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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Jena, d. 14. Jun. 1794.
Mein dennoch mir theures, liebes, gutes Weib,
Ob ich Dir gleich zur wohlverdienten Strafe für Deinen Brief vom 31. Mäi nicht wieder schreiben wollte, bis ich einen vernünftigern erhalten hätte, so kann ich doch, da ich nach einer sehr geschäftsvollen, und zerstreuungsvollen Woche den ersten Augenblik frei athme, es nicht über’s Herz bringen, [nicht] ein wenig mit Dir zu plaudern. Behalte ich es doch immer in meiner Macht, den Brief abzuschiken oder nicht.
Auch will ich Dir den Erweiß der mancherlei Fehlschlüße, und der sonderbaren ängstlichen Leidenschaft schenken, die in jenem Briefe sich zeigen; sowie die Erinnerung, daß ich Dir schon in Zürich hundertmal gesagt habe, daß es zu Jena keinen „Tischort” kein Zürcher „vertischgäldte” giebt. Warscheinlich wirst Du mein[e] Wirthschaft schon ganz eingerichtet finden, wenn Du ankommst. Schikst Du mir dazu Geld, so ist es recht und wohl gethan; schikst Du mir keins, so borge, bettle, stehle ich es dazu von Juden, und Christen.
Meine ökonomischen Aussichten sind nicht schlecht. Ich kann rechnen bis Michaelis allein gegen 600 fl. durch Schriftstellerei d.i für mein Lehrbuch, worüber ich Kollegia lese. einzunehmen; nicht gerechnet, was ich für das Kollegium selbst und an Besoldung bekomme (900 fl. ohngefähr nehme ich bis Michaelis ein). Künftiges Winterhalbjahr schreibe ich zwei Lehrbücher, und lese 2. bis drei Vorlesungen, die auch wenigstens noch einmal so stark besezt seyn werden. Also muß meine Einnahme dann wenigstens noch einmal so stark seyn. – Aber, was mehr ist, ich bin in eine Verbindung getreten, wo ich für den gedrukten Bogen (nicht von meinen Lehrbüchern, sondern von Nebenarbeiten) gegen 50 fl. erhalte. Da brauche ich des Jahrs nur einige Bogen hinein zu arbeiten, so habe ich einen sehr ansehnlichen Zuschuß. – Ferner habe ich entdekt, daß man, wenn man seine Sachen nur klug anfängt, mit nicht gar viel Gelde eine erträgliche Rolle allhier spielen kann. Mein Vorgänger freilich ist mit 3000 fl. (die er wie ich berechnen kann sicherlich eingenommen) nicht [/] ausgekommen; aber hat es auch darnach gemacht: und wir werden es so nicht machen. Dies über O[e]konomie; weil ich in einem meiner vorigen Briefe lamentirt habe, als ich auf jene ansehnlichen Honoraria für Bücher noch nicht rechnen konnte. Es versteht sich aber, daß Du diese meine ökonomischen Nachrichten nicht in Zürich ausplaudern, noch ausplaudern laßen mußt, – ferner, daß Du darum, weil es mit mir gut geht, doch in Zürich sowenig als möglich verlieren mußt. Ein Thaler baares Geld ist in unsrer ersten Einrichtung immer zu brauchen.
Ferner wüste ich damals auch noch nicht, wie es zuginge, daß ich – zwar immer soviele als andre – aber doch nicht die Hälfte soviel Zuhörer hatte, als mein Vorgänger Reinhold. Ich fing schon an zu zweifeln, ob ich durchdringen würde. – Aber, siehe da, ich bin schon, und das zwar in 4. Wochen, durchgedrungen. Meine öffentlichen Vorlesungen halte ich in dem grösten Auditorium, das es in Jena giebt, und dennoch stehen noch immer eine Menge Menschen vor der Thüre; gestern Abend hat mir die halbe Universität eine sehr sollenne Musik, u. ein Vivat gebracht; u. es ist sehr glaublich, daß ich gegenwärtig wohl der geliebteste unter allen hiesigen Profeßoren bin, und daß sie schon heute mich nicht gegen Reinhold austauschten. Mithin werden meine Privat=Vorlesungen ins künftige auch sehr stark besezt seyn.
Die Laufbahn ist gut eröfnet. Ansehen bei den Studenten, und ein gewißer Wohlstand giebt auch Ansehen bei den Profeßoren, Ministern, u.s.w. u.s.w. So habe ich unter den erstern wirklich schon Ansehen, als ob ich seit 10. Jahren Profeßor wäre. –
Der Herzog von Weimar wird so eben kommen; ich bin zur Tafel geladen; werde aber warscheinlich ihm noch vorher aufwarten. – Ich komme zu diesem Papiere zurük, und werde dann warscheinlich etwas zu erzählen haben.
d. 15. Jun.
Hier ist ein Brief von der HofPredigerin Schulz aus Königsberg an Dich. Ich schließe aus einigen Worten, die ich lesen kann, daß er sehr freundschaftlich ist. [/] Ich wünsche, daß Du ihn auch lesen könnest: oder wenigstens ein paar Worte lesen könnest, damit es der Mühe des Hinsendens verlohne. Ich übersetze den Brief der Schulzin, weil ich eben noch Zeit habe.
Alle neuen Profeßoren haben gestern vor der Tafel dem Herzoge aufwarten wollen, und er hat keinen angenommen, als mich. Mit mir aber hat er sich sehr lange unterhalten, sowie er auch nach der Tafel stets diejenigen Zirkel aufsuchte, wo ich mich befand. Ferner höre ich heute eine Anekdote von ihm, die sehr zu meinem Vortheil gereicht. – Das ist an sich nichts; aber um seiner Wirkungen Willen ist es gut. Ferner zeigt sich Göthe fortdauernd als meinen warmen Freund, und ich dürfte sagen, Bewunderer; nicht weniger Wieland, welcher seinem Schwiegersohn Reinholden gerathen haben soll, vor der Hand in der Philosophie still zu stehen, mein System zu erwarten, und dann mir zum Erklärer, und Verbreiter zu dienen, wie vorher Kanten.
Dem lieben Papagen sage, daß ich hier zwei citoyens de France hätte, die mit aller Wärme an mir hangen, und die sich auf ihn freuen, weil ich ihnen gesagt habe, daß auch er ein schwärmerischer Freund der citoyens sey. – Ueberhaupt ist Jena, und insbesondre ich in Frankreich bekannt genug, und ich denke, daß ich noch mehr Franken hieher ziehen will. – Aber, höre einmal: Du klagest, und ängstest Dich genug, wenn Du ein paar Posttage keinen Brief bekommst, und ich habe nun auch seit 2. Posttagen keinen bekommen. Befleißige Dich des Schreibens selbst ein wenig mehr: u. komm bald. Es wird mir doch so sehnend nach Dir. Ich sehe doch, daß ich ohne Dich nicht mehr recht leben kann.
Sollte ich zu diesem Papiere nicht wieder zurükkommen, so behüte Dich Gott; und lebe wohl.
Der Deinige
F.
Nach Erhaltung Deines Briefs vom 7ten . .
Zuförderst meinen Dank für diesen vernünftigen Brief. So bist Du auch mein gutes liebes herrliches Weib, u. alles ist vergeben, u. vergeßen. Nur halt Wort, u. schreib nicht mehr so kläglich.
Was meine Umstände anbetrift, darüber habe ich Dir schon im voraus geschrieben; auch über unsre Einrichtung. Schmal werden wir es nicht haben, wie Du aus dem obigen siehst: u. was die großen Vortheile anbelangt, die man Deiner Rechnung nach von einer eingeschränkten [Einnahme] hat, – so, denke ich, – werden wir uns über diesen Verlust zu trösten wißen. Noch gestern bin ich wieder um ein Privatißimum gebeten worden, wo einige Profeßoren, Doktoren, und unter andern auch eine Dame bei mir Philosophie hören wollen. Da könnte ich wieder Geld schneiden, wenn ich wollte.
Ich beantworte Deine Fragen, in sofern sie noch nicht beantwortet sind.
Die Lebens Mittel sind nicht theuer. Ich glaube, daß man von Mir erwarten wird, daß ich einigen Aufwand mache, weil man voraussezt, daß ich mich sehr gut stehen werde. Du weißt darüber meine Regeln. Wenn ich einnehme, was ich oben berechnet habe, so können wir ein recht gutes Haus machen, u. doch noch einen Noth=Pfennig zurüklegen, – d. i. bei kluger, ich sage kluger Wirthschaft. Die Kleider sind hier weit wohlfeiler, als in Zürich; aber theurer als z.B. in Leipzig. Aber man kann seine Bedürfniße von daher ziehen. Es hat mir nicht geschienen, daß die Dames hier große Kleider Pracht treiben; meist weis[s]e Kleider; nur mit Deinem Kopfputze müste eine Aenderung vorgehen, die doch unmöglich viel kosten kann. Ueber diesen Punkt werde ich Dir die Schütz zur Hofmeisterin geben, wenn alles bleibt, wie es ist. – Hufelands Haus ist mir sehr wenig zugänglich; auch ist es, glaub ich, kein Muster für uns. – Dienste, mein Kind, braucht man; ich z. B. brauche ihrer genug. Doch habe ich darüber noch nichts beschloßen. Männliche Bediente sind aber nicht so ge[/]bräuchlich, als ich glaubte. Nur einige, die die grösten Häuser machen, haben welche. Doch glaube ich, daß wir, um unsers guten Vaters Willen, einen brauchen. – Aber denke doch ja nicht, daß die hiesigen Dienste solche abscheuliche Menschen sind, als die Zürcher. Die einzige Erbsünde des Betrügens abgerechnet – wogegen Du aber wohl auf Deiner Hut seyn wirst – sind sie bei weitem beßer. Ich habe schon Möbeln bestellt: schreibe mir, ob Du mir Geld schiken willst, damit ich mich darnach richten kann. Bis jezt ist weiter nichts bestellt, als was ich füglich selbst bezahlen kann.
Ich habe schreklich viel zu thun, u. muß hier schließen. Ganz der Deine
d. 17. Jun.
Die Hofräthin Schütz sagt Papagen, u. Dir viel schönes. Sie wollte dem erstern antworten; sie schreibt mir aber eben, daß sie nicht Zeit habe. Von Dir versichert sie, daß Du eben so die erste Frau seyn müstest, als ich in ihren Augen der erste Mann wäre. Mag wohl seyn! Ich aber muß heute einen ganzen Drukbogen arbeiten. Mancher andre hätte Noth genug, ihn nur zu schreiben. Daher Gott befohlen. Krank arbeite ich mich nun eben nicht, wie Du selbst aus Erfahrung gar wohl weißt; sondern gesund. Sey daher über mein vieles Arbeiten nur ganz außer Sorgen.
Metadata Concerning Header
  • Date: 14. bis 17. Juni 1794
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 133‒137.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 98
Language
  • German

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