mein Freund, aber machen Sie sich Jenen nicht zum Feinde, und ich fürchte, daß Freundschaft gegen mich bei ihm nicht sehr empfehlen wird. Uebrigens habe ich Grund zu hoffen, daß ich in Jena sowohl als Weimar auch meine Freunde finden werde, und im Publikum sie habe, durch welche ich Jenem die Wage halten könne. Unangenehm bleibt die Lage, die ich voraussehe, immer.
Eine aufrichtige Aussöhnung ist unmöglich; denn er hat sich in die Lage gesetzt, daß meine Demüthigung sein Interesse ist. – Daß ich mich auf Ihren Umgang herzlich freue, und daß Sie von mir wahre Anhänglichkeit und alle Freundesdienste, die in meinen Kräften stehen werden, zu erwarten haben: – ich glaube, es bedarf dieser Versicherung nicht.
Ihre lichte und ordnungsvolle Darstellung von Ihrem Gange der Untersuchungen über die Freiheit hat mich innig gefreut. In meinen Recensionen habe ich nie mehr als Winke geben wollen. Den Punkt, worauf es bei den Gedanken, die ich in der Creuz. Recension darüber äußere, eigentlich ankommt, haben Sie treffend gezeigt. Hierüber mündlich! Ich bin diesen Winter glücklich gewesen, und glaube über diesen und die übrigen streitigen Punkte das Philosophiren zum Wissen erheben zu können.
Auf Ihre Erinnerung gegen das Eigenthumsrecht des Eigenthümers der letzten Form läßt sich sagen: Wenn Nie[/]mand etwas bearbeiten darf, ohne das Zueignungsrecht zu haben, so gab ich mit dem Auftrage, das Gold zu bearbeiten, dem Goldarbeiter zugleich das Zueignungsrecht: und die Theorie steht fest. – – Uebrigens ist die Sache dort nur populär behandelt, wie sie sollte. Meinen jetzigen Ueberzeugungen nach geht die Deduktion des Eigenthumsrechts in eine der schwindelndsten Tiefen der Spekulation, und setzt nichts Geringeres voraus, als die Beantwortung der Frage: wie komme ich dazu, meinen Körper zu meinem Ich zu nehmen, und in wiefern rechne ich ihn dazu?
Leben Sie wohl. Mit Hochachtung und Freundschaft
ganz der Ihrige.
Metadata Concerning Header
  • Date: April 1794
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Friedrich Immanuel Niethammer
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 94‒96.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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