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Johanna Fichte to Johann Gottlieb Fichte

Zürich den: 21: Juni 1794:
Theurste, Beste Seele!
Die Zürcher haben her geschrieben, daß Du so erstaunlich viel Zuhörer habest, überhaubt, daß Dein Hinkommen so viel Auf sehn gemacht: unsere Freunde haben sich drüber gefreut, und es uns erzehlt; Zürich wird immer so ziemlich wißen, was wir dort machen, und wie es uns gehe.
Wegen der Tischgesellschaft, möcht ich Theurster, nur ein paar Fragen thun: erstens glaubst Du daß es Männer sind? mit welchen Du Jahre lang täglich eßen möchtest? denn ich stelle mir vor, daß wenn man sich trennen müßte, so würde es mit Verdrießlichkeit geschehn, und denn ists beßer man bleibe zuerst von einander; zweytens; Ist es möglich, daß bey der wolfeilen Art zu Speisen, der geringste Vortheil für die Haushaltung heraus komme? Drittens, kann es mit Anstand geschehn? da Niemand als Wirthshäuser, und traiteurs [Speisen]: Du Bester kannst diese Fragen allein beantworten, was mich betrieft, so unterziehe ich mich gern jeder Beschwerde, wenn Du Vergnügen da durch hast, und wenns für die Haushaltung vortheilhaft ist.
Fünfzehn hundert Gulden, kann ich mit Gewisheit bis Ende des künftigen Monaths zusammen bringen; und sollte mir was dran mangeln, so weiß ich, daß mein guter Vatter mir das Fehlende leihen würde, welches ich ihm denn wieder geben kann, wenn mir das übrige eingeht; allso kannst Du Bester deßen gewis versichert sein: aber eben so gewis ist es leider, daß ich Dir vorher nichts schiken kann, weil ich izt nichts habe, (auch mein lieber Vatter nichts hat, weil er dem Sekelamt etliche [/] tausend Gulden geben, und die Rechnung ablegen muß, und ihm noch nicht alles eingegangen ist.) und meine Zahlungen mir erst gegen Ende des künftigen Monaths versprochen sind: daß ich, so lange ich hier bin, auf eine unausstehliche Art werde geplagt werden, bis ich das armseilige Geld werde zusammen bringen, ist leider nur zu gewis.
Wir hoffen, gewis, in 6: Wochen Abreisen zu können, mein Theurster, wenn Gott meinem Vatter fernere Gesundheit schenkt, so wie ichs izt hoffen darf; da wären wir gewis Ende August bey Dir; nun glaubte ich, wenn Du, oder eine Freundinn die Güte hätten, im Falle man alles neu kaufen muß; hausräthliche Sachen, als Tische, Comoden, Schränke, Bethstellen, Stühle, Soffas, Schreibtisch; bey einem Tischmacher zu bestellen, und accordieren; damit sie auf Micheli vertig wären, denn früher glaub ich, können wir nicht einziehn: nun sind noch fast 5: Wochen, von Ende August, bis Micheli; da würd ich denn das Küchen=Geräth selber einkaufen; denn ich möchte gern eiserne töpfe zum kochen, und nicht irdene, welche man des Jahrs 3:mahl kaufen muß; wegen brechen. und die andren halten länger denn 30: Jahre, also ist wahrer vortheil dabey; in der Fabrique bekömmt man ja das übrige, allso hät ich dazu völlig Zeit.
Was nun Bethzeug, Better, Tischzeug, und solche Sachen betrift, die bringe ich ja mit, allso brauchte man da nichts zu kaufen; so wäre denn die Liebe Haushaltung bald in Orndnung, wornach ich mich freylich herzlich sehne, ein mahl in Orndnung, und Ruh zu kommen, denn bis dahin giebts keine.
Mit dem Eßen werden wir uns wohl bequemen müßen; mir ist aber nicht bange, der liebe Vatter braucht blut wenig, [/] und mir ist alles Eßen gleich; wenn ich nur gesund bleibe dabey; aber wegem dem Trinken, und wegen Dir Bester ist mir bange; was ist denn für eine art zu Eßen dort? Du lebtest doch hier, bey einer armseiligen Kocherey gesund, ists denn noch ärger, als es hier war?
Ich habe Dir Theurster; nun meine Meinung, so gut ichs verstehe, geschrieben, weils Du’s verlangtest; sag mir auch die Deine, ich bitte Dich drum: Heute ist es Mitwochen, und 7: Wochen seit dem Du vereist bist; das war eine lange Zeit; ich sehne mich unaussprechlich nach der glüklichen Stunde des Wiedersehns; auch mein Lieber Vatter thut es; Er sagt immer wir wollen zu unserm Fichte; es hat Ihm weh gethan, daß Du ihm in Deinen lezten Brief nicht einmahl grüßen läßest und er Dir allemahl schreibt; mir wars aber, ich fühlte es, indem ich den lezten Brief laß, Du seyest verdrießlich während dem schreiben gewesen, und drum bekamm Vätterchen auch keinen Gruß.
Mein Vatter wußte, daß eine Schwester meiner selligen Mutter, mit einem H. Schmid verheurathet, aber er wußte nichts von ihrer Art zu Leben; noch wo sie lebten: Der Gedanke aber, daß sie eine Schwester meiner selligen, mir verehrungswürdigen, unvergeßlichen Muter ist; erregt bey mir den Wunsch sie kennen zu lernen; und seh ich, daß sie mit Achtung, und Liebe, von der Unvergeßlichen spricht, so werd ich sie lieben können; und mein Fichte wird mir diesen Umgang nicht versagen, dazu kenne ich sein Herz; denn ich bin dem Andenken der Selligen, die innigste Liebe, die tiefste Achtung schuldig; ich bin Stolz darauf eine solche Mutter gehabt zu haben, mit einer so edlen, großen Seele und ich will keine ihr unwürdige Tochter sein; sollte ich jemahls auf irgend einem Gesicht, verwundrung über diesen Umgang lesen, so werd ichs ihm erklären wer meine Mutter war, und was ich ihr schuldig bin; und sollte ich meine Tante von einer verachtungswürdigen [/] Seite kennen lernen; so will [ich] sie aufmahnen, ihrer selligen Schwester würdig zu werden; denn sie war ohne allem Schein, die würdigste der Weiber; mit einem Gesicht, voll Anmuth, Güte, und Liebe, ihr Bild schwebt mir vor der Seele; und sie ist mein Jedeal in allen weiblichen Tugenden, dem ich nachstrebe. O, Sellige, wenn Du würdigest auf die Sterblichen die noch hie nieden wallen, zu bliken; so würdige Dein Kind, Dein Hannchen, eines gütigen Wohlwollens; siehe die Thränen, welche ich oft Deinem Andenkn weihe; stärke mich in allem Edlen und großen, damit ich Deiner würdig werde, Du Theure!
Papa sagt, es müße auch ein Geheimderath Schmid in Weimar sein, welcher uns nahe verwandt ist.
Ich muß noch einmahl Theurster, von meiner Mutter reden, denn sie kommt mir nie aus der Seele, und ich rede so gern von ihr, und freue mich so drauf sie einst wieder zu finden. Vieles [daß] mir mein Gedächtniß zurükbringt, und [daß] ich damahls als Kind nicht verstand, reist mich izt zur Bewundrung hin; Du solltest sie gekannt haben; Du hättest sie gewis geliebt; und wie würde sie Dich geliebt haben, wie würd ihr Herz an dem Deinen gehangen haben, mit welcher Zärtlichkeit, mit welch inniger Liebe.
Du sagst Bester, Du müßest nun recht hinters Arbeiten gehn, ich muß gestehn, das macht mir Angst; denn ich weiß was das sagen will, wenn Fichte sagt, ich muß hinters Arbeiten her, wie Er denn nicht vom Pult weg zu bringen ist; wie der arme Maagen leidet, wie die Zunge weis wird; da möcht ich denn allemahl das Arbeiten verwünschen; und muß schweigen, und dem mit einem Schein von Ruhe zusehn, wenn ich fast vergehn möchte; dies ist eine größere Qual, als Du nicht glaubst; aber auch izt will schweigen: denn Du würdest sonst böse, mit mir, und mein Fichte, muß nie böse mit mir werden. [/]
Sonnabend.
Ach Gott, heute kommt scheints kein Brief von meinem Fichte, denn es ist schon sehr späth; das thut mir weh, sehr weh; Vätterchen sagt, nun da werden wir eine schöne Woche bekommen, daß sich Gott erbarme, ja leider wohl denk ich, und bin sehr betrübt, mir graut recht für diese Woche, wär sie nur schon vorbey.
Ich will auch meine Tante nicht kennen lernen, wenn es meinem Theursten im gerin[g]sten unangenehm ist; wenn er mir beweist, daß ich es nicht dem Andenken, meiner rechtschaffnen selligen Mutter – schuldig bin; ich erkenne keinen andren Richter über mich als mein Gewißen, und meinen Fichte; weil Er ein rechtschaffner Mann ist, und mir nie rathen wird, was [wieder] meine Pflicht ist; denn diese wird mir immer heilig bleiben; mein einziger Wunsch ist, dieser immer im strengsten Sinne des Worts zu folgen, meinen Theuren Mann zu lieben, und alles zu thun, was Ihm nur das Geringste Vergnügen machen kann.
Ch: Tobler war gestern bey uns, und läßt herzlich grüßen; er sagt immer von einem Briefchen, mit dem er Dich heimsuchen wolle; Ch: Rahn hat sich auch ganz besonders und innig gefreut, daß Du so viel Beyfall hast, läßt herzlich Grüßen, wie Alle andren auch. Hoffmann ist da gewesen, und hat sich als ein ehrlicher Mann gezeigt; hat 9: der Dinger (welche ich nun nicht nenne) auf die Welt gebracht, welche freylich ihre Unbequemlichkeit haben, da denk ich aber allemahl; leids, Fichte sieht sie ja gerne, und drüber vergeße ich die Unbequemlichkeiten, und freue mich drüber.
Ich habe gewartet, gewartet, und immer noch gehoft es komme ein Brief von meinem Theursten, aber vergeben’s, nun ists späth, und dieser muß vort, und läßt mich sehr traurig zurük, ach könnt ich [/] mit ihm vort, wie würd ich mich freuen, aber ich muß sizen bleiben, und harren; das ist hart, sehr hart! Ich will nun enden, denn ich würde gar zu betrübt, und dieses Papier bekämm auch was davon: Drum Lebe wohl Theurster! Schreib mir doch aus Erbarmen alle 8: Tage, ich beschwöre Dich drum.
Gott sey mit Dir! Ewig liebt Dich Dein Hannchen Fichte.
Metadata Concerning Header
  • Date: 18. bis 21. Juni 1794
  • Sender: Johanna Fichte
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 139‒142.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 99
Language
  • German

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