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Johann Gottlieb Fichte to Samuel Gotthelf Fichte

Meinem Bruder Gotthelf.
Jena, d. 24. Jun. 1794.
Mein lieber Bruder,
Du hast in den Punkten, die ich Dir bei Deiner Prüfung vorgelegt, manches nicht aus dem richtigen Gesichtspunkte angesehen. – Dahin gehören die gelehrten Sprachen. In Erlernung derselben hat ein schon gebildeter Kopf allerdings Vortheile, die das Kind nicht hat; er faßt beßer die allgemeinen Begriffe, die dazu nöthig sind; aber er hat auch Nachtheile. Das mechanische Lernen bloßer Schalle, wie die Wörter sind, ist ihm etwas troknes. Einen Nachtheil aber hat er, an deßen Ueberwindbarkeit ich ganz zweifle: die Verhärtung der Sprachorgane zur Hervorbringung der richtigen Töne, besonders in der Französischen Sprache; wobei Du noch einen Nachtheil mehr hast, als andre, da Dein mütterlicher Dialekt das verdorbne Sächsisch, und noch dazu das höchstverdorbne Ober Lausitzer Sächsische ist. Ich selbst, der ich doch von meiner ersten Kindheit an aus der Gegend gekommen, habe Mühe gehabt, selbst meine teutsche Mundart so zu reinigen, daß man mir mein Geburtsland nicht mehr anhöre; Du wirst das nie können. Französisch gut sprechen habe ich nie lernen können; eben um dieser Muttersprache Willen; u. Du wirst nie auch soweit kommen, um einem Franzosen Dich verständlich zu machen, aus Gründen, die ich Dir mündlich entwikeln will: (nicht bloß der Gaum, u. die Zunge, auch das Ohr wird verhärtet; man hört den rechten Ton gar nicht.) – Ferner ist ein Hauptpunkt das feinere Betragen der großen Welt, das einem Gelehrten, der zur höhern Klasse gehören, u. nicht unter den gemeinen gelehrten Handwerkern verbleiben will, schon jezt nöthig ist, und immer nöthiger wird. Denn der Gelehrten Stand fängt an, sich [/] auf eine immer höhere Stuffe empor zu arbeiten; und ehe Du auftrittst, wird die Sache wieder weit höher getrieben seyn. Wem es in diesem Punkte fehlt, den macht man lächerlich, eben darum, weil man die Uebermacht des Gelehrten unwillig mit ansieht; und nun ist er um alle seine Brauchbarkeit. Du kannst Dir das gar nicht so ganz denken, weil es gänzlich außer Deiner Sphäre liegt. – Ein solches feines Betragen nun lernt in spätem Jahren sich nie; denn die Eindrüke der ersten Erziehung sind unaustilgbar. (Mir sieht man die meinige jezt vielleicht nicht mehr an; aber das macht mein sehr frühes Leben im Miltizschen Hause, mein Leben in Schulpforta, unter meist beßer erzognen Kindern, mein frühes Tanzenlernen u.s.w. Und dennoch hatte ich noch nach meinem Abgange von der Universität einige bäurische Manieren; die bloß das sehr viele Reisen, das viele Hofmeisteriren, in verschiednen Ländern, u. Häusern, und besonders die gröste Aufmerksamkeit auf mich selbst vertilgt haben. Und weiß ich denn, ob sie ganz vertilgt sind? –) Das also ist der Hauptpunkt, über den wir nie kommen werden; u. das – gesteh ich – thut mir weh, weil ich die Wichtigkeit davon einsehe, die Du nicht siehst.
Dennoch, glaub ich, muß die Probe gemacht werden. Gesezt, es geht nicht, so kann es nicht schaden, daß Du wenigstens mit einigen Seiten der höhern Stände bekannt werdest, und eine solche Bekanntschaft kann Dir in mancher Art nüzlich werden.
Hierbei also kommt es auf die Frage an: ob Du Dir Seelenstärke genug zutraust, um, wie es seyn muß, ohne Beklemmung in Deinen jetzigen Stand wieder zurük zu treten? Ich stelle mir, bei gehöriger Seelen Größe, einen solchen Zustand, als sehr angenehm vor. Man kennt dann die Unannehmlichkeiten der höhern Stände aus Erfahrung, und ist in dem seinigen desto zufriedner.
Komm also zu mir; denn ob ich gleich dadurch, daß ich Dich spreche, kaum in irgend etwas näher von Deinem Zustande werde belehrt werden, als ich es schon jezt bin, so freue ich mich doch theils darauf, Dich zu sehen; theils erwarte ich von Dir einige Winke, wohin ich Dich zuerst thun müste. Das allererste muß seyn, Deinen Körper, und Deine Sitten zu bilden (ehe dieses geschehen ist, kann ich Dich auch nicht einmal bei mir haben, weil dadurch auf einer Universität, bei Studenten, auf mich selbst ein übles Licht fallen würde): u. nebenbei zu versuchen, ob das Gedächtniß, und die Zunge die Sprachen faßt. Dies kann ein paar Jahre dauren. Und Du brauchst vor der Hand weniger [/] einen Lehrer, als eine Erzieherin. Um einem jungen Menschen Sitten beizubringen, ist das weibliche Geschlecht schlechthin unentbehrlich. Ferner muß das in einer Stadt, und zwar in einer schon etwas großen Stadt geschehen, u. da kenne ich denn weder Stadt, noch Haus, in die ich Dich thun könnte. Hier in der Nähe wünschte ich es nicht: sonst wäre allenfals Weimar der Ort. Tanzen lernen müstest Du vor allen Dingen. Wenn Du dann so gebildet wärest, daß Du ohne Anstoß in Gesellschaft erscheinen könntest, so nähme ich Dich in mein Haus: und dann wollten wir wohl sehen. – Aber ob es dahin je kommen werde, das ist eben die Frage.
Was Du mir über den Aufwand schreibst, den mir dieses verursachen könnte, das muß ich Dir beantworten. – Du irrst, wenn Du glaubst, daß er gering seyn werde; weil Du die Sache nur einseitig; nur von der Seite des Lernens ansiehst; und auch über diesen Punkt nicht weißst, wie viel zu lernen ist, wovon Du noch gar keinen Begriff hast. Aber es ist überhaupt am wenigsten vom Lernen; es ist von ganzer sittlicher Bildung die Rede; und diese kostet um so mehr Zeit, u. Geld, wenn man schon so lange her verbildet ist. Du wirst aus dem, was ich oben über die erste Vorbereitung gesagt habe, ohngefähr einen Schluß machen können. Aber das thut nichts zur Sache. Was ich mir vornehme, das muß seyn; und dazu muß das Geld mir werden; das wißt ihr ja aus vieljähriger Erfahrung. Ueberhaupt erheitern sich meine Aussichten über diesen Punkt: ich werde eine gute Einnahme, aber freilich auch eine starke Ausgabe haben; denn das geht hier zu Jena stets mit einander, und ist nicht zu trennen. – Aber arbeiten muß ich schon jezt, und werde ich müßen, wie noch nicht leicht ein Mensch gearbeitet hat.
Vom wiedergeben an mich, wovon Du auch redest, kann nie die Frage seyn: und ich will Dir im Fall der Möglichkeit sogleich jetzo feierlich eine Anweisung geben. – Ich würde auf jeden Fall für unsre Eltern etwas gethan, gesorgt haben, ihnen ein bequemeres, freudenvolleres Alter zu verschaffen – besonders unserm guten Vater, der in seinem mühevollen Leben ein frohes Alter gar wohl verdient hätte. An diesen gieb zurük, wenn Dir Dein Plan gelingt; ich will unsern Eltern in Dir noch einen Sohn geben, der für sie thue, was ich vor der Hand nicht thun kann. Ich erwarte Dich. Tritt nicht im Gasthofe ab, sondern komm gerade zu mir: auf der Bachgaße, in der Sp[r]achmeisterin Dyrr Hause wohne ich. Ich weiß nicht, ob ich Dich die Nacht werde logiren können, da ich jezt mir ein eignes Hauswesen einrichte, ein paar Profeßoren den Tisch bei mir haben, und ich vor jezt nur zwei Stuben inne habe. Aber wir werden ja sehen! – Ich bin von 7. Uhr früh Morgens Vormittags immer zu Hause, und ich werde sorgen, daß ich gegen den 7. Jul. nicht so viele Arbeit habe. Ich habe diese zwar immer; aber ich muß voraus arbeiten wenn ich kann. – Ferner wünschte ich nicht, daß Du weder auf dem Wege hierher, noch in der Stadt, noch in meinem Hause verbreitest, in welcher Beziehung Du mit mir stehst. Ich habe dazu meine Ursachen. Wenn Du bei mir bist, so wird sich dann alles finden. Wenn Du aber als mein Bruder erscheinst, so verlangen die Häuser, mit denen ich näher bekannt bin, und es sind deren viele, daß ich Dich mit ihnen bekannt mache: und das könnte weder Dir, noch ihnen, noch mir angenehm seyn. –
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 24. Juni 1794
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Samuel Gotthelf Fichte
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Rammenau · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 150‒153.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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