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Johanna Fichte to Johann Gottlieb Fichte

Zürich d: 26: Juni 1794:
Theurste Seele
Ich fliege noch späth zu diesem Papier, Theure Seele, um mich von diesem Langweiligem Tag zu erholen; denn Du kannst Dir vorstellen wie er war, da das Waaghaus meines guten Vatters Namen’s gefeirt hat, unter einem Getöse, daß mir der Kopf weh thut: sie haben mir doch die Freude gemacht, diese Leute, daß sie mir unter lautem Jauzen Deine Gesundheit zutranken: Es lebe der H: Professer; ja Er möge Leben, der Gute, dacht ich im Herzen; Lange, lange Leben; und mir ward ganz wehmüthig. Der Theure Vatter, nebst einem Graff, Rehden aus Saaxen, Schwager vom Dichter Stolberg*1, war mehrere Stunden auch gegenwärtig: dieser Graff scheint sich recht an Papa attachiert zu haben, er nennt ihn nur lieber Vatter Rahn, von 2ten Tag der Bekanntschaft an: Er ist ein Mann von sehr feiner Lebensart, und vielem Verstand, auch Freund von Klopstok, kennt wer was von Bedeutung in Weimar ist: Herdern hat er sehr liebenswürdig gefunden; Wieland ganz unerwartet eintönig, das fast bis ans Fade gränzt, so daß wenn man den Mann nicht aus seinen Schriften kennte, man ihn, so wie er sich in Gesellschaft zeigt, für sehr alltäglich halten würde. Göthe sehr feiner Hoffmann, der aber zu Stolz sey, um unedel sein zu können. Geheimderath Schmidt; als kluger Hoffmann, der vielen Einfluß dort habe: Dies war so ungefehr seine Schilderung.
Gorani hat mir einen sehr freundschaftlichen Brief geschrieben worin er voll Dankbahrkeit ist, für die treue Theilnahm, [/] welche wir an seinem Schiksahl nehmen; er dankt auch Dir lieber ganz besonders für Deine gütige Offerte, welche er mit Dank annehmen will, so bald er weiß was die Herausgaabe seiner Briefe für eine Wirkung gemacht, sie sind unter der Presse, und er hoft eine gute Wirkung von ihnen. Er weiß daß auf allen Deutschen Poosten auf ihn gelaurt wird, und eine sinnialierte Beschreibung von ihm eingegeben worden ist, so daß er für einmahl nicht reisen kann; in welchem Winkel er lebt, weiß ich nicht, denn seine Briefe haben weder Unterschrift, noch zeigen einen Ort an.
Den 15: August, werden wir mit Gottes Hilfe vereisen, einmahl darnach ist alles eingerichtet; wie sehnlich ichs wünsche, daß wirs können, kann ich nicht beschreiben, auch nicht, wie lange ich nach diesem Zeitpunkt mich gesehnt, und wie lange mir diese Zeit gedeucht hat; nun wird sie ja auch einmahl erlebt sein.
Daß es so viele Menschen hier gäbe, die uns lieb haben, hät ich nie geglaubt, wie ichs nun erfahre; sie wünschen mit recht inniger Theilnahme, daß es uns gut gehn möge, daß wir glüklich reisen, daß sie mich recht rühren, viele haben mich in Eyd, und Pflicht genommen, daß ich ihnen ja schreibe, so daß ichs habe versprechen müßen; Briefe für Dich Theurster, werden mir auch mitgegeben.
Nun schlaffe recht wohl! Liebe theure Seele! ich will auch in’s Beth, es ist sehr späth, und morgen giebt’s wieder viel zu thun. [/]
Sonnabend:
Diesen Augenblik erhalt ich Deinen Theuren Brief vom 12: Das war auch ein Brief, der mich recht erquikt hat; ein Brief, wie ich seit dieser traurigen Trennung noch keinen bekamm; ein Brief woraus ich so ganz meinen ewig geliebten Fichte erkenne; denn in einigen der vorigen, war ich manchmahl in Versuchung zu fragen; Sag Theurster, wo bist Du mit Deinem edlen gefühlvollem Herzen hingerathen; ich schwieg aber, und schriebs den vielen Zerstreuungen zu, die Dir zulezt anekeln würden, dacht ich.
Tausend, tausend Dank Du Theurster für diesen herlichen Brief; meine Seele sehnt sich ganz unbeschreiblich nach Dir; Gottlob, von heute über 3: Wochen sind wir auf der Reise, und eilen zu unserm Geliebten Fichte; welche Freude, das für Vatter und Tochter ist, kann ich nicht sagen, das läßt sich nur fühlen. Ich fürchte orndlich man würde uns mit Besuchen quälen, wenn die guten Leute doch wüßten, wie ich so gar nicht neugirig bin sie zu sehn; wie ich nur um meines Fichte willens komme; wie ganz Jena, und Weimar nicht den geringsten Reiz für mich hat; wie ich Zürich nie verlaßen würde, wo uns so viele Menschen lieben, wenn mein Fichte hier wäre. Daß wir mit solcher Sehnsucht zu Dir eilen Bester, ist Dir ein redender Beweis, unsrer herzlichen Liebe; denn in Absicht auf Ort, und Menschen dort, träumen wir uns nichts weniger als Herlichkeiten; ich glaube gern, daß sie dort mehr Lebensart, mehr Feinheit haben, daß der Thon Ihrer Gesellschaften, weniger steif, und intreßanter ist; wenn wir aber ihren innern Werth beym Lichte betrachten, so könnte die Waagschaale wohl sinken; ich wünsche aber sehr, von diesem Glauben bekehrt zu werden.
Wenn Dir Theurster die Tischgesellschaft, die mindeste Freude machen kann, so sey doch versichert, daß wenn sie mir auch wirklich viel Müh verursachte, ichs gewis gerne thäte; und daß wenn schon die Küche nie meine [/] Liebhaberey gewesen ist, noch werden kann, so thu ich gern alles was mein Fichte gerne sieht; und dieses gielt für immer, nicht nur in Absicht der Küche, sondern in jeder Rüksicht.
Wie die Fabricius weiß, daß Du in die Schüzin verliebt bist,*2 weiß ich nicht; sie sagte es so im Gespräch, und ich ließ es so gesagt sein, ohne das geringste darüber zu sagen, noch zu fragen.
Ich freue mich sehr, daß Du eine gute Köchin hast, ich werde ihr das Leben gewis nicht sauer machen; denn ich kann von diesen Leuten viel tragen, weil sie mich im Grunde dauern; und ihnen ihre Dienstbahrkeit zu erschweren, ich für unerlaubt halte. Du schriebst mir einmahl Theurster von einem Bedienten, wegen den lieben Vatter; er bittet Dich, so wie ich, keinen zu dingen, vors erste bedarf der gute Vatter sehr wenig, vors 2te hat er eine Abneigung gegen männliche Bedienung, weil sie was rauhes, unangenehmes hat; bedarf man noch jemand, so wäre eine Frauenspersohn von Jahren, wohl das beste.
Wenn wir mit Gottes Hilfe vereisen, so werd ich Dir noch 3: Briefe von Zürich aus schreiben, der 3te geht den Tag nach unsrer Abreise vort; das Schiken der Zeitung werd ich jemandem übergeben; habs ichs doch der lieben Zeitung zu danken, daß ich alle 8: Tage schreiben konnte; und ich möchte fast sagen durfte.
Neupriester Schultheß bittet Dich, im Namen des ganzen menschengeschlechts, Du sollest doch nicht so viel arbeiten, und Dir Dein Leben dadurch abkürzen; er redt mir recht aus dem Herzen; werde izt nur nicht böse darüber, daß er mir aus dem Herzen redete; sondern Lebe wohl, Du mir so theure Geliebte Seele! und fühl es ganz wie ich Dich liebe.
Deine Fichtin.
*1 3: Jahre Preusischer Gesandet in Londen: ein Mann mit einem edlen Herzen.
*2 Das Beste ist, daß Du Bester nichts davon weißt.
Metadata Concerning Header
  • Date: 26. bis 28. Juni 1794
  • Sender: Johanna Fichte
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 155‒158.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 100
Language
  • German

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