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Friedrich August Weisshuhn to Johann Gottlieb Fichte

Schönewerde den 20. Junius 1794.
Ihren Brief vom 4ten Juni, den ich erst am 17ten erhalten habe, und gern auf der Stelle persönlich beantwortet hätte, darf ich nicht länger verziehen, wenigstens schriftlich zu beantworten.
Wie freue ich mich, mein theuerster Freund, Sie in Jena zu wissen! Endlich habe ich denn also wieder einmal bestimmte Hoffnung, Sie zu sehen, zu umarmen und mich recht satt mit Ihnen zu plaudern. Denn – trauen Sie den Versicherungen Ihres wahren Freundes! – blos darum eile ich zu Ihnen, nicht aber darum, damit wir einander wiederum erkennbar werden. Wahrhaftig, es wäre schlecht mit dieser Welt bestellt, wenn Leute, die des Eigennutzes und der Falschheit sich nie verdächtig gemacht, post tot seria et lusus, in so kurzer Zeit einander so fremd geworden seyn sollten, als Sie zu befürchten scheinen! Und sind wir nicht auch beiderseits Leute, die Kunst und Wissenschaft ein Bischen mit um ihrer selbst willen lieben? So steht denn unsere Freundschaft fest, und was sich dagegen erheben will, muß Grille seyn. Erörterungen indessen haben für Köpfe, die alles zu erörtern gewohnt sind, vielleicht auch hierin ihren Nutzen. Sie sehen mich also, wenn Sie wollen, auch darum so bald als möglich in Jena, das heißt: so bald ich mit unserm ehrlichen Juch in Leipzig wegen gewisser Nothwendigkeiten mich werde besprochen und verglichen haben. Was sonst noch etwa fehlt, wird sich auch finden; nur bestimmt wann, weiß ich jetzt noch nicht; aber so viel weiß ich, lange soll mich nichts abhalten, meinen Lieblingswunsch zu befriedigen; wenn ich nur halbweg gesund bleibe.
Von dem Succeß Ihres Lesens habe ich schon Nachricht. Ein benachbarter Geistlicher hat mir einen Brief aus Jena communicirt, worinnen der Beifall des neuen Pro[/]fessors der Philosophie sehr hoch angeschlagen wird. Ich freute mich, ohne mich im mindesten zu verwundern: da ich weiß, daß Sie, außer der Sachkenntniß, mit einem trefflichen Gedächtnisse viel Uebung im Vortrage verbinden.
Eigentlich müßte ich, von diesem Absatze an, neu und zwar vom 1sten Juli datiren, wenn ich mich nicht vor mir selbst schämte. Denn offenbar bin ich Ihnen des Stolzes, und auch wohl gar ein Bischen des Neids verdächtig; allein des Brodneids gewiß nicht: denn deshalb mich zu rechtfertigen, wäre unter meiner Würde. Ich habe die Einladung der A.L.Z. vom 24sten Juni zur Mitarbeit in den Fächern der Philosophie und schönen Wissenschaften vorgestern erhalten, und weiß sehr wohl, wem ich diesen ehrenvollen Antrag zunächst verdanken muß. Sie machte mir Vergnügen, und als ich an die Stelle kam, wo die Herausgeber wünschen, „daß meine Antwort bejahend ausfallen möchte” – so mußte ich herzlich lachen. Wäre ich nun stolz oder neidisch, oder beides zugleich, so hätte ich mich über diese Einladung weder freuen noch lachen, am allerwenigsten aber Ihnen dieses aufrichtige Geständniß machen können. Und dieses sey denn Rache für die Schonung meiner Schwachheit in Ihrem letztem Briefe! Uebrigens den Inhalt meiner Antwort auf die Einladung wissen Sie. Ich bekomme ein hübsches Stückchen Arbeit für meine Kräfte; aber meiner Indolenz geschieht daran schon recht; sie scheint mir eines solchen Sporns zu bedürfen. In bedenklichen Fällen muß mir Ihre Kritik zur Hand seyn, – nicht? Denn es wird lange währen, bevor es mir gelingt, Ihnen den großen Vorsprung in der Philosophie wieder abzugewinnen! Sollte es aber auch nie geschehen: so soll dieser sonst so bedenkliche Umstand unsere Freundschaft doch nimmermehr anfechten.
Ihre im Briefe erwähnte Schrift haben Sie vergessen beizulegen, und das thut mir sehr leid: denn Sie können sich leicht vorstellen, wie neugierig ich auf eine Schrift seyn muß, die den Plan zu einer anderweitigen Umschaffung [/] nicht der Kantischen, (welches sonach nur die Methode betreffen würde) sondern der Philosophie überhaupt enthält! Mich wenigstens hat Kant bis jetzt über die Hauptzwecke der Philosophie völlig befriedigt. Gegen die Idealität der Zeit und des Raums wüßte ich, zumal seit Schulzen’s Prüfung, nichts einzuwenden; und überhaupt seine Einschränkung unsers Erkenntnißvermögens auf mögliche Erfahrung, hat er, meines Erachtens nach, vollkommen gerechtfertigt. Eben so richtig und fein scheint mir seine Art das Erkennbare mit dem, was uns ein Bedürfniß der Vernunft zu denken erlaubt und auflegt, zu vergleichen und zu verknüpfen. Die Kantische Moral, deren ganzer Grund vollendet da liegt, ist ein Meisterwerk, das meine wärmste Bewunderung und innigste Ueberzeugung hat. Was aber die Deduktion der Categorien betrifft, so kann ich mich hier einer solchen Ueberzeugung zwar nicht durchgängig rühmen; auch scheint mir die Vorstellkraft, als Centralvermögen in der Oekonomie des Menschen betrachtet, in der Elementarlehre, noch einige Erläuterungen zu versprechen. Allein diese und noch einige andere Punkte, deren Analysis mich nicht ganz befriedigt, sind doch keine so wesentliche Stücke, daß eine Umschaffung der Phiolosophie dadurch nöthig gemacht würde. Ich sehe daher Ihrer Schrift mit ungeduldiger Erwartung entgegen, und mache Ihnen über Ihre Vergeßlichkeit, die nicht viel Theilnehmung bei mir vorauszusetzen scheint, billig Vorwürfe. Und so weiß ich auch nicht, wie ich mich über Ihren Antrag, einen Theil Ihrer Recensionen zu übernehmen, erklären soll. Ich muß erst Ihre Schrift lesen. Ihr Zutrauen indessen freut mich, und ich werde sorgen, es zu verdienen.
Beiliegenden Brief werden Sie gütigst an die Herausgeber der L. Z. besorgen, die mich, im Vorbeigehen zu sagen, für einen Geistlichen halten müssen, indem sie mir den Titel HochEhrwürden geben. Ich habe dessen in meiner Antwort nicht erwähnen wollen; aber da es doch sonderbar [/] lassen würde, diesen Irrthum bestehen zu lassen: so bitte ich Sie, dies gelegentlich abzustellen.
Soll ich Sie noch einmal fragen, was Sie machen und zeither gemacht haben, da ich vielleicht noch binnen einem Monate nicht das Vergnügen haben könnte, Sie zu sehen? Sie sind in der That ein Bischen grausam; doch freut es mich, daß Sie durch diese Zurückhaltung mich strafen zu können glauben. Leben Sie wohl, mein theuerster Freund, und behalten Sie mich ein wenig lieb. Ich bin, voll Dankbarkeit und Freundschaftsgesinnung,
ganz der Ihrige
Weißhuhn.
Metadata Concerning Header
  • Date: 20. Juni bis 1. Juli 1794
  • Sender: Friedrich August Weisshuhn
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Schönewerda ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 162‒164.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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