Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Stuttgard, d. 3. Mäi. 1794.
Für dieses mal, mein gutes, liebes, theures Weib, habe ich recht große Lust Dir mehr zu schreiben, als das vorige mahl; wenn mich nemlich der liebe Gott, in deßen Hand alles steht, in diesem guten Gedanken erhält.
Daß Stuttgard die Residenz des Herzogs von Würtemberg, und das Viertel meiner Reise ist, weißt Du vielleicht; vielleicht auch, daß ich dann schon Tübingen paßirt habe. – Zu Tübingen brachte ich den gestrigen Nachmittag unter immer sich erneuernder, u. vermehrender Gesellschaft zu. Man erwartet daselbst Dich zu sehen, u. macht sich ein Fest daraus. Du mußt, nach der allgemeinen Meinung, das 8te Wunderwerk der Welt seyn. Du wirst nachher sehen, daß man das auch außer Tübingen glaubt. Nimm Deine Maasregeln darnach, und suche, zwar kein Wunderwerk, denn ich glaube keine Wunder – aber suche wenigstens soviel zu werden, daß die allgemeine Erwartung sich nicht ganz unbefriedigt finde. – Bei dieser Gelegenheit: – ich sehe, daß man von uns beiden sehr viel – in jeder Rüksicht sehr viel erwartet, und daß alles auf uns gespannt ist. Gestern gegen Abend reis’te ich von Tübingen weg; u. diese Nacht um drei Uhr kam ich mit Vogts hier an. A propos von Vogts! Was ich gelitten habe, u. wie froh ich war, als wir uns endlich trennten – ohngeach[/]tet meiner wahren Verehrung gegen die Fr. Vogtinn, und meines innigen Mitleids mit dem, übrigens würdigen, Manne, kann ich Dir nicht beschreiben. Es ist keine Tollheit, wozu die Furcht jemanden verleiten kann, die er nicht gemacht habe; er, der schlechterdings Nichts zu fürchten hatte; es ist kein Gespenst, das er nicht mit einer gewißen Gierigkeit ergriffen, und ämsig ausgemahlt hätte. Und das, was dabei mich am meisten verdrießt, er weiß es, daß er krank ist, er sagt es in dem Augenblike, da er Thorheiten begehet, und fährt doch fort. Ohngeachtet meiner unbegränzten Hochachtung für seinen Geist, und seine tiefen Kenntniße, die mir immer einleuchtender geworden sind, habe ich doch nicht mich enthalten können – mein Verdruß war durch zwei Tage, u. Nächte voller Unannehmlichkeiten auf’s höchste gespannt – ihm zulezt ernsthaft zu Leibe zu gehen. Seine Frau, die sich deßen nicht getraut, was ihn allein kuriren kann, des derben Auffahrens, leidet bei ihm unendlich, und leidet mit EngelsGedult, zeigt eine Aufmerksamkeit, eine unermüdbare Gefälligkeit, daß ich außer Dir keine solche Frau mehr auf dem Erdboden zu finden hoffen darf. – Freue Dich, daß diese herrliche Frau [/] ganz, mit inniger Seele, Deine Freundin ist, und daß es ihr wirklich Herzens Wunsch zu seyn scheint, mit Dir ihr Leben zu verleben. – Glänze immer nicht, aber mache Dich von Weibern, wie die Vogtin ist, geliebt, und Du gewinnst bei jeder Seele, die Menschen Werth zu erbliken würdig ist, desto mehr.
Von heut Morgen an habe ich eine Menge Leute besucht; zuerst Hofrath Schiller, meinen Kollegen in Jena. Ich rede hiervon mehr, weil diese Familie uns höchst wichtig ist. Schiller gehört unter die ersten, geliebtesten, und berühmtesten Profeßoren von Jena. Ich habe in Tübingen schon gehört, daß er mir sehr zugethan sey, u. hier, daß er auf mich gewartet habe, um mit mir zurükzureisen, welches aber nicht möglich ist. Heute höre ich von seiner Gemahlin, daß sie sich vorzüglich auf Dich freut. – Alles das ist mir begreiflich, u. sehr erwünscht für Dich.
Erhard, den Du jenen Abend für den Baron hieltest, u. der die Leute so sehr ennuyirt, habe ich hier gefunden. Ich habe ihn gebeten, mich nicht zu ennuyiren, u. bis jezt hat er’s nicht gethan. Morgen reise ich mit ihm, u. mit ein paar Profeßoren von hier nach dem [/] Lustschloße Hohenheim. Uebermorgen will ich abreisen; ich weiß aber noch nicht wie, und durch welche Gelegenheit. – Es ist abscheulich theuer reisen.
Finde ich noch Zeit, so setze ich einige Worte hinzu. Wo nicht, so behüte Dich Gott;
u. grüße mir Papagen, u. leb wohl.
Der Deine.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 3. Mai 1794
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Stuttgart · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 101‒103.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 90
Language
  • German

Weitere Infos ·