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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Frankfurt am Mäyn. d. 12. Mäi. 1794.
Wie Du mich gejammert hast, gute Seele, so oft ich an Dich gedachte, daß Du zwei Post Tage keinen Brief erhalten würdest. Aber ich habe seit Stuttgard mich so umgetrieben, bin von meiner Straße ab dem Kriegstheater näher gereist, bin, durch die mannigfaltigen Arten, wie ich die Reise machte – bald zu Fuß, bald mit Retour Chaisen, bald zu Waßer – und durch die mancherlei, zum Theil zudringlichen, und überlästigen Bekanntschaften, die ich machte, so sehr beschäftiget gewesen, daß ich wirklich, so sonderbar es auch scheine, nicht Zeit hatte zu schreiben, dazu kommt, daß ich den Abgang der Posten nicht wuste. Ich hoffe aber, daß Du meiner Bitte eingedenk gewesen, und Dich darum nicht gegrämt, sondern fest geglaubt hast, ich gedenke Deiner stets, [/] wünsche Dich zu mir, und werde Dir so bald schreiben, als es mir möglich seyn werde – Ich bin überhaupt auf Reisen sehr zerstreut, besonders auf dieser. Das kommt wohl mit daher, weil sich so mancherlei Leute an mich drängen, u. mich immer – ich weiß nicht aus welch einer verkehrten Höflichkeit aufzuhalten suchen, welches denn auch Einem durch verkehrte Vorspiegelungen gelungen ist; – ich aber sehr wünsche anzukommen; wie ich denn gerechnet habe heute schon in der Nähe von Jena zu seyn, da ich indeß nur die Hälfte meiner Reise vollendet habe. Dennoch rechne ich Donnerstags zu Mittage schon in Gotha zu seyn, indem ich hier eine Retour Chaise gefunden habe, mit welcher ich um einen billigen Preis dahin reise. Ich habe unter solchen Umständen selten eine ruhige, freie Stunde; so oft ich aber eine habe, denke ich Deiner, und wünsche Dich her zu mir. Doch, die Zeit wird wohl auch kommen.
Ich bin über Mannheim, den Rhein herauf, nach Mäinz gereis’t: durch österreichische u. Preußische Truppen ohne Zahl [/] vor einer Pfälzischen Stadt, Frankenthal vorbei, in welcher eben indem ich vorbei reis’te, die Franzosen, u. Preußen einander in den Haaren lagen: Sei darüber unbesorgt: ich war auf dem Rheine, u. konnte bei der geringsten Gefahr am andern Ufer seyn; u. jezt bin ich das Kriegstheater längst vorüber. In Frankfurt fällt es niemand ein, die Franzosen zu fürchten; nicht einmal in Mäinz. Sie müsten eine Hauptschlacht gewinnen, um nur erst Mäinz belagern zu können: dieses ist aber durch sie selbst so stark befestiget, daß es eine Belagerung voraussezt, welche zu unternehmen ich die Franzosen für zu klug halte. – Die Stimmung der Einwohner, deren Ländereien doch durch die Franzosen verwüstet sind, ist dennoch sehr zu ihrem Vortheile. Der gemeine Mann liebt sie; u. wer nichts mehr hat, den ernähren sie; nur die privilegirten Stände sind wüthend gegen sie. In Mäinz u. in Frankfurt wünscht man sie zurük. Alles ohne Ausnahme haßt die Preußischen, u. Oesterreichischen Völker, und verachtet, u. verlacht sie, und spottet ihrer schreklichen Niederlagen. Diese sind wirklich schreklicher, als die Zeitungen gestehen. „Die preußische Armee campirt unter [/] der Erde”, sagte mir gestern ein – Preußischer FeldPrediger, der es wohl wißen kann. – Die hiesigen Zeitungen, d. i. alle teutsche Zeitungen reden von zwei schreklichen Niederlagen, die die Franzosen in den Niederlanden erlitten haben sollen: PrivatBriefe aber melden, daß sie in Flandern bis Cortryk, u. Oudenarde u. auf der andern Seite bis gegen Namur vorgerükt seyen. – Bei dem allem ist aber die Sorglosigkeit der hiesigen Einwohner (d. i. aller Teutschen dießeit des Rheins) grenzenlos. – – Warum ich Dir dies alles schreibe? Theile es, nebst tausend herzlichen Küßen von mir, an Papagen mit, denn Du liebe Seele nimmst, wie ich weiß, wenig Theil an Welthändeln.
Aber es schlägt 8. Uhr, u. ich bin bei Varrentrapp zum Frühstük, wo ich alles sehen soll, was mich gern sehen will. Laß mich in Jena einen recht ausführlichen Brief über Dein, u. des guten theuren Vaters Befinden, und über alle Zürcher, die ich liebe, u. die mich wieder lieben, vorfinden.
Lebe wohl, gute theure, lebe recht wohl.
Der Deine.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 12. Mai 1794
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Frankfurt am Main · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 106‒107.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 92
Language
  • German

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