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Johanna Fichte to Johann Gottlieb Fichte

Zürich den 31. Maj 1794:
Theurste Seele!
Zwey unglükliche Poosttage sind wieder gewesen, und ich habe keine Briefe von meinem Fichte; wie mir dann allemahl zu Muthe wird, kann ich nicht beschreiben; wenn Du das so recht wüßtest, ich weiß gewis, Dein gutes Herz, könnte mich nicht so leiden sehn: daß Du in Jena schon seit mehr als 8: Tagen bist, ist gewis, denn heute haben wir den 26: Zwey Briefe von mir wirst Du Bester empfangen haben; von G: erfuhren wir 10: Tage nach seiner Abreise, daß er uns herzlich grüßen laße, irgendwo im verborgensten Incognito Lebe, und uns sehr bitte ihm zu schreiben, ich schrieb ihm gleich, daß Du mir Deine Ankunft in Frank: gemeldet, und so bald ich fernere Nachricht von Dir hätte, ihn betreffend, ichs ihm schreiben würde; wie auch, daß er sich auf Deine treue, und thätige Freundschaft verlaßen könne, vor 8: Tagen erzählte ein Fremder an Schwerdtwirthstafel [,] der gute Mann, sey in der Gegend von Frauenfeld arretiert worden. Gott gebe daß es ein falsches Gerücht sey; Er daurt uns in der Seele, und ich weiß gewis, daß mein Theurster alles für ihn, in Jena thun wird.
Tausend Dank für Deine Politischen Neuigkeiten; auch auf der deutschen seite bey Basel, erzählt man, daß die Östreicher, Weiber mishandelt, aufs grausamste umgebracht, und Kinder am Spiese gebrathen, und gegeßen haben. man haßt diese Ungeheuer, welche sich Menschen nennen, allenthalben, und wünscht auch dort Franzosen.
Pestaluz ist heute da gewesen, läßt herzlich grüßen, und wollte von Dir hören, viel konnte ich ihm leider nicht sagen; Baggessen habe seine Frau beßer angetroffen, als er hatt hoffen dörfen; alle alle Zürcher Freunde Grüßen Dich Bester herzlich; unser gute Vatter Tausend Tausend mahl! Er befindet sich gottlob wohl, und wünscht auch sehnlich nach Briefe von Dir; diese traurige Trennungs Zeit, ist eine Zeit der Quall, und der Angst, wie ichs mir im voraus vorstellen konnte.
den: 28: Ach Gott, heute ist der dritte Poosttag, und wieder kein Brief von meinem Fichte; ich hab hier eine wirkliche Hölle, denn meine Seelenleiden, sind unbeschreiblich; seit dem 15: oder 16: Must Du in Jena sein, und wenn Du erst den 20: geschrieben, so hät ich doch heute einen Brief bekommen; Du weißt [/] daß mein einzigs Labsahl izt, Deine Briefe sind; ich weiß daß Du mich nicht quälen willst; daß Dein gutes Herz, Dein mir so theures, vortrefliche Herz, mir so gerne meine Leiden erleichtert; allso muß Dir was vorgefallen sein, daß Du mir nicht schreibst; O Gott! hilf mir diese unglükliche Zeit überstehn. Ich bitte Dich Bester, Theurster! schreib mir doch aus Erbarmen alle 12 Tage, damit ich doch nicht völlig 2: Wochen auf Deine Briefe harren müße, denn Du kannst Dirs nicht vorstellen was ich leide; und wenn Du keine Zeit hast, so schreib mir nur mit 2: Worten, ich bin gesund, vergnügt, und Liebe Dich noch. Habe Mitleiden mit mir Theurster, daß mein unglüklichs Herz, dieser Nachricht so sehr bedarf: ich trage sie ein mahl diese Feßlen, und werde sie noch jehnseit des Grabes tragen, vielleicht sind sie denn keine Feßlen mehr.
Der gute Vatter, der sich auch so sehnsuchtsvoll, nach Deinen Briefen <umsieht> trägt mir auf Dich Bester zu fragen; ob Dus nicht auch vor das rathsamste, und vortheilhafteste haltest? daß wir mit Tommann reisen; er fordert des Tags für sich, sein Pferd, und Chaise 4: Gulden, dafür muß er sich und Pferd erhalten, am ruhe Tag 2: Gulden, im Fall wir ruhen müßten; er betheurt daß er mit seinem einzigen Pferd alle Tage 16: Stun<den> mache, Papa kann aber höchstens 12: des Tags machen, allso dafür wäre gesorgt; für seine Rükreise rechnet er 10: Tage, die müßten wir ihm auch zahlen, wenn Du Bester während der Zeit ihm nicht vielleicht Jemand zum Retour findst: ich will nun rechnen daß wir ein Durchschnitt des Tags 10: Stunden machen, wär 14: Tage, kosten 56: Gulden, zum Ruhen im Durchschnit 6: Tage, macht 12: Gulden, allso zusammen 68. Gulden, wenn er auch keinen Retour bekämme, so machte das höchstens 40: Gulden, in 10: Tagen, macht allso zusammen 108: Gulden; nun wißen wir daß wir keine chaise unter 130: Gulden bekommen, haben auf jeder Station, einen andern Postillion, mit denen nicht gut auskommen ist, wenn man nicht reichlich Trinkgelder giebt; auch sagt Papa, haben wir mit Tommann nicht nöthig in den Poosthäusern abzusteigen, wo sie die Reisenden, wegen den Poostpferden warten laßen, damit man braf bey Ihnen verzehre; zu diesem allem kömmt noch hinzu, daß wir auf diese Weise unser Geld von Tommann bekommen, einen treuen Mann bey uns haben, der erstaunliche Lust hat [/] mitzureisen.
Den 4ten Poosttag erhalt ich, Gott sey Dank, Deinen Theuren Brief; welche Freude er mir gemacht kann ich nicht beschreiben, denn ich habe die beyden lezten Poosttage, da ich keinen erhielt, unendlich gelitten; überhaubt hab <ich> ein so entsezlichs Heimweh nach Dir mein ewig geliebter Fichte, daß ich mir nicht vorstellen kann, wie ich noch 9: Wochen ausdauren könne, bis wir vereisen, denn den[n] hoffe ich mit Gottes hilfe daß wir gewis vereisen, wenn wir absolut nicht eher können: ich muß Dir gestehn, daß ich allen meinen Kräften aufbiethen muß, um für Betrübniß nicht krank zu werden; Du zukst vielleicht die Achselen mein Bester, und denkst, ja das arme Kind hat eben auch wenig Kräfte; aber berechne auch wie viel Kräfte es braucht, um diese unausstehliche Trennung auszuhalten. O ich beschwöre Dich, schreib mir doch alle 8: Tage, wie Dus mir in Deinem Theuren Brief versprichts, um diese Wohlthat dürft ich Dich nicht bitten, aber erzeige sie mir Du ewig Theure Seele! Wie ich Dir danke, daß Du Deine zweyte Vorlesung nicht hälst, kann ich nicht sagen, wenn Du auch noch so wenig verdienst, was macht das, wenn mein Bester nur gesund bleibt, gebe mir Waßer und Brodt, wenn ich nur mit Dir sein, und Leben kann, alles andre ist nichts.
Daß Du Deinen Geburthstag, den für mich so heiligen Tag so vergnügt zu gebracht, freut mich innig, ich brachte ihn sehr in der Stille, in dem süßen Andenken, an Dich zu. Empfehle mich herzlich, allen Deinen Freunden, ich verlange auch auf sie, weil sie in Deiner Nähe, und Deine Freunde sind; haßt Du noch keine Freunde der Musick entdekt? Wie ist Hufelands Frau? wie Steffanis Braut? und Schiller seine Frau? Diesen Brief schlag ich an Hufeland ein, weil ichs nicht begreife, daß Du meine beyden Briefe noch nicht erhalten hast. Der erste von 7: der 2: vom 17: im ersteren wahren 3: Briefe eingeschloßen, die für Dich gekommen sind, das begreife ich nicht!
Da die Einrichtung in Jena nicht so ist, wie wir vermuthet, so muß ich Dich bitten ein Tischort zu wählen, wo auch wir für den Anfang sein können, bis das nöthige Hausrath gekauft ist: wie stehts dann mit dem Bier? Trinke doch um Gotteswillen nichts, [daß] Deiner Theuren gesundheit schaden könne; das Waßer taugt glaub ich nicht viel dort, man sagt alle Schweizer welche dort hinkommen, werden krank, nun in Gottesnamen, so werd ich krank, ich bin dann ja bey meinem Fichte; daß Rahn noch nicht bey Dir gewesen, ist nicht artig: es ist gewis Furcht welche ihn zurük hält; daß Du seinen Eltern lieb bist hab ich deutlich gemerkt; schreib mir auch was Deine Vorlesungen vor <Zeugen> verursacht haben; daß Dich Niemand überlistlen kann, bin ich gewis: die armen Menschen [/] kennen meinen Fichte nicht, da fehlts ihnen.
Über Gorani hab ich Dir in meinen vorigen Briefen weitläuftig geschrieben, in der fröhlichen Hoffnung Du habest sie izt gewis, sag ich izt kein Wort, als daß ich nichts neues weiß, und daß er Deiner hilfe sehr bedarf. Spaziehrst Du auch fleißig Bester? ich bitte Dich thu es doch!
Diesen Brief will ich an Schüz Franco schiken, und mein Vatter macht die Adr<esse>, denn Hufeland ist vielleicht noch nicht zu Hause.
Tausend Sachen möcht ich Dich Bester noch fragen, und andre sagen, aber ich traue dem Papier nicht; noch einmahl diese herzliche Bitte an Dich, schreib mir doch alle 8: Tage; ich Liebe Dich so sehr von ganzer Seele, daß ich diese Wohlthat höchst nöthig habe. Lebe wohl! Gott sey mit Dir! ewig Deine
Fichtin.
Seit Empfang Deines Theuren Briefs, bin ich ruhig, und auch munterer; Vätterchen schreibt Dir auch; mache doch eine kleine Beschreibung von Deinem izigen Lebenslauf; den meinigen weist Du schon, nur kommt noch hinzu, daß ich mir viel mit den Menschen herum plagen muß, welche uns schuldig sind; ich würde mich freun wenn mans ihnen schenken könnte, aber das kann nicht sein: in La Chaudefond sind in Zeit 4: Stunden 300: haushaltungen durch das Feuer verarmt, meine Brüder sind Gottlob von diesem Unglük verschont geblieben; dies war uns ein großer Trost; daß mein Brief ein schrecklichs Wirwar ist, ist nur zu gewis; verzeih mir Bester! Du willst ja keine schönen Briefe von mir, und daß ich nicht alles in Worte zu bringen weiß, was mein Herz für Dich fühlt, weißt Du schon.
Metadata Concerning Header
  • Date: 26. bis 31. Mai 1794
  • Sender: Johanna Fichte ·
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 121‒125.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 96
Language
  • German

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