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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Jena, d. 20. Mäy. 1794.
Du siehst aus dieser Ueberschrift, meine Theure, geliebte, herrliche Seele, daß ich nun an dem Orte meiner Bestimmung bin. Ich kam daselbst den 18. Abends sehr spät an. Gestern, u. heute habe ich mit Visiten geben, u. annehmen, alle Hände, oder vielmehr alle Füße voll zu thun gehabt. – Alles, selbst das, was ich für widerwärtig halten muste, ist so voll Freundschaft zu mir, daß ich das alles nicht so recht glauben kann. Doch sey es, wie es sey; Du kennst recht wohl meine Grundsätze darüber. Den Profeßor Schmid, mit dem ich die Fehde hatte, die Du kennst, habe ich besucht; zur großen Freude aller wohldenkenden, und um dadurch das Publikum auf meine Seite zu bekommen, auf der es schon vorher war.
Die Studenten sind voll Erwartung, und ich habe schon unzweideutige Proben davon gesehen. Meine öffentlichen Vorlesungen eröfne ich künftigen Freitag; die Privat=Vorlesungen künftigen Montag. Ich habe aber erst diesen Morgen angeschlagen, und habe daher noch keine Zuhörer subskribiren laßen.
Ein sonderbarer Vorfall. – Ich komme gestern zu Schützens, die Dich herzlich grüßen, und sich, sowie noch viele meiner Freunde darauf freuen, Dich bald zu sehen. Man sagt mir, es sei des Hofrath Schützens Geburtstag. – „Unmöglich, antwortete ich, es ist der meinige” – So fand sich’s denn, daß wir beide einen Geburtstag gemeinschaftlich hatten, den wir auch gemeinschaftlich bis Nachts Ein Uhr gefeiert haben. Die Hofräthin hatte ganz in der Stille ihrem Manne eine herrliche Ueberraschung vorbereitet: sie ließ durch ihre Kinder eine Komödie aufführen, u. ihm eine Anrede zu seinem Geburtstage halten. Kurz, der Tag war schön, u. es fehlte mir nichts, als Du. [/]
Du fehlst mir gar sehr. Wo ist die Freundin, mit der ich mich innig aus der Fülle meines Herzens unterreden, mit der ich nach durcharbeitetem Tage die herzlichen, heimlichen Abendstunden hinbringen könne? – Wo ist die, die mir allen unangenehmen Detail abnahm? die so gütig für all meine kleine Bedürfniße sorgte? – Mit diesem Punkte steht es jezt so ziemlich übel; besonders da man in Jena von dieser Seite wahrhaftig recht schlimm daran ist. Zu eßen allenfalls – aber wie? – hätte ich; zu trinken kann ich vor der Hand, wenn ich nicht ihren theuren Wein trinken will, nichts ausgattern. – Ich denke, ich werde mich in eine Privat=Familie vertischgelden, wie die Zürcher mit einem neuen, aber expreßiven Worte sagen.
Cramer aus Zürich ist diesen Morgen bei mir gewesen, u. hat sich für meine Vorlesung gemeldet. Er ist ein sehr artiger junger Mann. (Im Vorbeigehn: ich habe von dem zweiten Collegium mich glüklich losgemacht, und lese nur Eins. Meine Einnahme verringert dadurch sich freilich wenigstens um die Hälfte; aber es sey! dafür werde ich mich auch nicht krank studiren) Rahn habe ich noch nicht gesehen.
Ich habe gehoft einen Brief von Dir allhier vorzufinden. Als ich ankam, lag einer da; ich begehrte ihn begierig. Er war von einem Buchhändler, und nicht von Dir, und das verdroß mich nicht wenig. Hätte ich ihn lieber noch 14. Tage unerbrochen gelaßen, dachte ich.
Wie geht es dem lieben guten Vater. Die Gräfin Bernstorf, die mich [/] hingerißen hat, (sey nicht eifersüchtig! sie ist sehr alt, und sehr häßlich; aber – sie hat Verstand) und Wieland erinnerten sich Deines Vaters. Besonders glaubte der leztere, der Deinen Vater aus seiner Jugend von einer höchstvortheilhaften Seite kennt, und sich alle der Szenen mit Bodmer, u. Klopstok sehr bestimmt erinnerte, bei ihm höchst übel angeschrieben stehen zu müßen; welches Vorurtheil ich ihm aber benommen habe. Er empfing mich höchst freundschaftlich.
So auch Göthe. Doch hat aus gewißen Ursachen für Gorani noch nichts geschehen können. Man muß noch einige Wochen Geduld haben. Wenn ich binnen dieser Zeit nicht entgegengesezte Aufträge erhalte, so werde ich dann wirken. – Ich muß mich selbst sehr in Acht nehmen. Nicht, als ob man Neigung hätte, mir etwas anzuhaben: sondern weil ich bei vielen – nicht bloß bei Studenten – große Lust finde sich hinter mich zu stecken, und mich zu allerlei Dingen zu verleiten, um unter meinem Schutze das gleiche, oder ärgeres zu treiben. – Du kennst mich zu wohl, als daß Du glauben solltest, daß ich dazu zu gebrauchen sey. Ich laße sie reden, winken, hoffen, was sie wollen; und thue, was ich will
Schreib mir doch ja recht bald, u. ausführlich von allem, was mich intereßiren könnte; dafür verspreche ich Dir denn auch von nun alle 8. Tage richtig zu schreiben.
Wie befindet sich Papagen? wie geht es Dir? beantworte mir diese Frage aber ja nicht etwa mit Klagen, sondern sage mir, daß es Dir wohl geht. [/]
Grüße recht herzlich alles, was nach mir fragt; – besonders Schultes, Lavater u.s.w. Schreiben kann, und werde ich jezt keinem Menschen, wer aber an mich schreibt, dem werde ich freilich antworten.
Ich habe keine Zeit mehr, und habe auch eben nichts mehr zu schreiben, als das bekannte, daß ich Dich über alles liebe, und daß ich wünschte Dich bei mir zu haben. Lebe wohl
Dein Fichte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 20. Mai 1794
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 112‒114.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 94
Language
  • German

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