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Johanna Fichte to Johann Gottlieb Fichte

Zürich d. 17. Maj 1794:
Theurste Seele! ich fliege zu diesem Papier, freylich sinds erst 8: Tage seitdem ich geschrieben, ein Bedürfniß meiner Seele wars schon lange, ich bezwinge mich aber mit Gewalt, und die eigentliche Ursache warum ich izt schreibe, ist G: Hiesiger Magistrat hatte von verschiednen Gesandten, die in der Schweiz sind, besonders auch von Buhl, mehrere Schreiben seinentwegen erhalten, so daß Er genöthigt war, ihn aufs freundschaftlichste zu bitten, sich nicht mehr lange hier aufzuhalten; wir entschloßen gemeinschaftlich daß Er so lange hier bleiben könne, und wolle; bis wir seinentwegen, erfreuende Nachricht von Dir Bester hätten, nun kamm aber einer seiner Freunde èxpres hier her, um ihm die traurige, Nachricht zu bringen, daß nicht mehr als 4: oder 5: erkaufte Schurken von der Königin aus Neapel um ihn herumscheben, und daß sein längeres hier bleiben, ihn der größten Gefahr ausseze; dies alles erfahren wir Sonnabend Abends von ihm, mit der Abrede, daß er uns morgen besuchen wolle, er kamm aber nicht mehr, sondern wir erfahren durch ordre die er seinem Wirth hinterlaßen ein par Tage drauf, daß er auf eine Nachricht welche er am Abend späth erhalten, Sontag Morgen’s früh verreißt ist: wir wißen aber nicht wohin: und sind seinentwegen in großen ängsten; als wir ihn das lezte mahl sahen versicherte ich ihn nochmahls, daß Du gewis alles mögliche für ihn thun werdest, und der Unglükliche beschloß zu Dir zu eilen, ob Du ihn Bester aber jemahls zu sehn bekommst, das weiß Gott, denn nach der ganzen Lage ists sehr schwer glüklich durch kommen, freylich hat er tiefe Menschenkenntniß, das ist das einzige was uns seinentwegen tröstet; auch war er über alle Erwartung, Muthig, entschloßen, und vorsichtig in seinen Masregeln; nach Wallestat durfte er nach genauerer untersuchung nicht, weil er wußte, daß man seine Flucht nach diesen Gegenden erwartet; uns thats in der Seele weh, daß er so schnell vereiste; und daß wir nichts für ihn thun konnten; hier sind wieder sehr viel Fremde, welche man täglich herum streifen sieht.
Der arme Vogt daurt mich, aber noch viel mehr mein Theurster, der so viel gelitten, daß Dir die Vogtin lieb geworden hab ich erwartet, und freut mich, denn sie ist gewis eine Frau die man lieben muß: Ihre zurükhaltende Bescheidenheit, ließ mir eine wahre Seelenwürde vermuthen, die mit dem stillen Bewußtsein, ihres oft verkannten Guten sich begnügt, und auf keine [/] Weise, um den Beyfall Andrer Coquettiert; sie ist sich selber genung, und thut ihre Pflicht ohn alles Geräusch, drum liebe ich sie sehr, wenn auch alle Welt sagt, sie sey ein Einfaltspinsel; und ihre Freundschaft wird mir sehr theuer sein; Niemand kann sich mehr freun, als ich, wenn Du Bester machen kannst, daß sie nach Jena kommen; denn nach allem Vermuthen, erwart ich dort keine Vogtin.
Das 8te Wunder Welt macht mich zu lachen; was haben die guten Menschen für überspannte Begriffe, und was können wir davor daß Sie’s haben; ich verlange je länger je stärker, nicht mehr zu scheinen als ich bin; und der Beyfall, der nicht Beyfall der Menschen, wird mir täglich gleichgültiger, das ist einmahl gewis, so gewis ists aber auch, daß ich aus Liebe zu Dir, und aus keinem andren Bewegungsgrund, mich allem mit freuden unterziehn werde, was Du mein Theurster wünschest.
Ist der Schiller welchen Du in Stugart gesehn, nicht der welcher über die Gelehrten Weiber geschrieben? ich wünschs; da darf ich denn hoffen, daß er keine Gelehrte Frau hat, denn diese fürcht ich, nicht weil ich nicht gelehrt bin, sondern weil sie die meiste Zeit keine Guten Menschen sind.
Leut: Schultheß, seine Frau, sein Vatter und Mutter aßen vorige Woche bey uns, mit welcher Sehnsucht wir Dich bey uns gewünscht, wie oft auf Deine Gesundheit getrunken wurde, kann ich nicht beschreiben; Helfer Geßner hat uns auch bsucht, alles was uns sieht läßt Dich grüßen, will wißen was Du machst: Das gute Vätterchen machst noch ärger als ich, und das ist viel gesagt, er wartet mit der größten Ungedult alle Poosttage auf Briefe, Gott gebe nur daß morgen einer komme. Dein Portrait bey Lav: hab ich holen laßen, und wollte eine Copie davon nehmen, wenns ähnlich wäre, danke aber gehorsamst; denn ich sahs dem ganzen Bilde an, daß Du beym Sizen lange wiele gehabt hast, da haben sie meinen Fichte mishandelt, und ich mag keinen solchen Fichte; daß die Mahler nicht [daß] Feine, und Liebliche in Deiner Phiosonomie treffen können, ärgert mich, und daher werd ich nie mit keinem mich aussöhnen.
– Mitwochs
Heute ist kein Brief gekommen, O Gott! Daß dies eine Zeit des Leiden’s sein würde, habe ich wohl voraus gesehn; sie ist ein Opfer welches ich der kindlichen Pflicht brachte, der Klugheit wegen künftiger Einrichtung; aber es kostet mir auch gar zu viel; oft glaub ich, daß ich mich auf den ersten besten Poostwagen seze, und zu Dir Du Theurster eile, denn troz aller Gewalt welche ich [/] mir anthue, so ist mein Herz auf’s tiefste verwundet. heute sind’s 14: Tage daß Du Bester abreisestes, und mir ist’s eine unendliche lange, traurige Zeit gewesen, ob ich bis im August werde aushalten können, das weiß Gott, oft scheint’s mir unmöglich: Vätterchen welcher Dich tausend mahl grüßt, ist Gottlob viel gestärkter als er bey Deiner Abreise war, er schont sich in allen Stüken, auch wegen Weinen; wunderbahr ists, wenn 2: Betrübte einander trösten wollen; ich beschwöre Dich Bester; schreib mir doch alle 8: Tage, oder spähten’s alle 10: denn Deine Briefe, sind das Einzige was mich erquiken, was mich aufrecht erhalten kann, und wären’s nur ein paar Zeihlen;
von Pestaluz, und Baggesen hab ich nichts gehört; die Abschriften der Vorlesungen, sind mir auf Ende künftigen Monaths versprochen; ich hab ein wenig treiben müßen; von der Märklin, und der unglüklichen Titot, sind Briefe gekommen, erstere ladet uns aufs freundschaftlichste ein, bey unsrer Durchreise ein paar Tage bey Ihnen zu bleiben; leztere ist in sehr unglüklichen Umständen, und hat das Geld, welches ich ihr vergangnen Herbst schikte, nicht erhalten, es ist, wie beyde sagen, auf der Poost verlohren gegangen; die Arme wandert wieder nach einem andren Ort, denn der Krieg, und die Theure, verjagen sie dort [;] wir bemühten uns <durch> Lavater [ ... ] für sie aus [ ... ] sagt aber [ ... ]
Sonnabend:
Tausend, tausend Dank Beste Seele! daß Du mir von Frankfurth aus schrieb[s]t; daß ich Deinentwegen nicht viel Angst ausgestanden, kann ich nicht läugnen; nun darf ich doch hoffen, Du seyest gewis an Ort, und Stelle; nicht daß ich denn weniger Briefe bedörfe, das weißt Du schon; diesen schik ich vor 4: Wochen wegen G: von dem wir in den 8: Tagen nichts erfahren haben; ist er noch in Freyheit, so läßt ers uns gewis wißen, denk ich, ists nicht unsertwegen, so ist’s seinentwegen, damit wir ihm von Deinen Verichtungen, ihn betreffend, Nachricht geben. 
Mein Vatter erfuhr gestern, vom Pf. Wirz, in Kilchberg, welcher Lavaters vertrauter Freund ist; daß er ihm gesagt habe, Du seyest der tiefste, und schärfeste Denker, welchen er jemahls gesehn, und daß er nie keinen solchen gesehn; der gute Pf. welcher Dich auch herzlich grüßt, bedaurte es sehr, daß er nicht Dein Zuhörer habe sein können.
Wie Du Dir in J: gefällst, in aller aller Absicht [zu wissen], verlangt uns, und besonders mir erstaunlich darnach, man kann ja unter andren addressen schreiben, und ich kann in der Antwort über alles schweigen, gehts nicht so Bester? Überhaupt liebst Du kein langes Geplauder, dies sage ich mir immer vor, damit Du nicht zürnest: in 2: Tagen, ist meines ewig Theuren Fichte Geburthstag; das wird ein heiliger, festlicher Tag, für Vätterchen, und mich sein, den wir in der Stille für uns, mit dem innigsten Dank gegen Gott, und mit dem Sehnsuchtvollesten Andenken, an [ ... ] zugebracht habest. [ ... ]
Metadata Concerning Header
  • Date: um den 12. bis 17. Mai 1794
  • Sender: Johanna Fichte
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 108‒111.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 93
Language
  • German

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