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Johann Gottlieb Fichte to Johann Wolfgang von Goethe

Verehrungswürdigster Gönner, und Freund,
Noch in meinem lezten Brief nahm ich bloß des edlen Mannes, und großen Geistes Freundschaft in Anspruch; ich glaubte nicht binnen ein paar Tagen in der Lage zu seyn, Ihr politisches Ansehen in Anspruch zu nehmen.
Man meldet mir von Weimar aus: „es würden daselbst Schändlichkeiten (es sind genau zu reden nur Dummheiten) herum geboten, die ich in meinen Vorlesungen vorgetragen haben solle. Meine Lage sey gefährlich. Es sey von einer gewißen Klaße ein[e] förmliche Verbindung gegen mich <partheyt>. Der Herzog höre Sie, und was es noch an Männern giebt, seltner, als andre, die in jenen Bund gehörten; ich solle nicht so sicher seyn, der Folgen halber, – kurz, ich könne abgesezt seyn, ehe ich mir’s versähe, u.s.w. u.s.w.” Man giebt mir Rathschläge, die ich sicher befolgen würde, wenn ich – Parmenio wäre. – „Ich soll eine gewiße anonyme Schrift abläugnen, die mir zugeschrieben wird” Mag ein andrer sich so etwas erlauben; ich halte es mir nicht für erlaubt. Anerkennen werde ich auch keine anonyme Schrift. Wer seine Schriften anerkennen will, der thut es gleich bei der [/] Herausgabe. Wer anonym schreibt, will sie nicht anerkennen.
„Ich soll mich doch nur wenigstens dieses halbe Jahr in Acht nehmen, um die Politik nicht zu berühren.” Ich lese nicht Politik, und bin dazu nicht berufen. Das Naturrecht werde ich freilich, wenn es in meinem Kursus an der Reihe ist, meiner Ueberzeugung gemäß lesen, man verbiete es mir denn ausdrüklich, und öffentlich; aber es kommt im ersten Jahre gewiß noch nicht an die Reihe. Ich handle dieses halbe Jahr nach Regeln, nach denen ich immer handeln werde; und werde immer so handeln, wie ich dieses halbe Jahr handle. Ich habe keine besondre Sommer= und keine besondre Winter=Moral.
„Ich soll mich verstehen, um desto mehr Gutes stiften zu können” Das ist Jesuiter Moral. Ich bin dazu da gutes zu thun, wenn ich kann; aber böses thun darf ich unter keiner Bedingung, und auch nicht unter der des künftigen Gutesthun’s. Betrachte ich mich hierbei völlig isolirt, so wäre ich der lezte unter den Menschen, wenn ich bei meinen Grundsätzen, und bei der etwanigen Kraft, mit der ich sie gefaßt habe, irgend etwas fürchten, und darum auch nur um eines Fußes Breite von meiner Bahn weichen wollte. Wer den Tod nicht fürchtet, was unter dem Monde soll der doch fürchten? – Ueberhaupt, es wäre dann lächerlich, wenn ich jene Dinge nur einer ernsthaften Maasregel würdigen wollte. [/]
Aber ich bin leider nicht mehr isolirt. An mein Schiksal ist das Schiksal mehrerer Menschen gebunden. Ich rede nicht von meiner Frau. Sie wäre es nicht, wenn ich ihr nicht die gleichen Grundsätze zutraute. Aber an Sie ist ein 74 jähriger Greis, ihr Vater, unzertrennlich gebunden. Sein Alter bedarf der Ruhe; er kann nicht der Gefahr, umhergetrieben zu werden, sich aussetzen, der ich selbst mich wohl aussetzen darf. Es ist also die Frage, und es ist nöthig daß diese Frage bei Zeiten beantwortet werde: Kann, und will der Fürst, dem ich mich anvertraut habe, mich schützen? will er’s unter folgenden Bedingungen?
Ich komme künftigen Sonnabend nach Weimar, und stelle mich den Leuten, die mir etwas zu sagen haben könnten, unter’s Gesicht, um zu sehen, ob sie Muth genug haben, mir zu sagen, was sie andern von mir sagen. Ich laße die bis jezt öffentlich gehaltnen 4. Vorlesungen, in welchen ich jene Thorheiten gesagt haben soll, und welche ich mit gutem Vorbedacht wörtlich niederschreibe, und wörtlich ablese ehestens unverändert wörtlich abdruken. Es würde die höchste Vergünstigung für mich seyn, wenn der Herzog mir erlauben wollte, ihm dieselben zuzueignen. Mit voller Wahrheit könnte ich diesen Fürsten einer unbegränzten Verehrung versichern, die alles was ich je von ihm gehört, später das, daß er mir bei der Meinung, die das Publikum nun einmal von mir gefaßt hat, ein Lehramt auf seiner Universität anvertraute, in mir gegründet, [/] und welche die persönliche Bekanntschaft mit Demselben ins unendliche erhöht hat. Es würde mich sehr freuen, vor dem ganzen Publikum zeigen zu können, daß ich einen großen Mann verehren kann, auch wenn er ein Fürst ist; und ich sollte glauben, daß diesem Fürsten, der in sein Menschseyn seinen höchsten Werth setzen kann, die Versicherung einer Verehrung, die dem Menschen in ihm, und nicht dem Fürsten gilt, nicht unangenehm seyn könnte. – Ich bin erbötig auf diesen Fall hin, Ihnen oder dem Herzoge selbst die Schrift in Probebogen vorher vorzulegen; sowie auch, wenn es verlangt wird, die Dedikation: ob es mich gleich, ich gestehe es, noch mehr freuen würde, wenn man mir ohne vorläufige Untersuchung zutraute, daß ich mich in einer so delikaten Sache würde zu benehmen wißen.
Wenn man es verlangt, so will ich versprechen, daß eine gewiße anonyme Schrift nicht fortgesezt werden soll; ja ich will sogar versprechen binnen einer beliebigen Zeit keine anonyme Schrift über politische Gegenstände zu schreiben, (wenn nicht etwa die Selbstvertheidigung es nothwendig macht) – Daß ich dies leicht versprechen, und hinterher doch thun könne, was ich wolle, da ich unentdekt zu bleiben hoffen dürfte – diesen Einwurf erwarte ich von Niemanden, mit dem ich unterhandeln soll. Was ich verspreche, halte ich, und wenn auch keiner, als ich selbst, weiß, daß ich es halte. [/]
In meinen Vorlesungen aber kann ich nichts ändern; und werden sie nicht gebilligt, so müßen sie mir überhaupt öffentlich untersagt werden. Ich soll, und werde sagen, was ich nach meiner besten Untersuchung für wahr halte, ich kann irren; ich sage es meinen Zuhörern täglich, daß ich irren kann; aber nachgeben kann ich nur Vernunftgründen. (Wenigstens hat bis jezt noch Niemand sich auch nur den Schein gegeben, als ob er das, was man für meine Irrthümer hält, aus Prinzipien wiederlegen könnte). Ich werde es an seinem Orte, und zu seiner Zeit, d. i. wenn es in der Wissenschaft, die ich lehre, an die Reihe kommt, sagen. Es wird in meinen Vorlesungen zu seiner Zeit auch von der Achtung gegen eingeführte Ordnung, u.s.w. die Rede seyn; und diese Pflichten werden mit nicht geringerm Nachdrucke eingeschärft werden.
Unter diesen Bedingungen nun erwarte ich Schutz, und Ruhe zu Jena, wenigstens so lange mein alter Schwieger Vater lebt; und bitte darüber um das Wort des biedern Fürsten.
Darf ich einige Betrachtungen hinzu setzen, um die Billigkeit meiner Bitte darzuthun. Ich habe keinen Schritt gethan um den Ruf zu erhalten, den ich erhalten habe. Man kannte mich, als man mich rufte; man wußte, welche Schriften mir zugeschrieben würden; man wußte, welche Meinung das Publikum von mir gefaßt hatte; [/] ich habe an den gehörigen Mann geschrieben, und der Brief muß noch existiren, „daß ich eher Mensch gewesen, als akademischer Lehrer, und es länger zu bleiben hofte, und daß ich nicht gesinnt sey, die Pflichten des erstern aufzugeben, und daß ich, wenn das die Meinung sey, auf den erhaltnen Ruf Verzicht thun müße”; ich schrieb dies, als von gewißen Grundsätzen die Rede war.
Ich bin gewarnt worden; man hat mir in der Schweitz von verschiednen Orten her gesagt, daß man mich bloß deshalb riefe, um mich in seine Gewalt zu bekommen. Ich habe diese Drohungen verachtet; ich habe der Ehre des Fürsten, der mich rief, getraut. Er wird mich schützen; oder kann Er’s unter den genannten Bedingungen wenigstens bis auf die bestimmte Zeit nicht, so wird Er mir’s freimüthig sagen. In diesem Falle schreibe ich künftigen Dienstag den Meinigen, die ich nicht ohne Vorbedacht in der Schweitz zurück gelaßen habe, zu bleiben, wo sie sind; und kehre nach Vollendung meiner halbjährigen angefangnen Vorlesung, in mein ruhiges Privatleben zurück.
Vergeben Sie den entschiednen Ton, mit welchem ich geredet habe. Ich wußte, daß ich mit einem Manne, und mit einem [/] gütig gegen mich gesinnten Manne redete.
Mein Antrag wäre lächerlich, wenn bloß von mir die Rede wäre; ich darf keine Gefahr fürchten: aber mein Bewegungsgrund entschuldigt mich vor meinem Herzen, und wird mich vor dem Ihrigen entschuldigen.
Mit wahrer warmer Hochachtung
Ihr
innigst ergebner
Fichte.
Jena
d. 24. Jun. 1794.
Sr. Excellenz
dem Herrn Geheimen Rathe von Göthe
durch Herrn Dr. Oehlenschläger empfiehlt
sich gehorsamst
Fichte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 24. Juni 1794
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johann Wolfgang von Goethe ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Weimar · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 146‒150.
Manuscript
  • Provider: Goethe- und Schiller-Archiv
Language
  • German

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