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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Jena, d. 21. Jul. 1794.
Meine theuerste,
Vom Speculiren ermüdet, wende ich mich zu Dir, um ein wenig mit Dir zu plaudern; und freue mich, daß die Zeit heran rükt, wo ich vom Speculiren ermüdet, mündlich mit Dir plaudern werde. Ich sage, vom Speculiren ermüdet; denn auf andere Zeit rechne nur nicht. Mein Tagewerk, das Geschäft meines Lebens, in welchem ich mit Glük arbeite, ist mir das erste. Daß ich dann, wenn ich brav gearbeitet habe, um nichts schlimmer bin, weißt Du schon aus der Erfahrung. Du hast also vor den Frauen andrer Gelehrten das voraus; welche ihre Männer auch nicht sehen, als wenn sie nicht mehr arbeiten können; dann aber sie verdrüßlich, und übelaufgeräumt sehen. Ich habe mir da bei Jena schon ein Lieblingspläzgen gewählt, wo es mir einigemal sehr wohl gefallen hat. Da wollen wir so mit einander hin spazieren, oder noch lieber fahren, denn ich liebe das Gehen seit einiger Zeit gar nicht sehr; und die Mondschein Abende da zubringen. Aber dieses halbe Jahr über geht es nur Sonnabends; denn die andern Tage muß ich früh um 6. Uhr lesen; also um 4. Uhr aufstehen: u. mithin Abends zu rechter Zeit zu Bette gehen. – Sieh’ darauf freue ich mich schon recht sehr: auf den schönen Herbst, der hier sehr angenehm ist, und spät hinaus dauert. Auch der Frühling erscheint hier sehr bald; und es giebt vortrefliche Gegenden. Also Deine Schweizer lügen in allem; wie sie denn auch die Zahl meiner Zuhörer in’s ungeheure vergrößert haben. Ich habe deren nur gegen 60. – Doch, ich muß nach, und nach mich gewöhnen, die Schweizer in Ehren zu laßen. In Zürich mochtest Du es wohl ertragen; daß ich sie schalt: hier in Jena möchtest Du etwa an meinen Sachsen Repreßalien nehmen wollen: und da käme ich eben recht an. Denn die Jenaischen Einwohner sind der wahre Abschaum des Menschengeschlechts. – Fürchte [Sie] darum nicht etwa. Sie sind kriechende Sünder vor höhern; und überhaupt kannst Du nicht leicht mit ihnen zu thun bekommen; außer da, wo sie Dich werden betrügen wollen; und auch wirklich betrügen werden. [/]
Im Vorbeigehn. Leihe ja keinem Menschen nichts, wenn Du nach Jena kommst; denn hier sind sie noch betrügerischer als in Zürich; wenn es möglich ist.
Ich bin daran eine Wohnung zu miethen. Sie ist in einem ruhigen Winkel der Stadt, wo nichts uns stört: ein kleines Gärtgen am Hause, u. eine angenehme Aussicht. Das Haus ist nur für eine Profeßor Wohnung nicht eingerichtet; es muß <vieles> gebaut werden; u. da will denn der Wirth nicht gern daran; u. das hält uns noch aus einander. Wenn ich es kaufen könnte, dan dürfte ich bauen laßen, wie ich nur wollte. Aber Du willst kein verbrennbares Kapital! Lieber an „Carl’s” u. Compagnie ausgeborgt! – Ich sage das nur im Scherz. Wirklich habe ich gar nicht den Gedanken ein Haus zu kaufen; aus manche<rlei> Gründen. Ueberdies würde ich es nur aus meinem Gelde kaufen: und damit wird es wohl noch Zeit haben, ehe ich so reich bin. – Ich bekomme, wenn wir des Handels Eins werden, ein ganzes Haus, mit 7. Stuben, mehrern Kammern, 2. Küchen, einen geräumigen Hörsaal, Keller, Schuppen, Gärtgen, u.s.w. wovon ich noch einen Theil an Prof. Woltmann vermiethen würde, für 80. rthr. jährlich. Das ist ein guter Schlag; denn man fängt an für weniger 200. rthr zu fordern. Sieh, wie ich auch über Oekonomie speculire, und lächle nicht mehr über Männer=Wirthschaft. – – Mein Tisch z. B. kostet freilich Geld: aber dafür eße, u. trinke ich auch gut: u. die Köchin sollst Du mir wohl laßen, oder ich halte gar einen Koch; was Dir denn noch viel größere Freude machen wird. – So viel ich merken kann, betriegt sie mich mäßig; und das ist in Jena keine geringe Tugend. Wenn Du kommst, so kannst Du es ihr vielleicht ganz und gar abgewöhnen; und das wäre noch beßer. Doch glaube ich es nicht: denn betrogen werden hier alle Menschen; eins betriegt immer das andere; und so kommt zulezt denn alles so ziemlich in’s Gleiche. – Der Profeßor betrügt seine Zuhörer, indem er ihnen Geschwäz für Weißheit; und der Schriftsteller den Verleger, indem er ihm beschriebnes Papier für ein vernünftiges Buch, und [/] die Recensenten das Publikum, indem sie ihm ihre Uebereilungen für gründliche Urtheile verkaufen. Ich zwar glaube in demselbigen Falle mich nicht zu befinden; aber das glaubt auch wohl noch mancher andere nicht, der doch wirklich sich darin befindet. Es giebt aber auch noch viele, die es recht gut wißen, was sie für Windbeuteley treiben.
Nach Erhaltung Deines Briefs v. 12. Jul.
Arme gute liebe Seele; also das Kopfwaschen hat angeschlagen! Thue es nun nicht mehr, und besonders sey nicht mehr so kleingeisterisch, erbärmlich, zürcherisch, burgermeisterisch: so paßirt kein Kopf Waschen mehr; sondern ich bin beständig Dein freundliches, mit Dir zufriednes Männchen. Es beruht ja ganz auf Dir selbst, ob Du lieber den Kopf gewaschen oder ihn nicht gewaschen haben willst. Bist Du hübsch verständig, und großherzig, und voll Muth, u. Zutrauen auf Deinen Fichte, wie sich das ohnedies und ohne alle Furcht vor Kopfwaschereien von Rechtswegen gehört, so wird kein Mensch sich unterstehen, Dir den Kopf zu waschen: bist Du aber, wie oben des weitern gemeldet worden, so muß Dir ja derselbe gewaschen werden, damit Du Dich beßerst, und nicht Dir, und allen, die mit Dir zu thun haben, zur Last lebest. – Du weißst nun, wie Du es zu machen hast, und wirst ohne Zweifel Deine Maasregeln darnach nehmen: Deine alte Natur müste Dir denn lieber seyn, als meine Liebe, und Achtung; die Du auf jene kleingeisterische Art gewiß nicht behaupten kannst.
Die zwei vor meines Briefes v. 30. Jun. Erhaltung geschriebnen Zeilen gäben mir freilich wieder reichlichen Stoff: da sie Dich aber gereut zu haben scheinen, so beantworte ich sie ganz kalt, ohne fernere Moralen.
Zu baden hat die Lage nicht erlaubt; es ist mir unangenehm genug; aber ich habe es nicht ändern können, denke aber auf Mittel. – Was Du über mein vieles Arbeiten sagest, gehört unter die Dinge, die ich Dir – vergeben will. Du weißst aber von nun an meinen festen Entschluß, daß ich mir hierüber nichts einreden laße; kannst Du Dich überzeugen, daß das Arbeiten meiner Gesundheit nichts schadet, so wird es mir lieb seyn: kannst Du es leider nicht, so werde ich en attendant darum nicht weniger arbeiten; denn der Mensch lebt um zu arbeiten; aber er arbeitet nicht, um zu leben. Laß dies auf immer unter uns abgethan seyn. [/]
Den Stutgarder grüße ich herzlich, danke für seine Zuschrift, werde mit nächstem Posttage antworten, welches ich heute nicht kann; und bitte um seine Addreße. Er kann mir sicher schreiben. Meine Briefe sind bis jezt noch nicht eröfnet worden; u. überhaupt, Er risquirt nichts, und ich fürchte mich nicht.
Das, was Kant betrift ist nicht wahr; und es ist daher sehr Schade, um die schönen Lebensregeln für mich, die Du da heraus ziehst. Sie sind rein verloren. Ihr seht aus der Entfernung durch eure Zürcher Brillen die teutschen Regierungen gar wunderseltsam an. Was eure Aristokraten thun würden, wenn sie die Macht dazu hätten, das traut ihr den unsrigen zu, weil sie die Macht haben. Der Unterschied ist nur, daß die unsrigen nicht völlig so dumm sind, wie die eurigen. Es geht euch, wie jenem Kuhhirten Jungen, welcher sich König zu seyn wünschte, um sein Brod mit Syrup bestreichen zu können, so dick er wollte. Gerade so urtheilen eure Aristokraten; und ihr andern seht durch ihre Brille. – Kramer hat wirklich Unbesonnenheiten begangen, die aber freilich zu scharf gerügt worden sind. Mir soll Niemand was thun; dafür stehe ich Dir. Das Geheimniß besteht in wenig Worten: ich gebe keine Blöße, und habe Herz, u. Muth.
Ich sehe, daß wir mehr silberne Löffel brauchen: doch will ich das versparen, bis Du kömmst. Gewöhnliche Gebrauchs Meßer habe ich gekauft.
Du gedenkst des Neides? Haben etwa die Zürcher soetwas gegen Dich ausgehen laßen? Ich bitte, sage es mir, damit ich sie an den Pranger stelle, und für das alte, und neue zusammen bezahlen laße. Ohnerachtet ich von einigen wenigen beßer denke, und man mir zulezt geschmeichelt hat; werde ich doch diese Nation nie ertragen lernen. Sie haben gerade diejenigen Untugenden, die ich aus Temperament haße, Bauernstolz bei Kriecherei, Grosthun bei Knickerei, Pedantismus bei Petet=maiterei, u.s.w. u.s.w. u.s.w. u.s.w. u.s.w. Es macht mir immer übel ums Herz, wenn ich sie nennen höre. Ich wollte, daß ich Dich, u. Deinen Vater nur erst dort wegwüste; denn sie werden euch noch betrügen, u. schicaniren, so gut sie es bei ihrer Dummheit können.
Aber Du schreibst mir nicht wenn Du abgehst: diesen Brief erhältst Du d. 2. August. Kann ich denn noch einmal an Dich nach Zürich schreiben, oder nicht. Darüber sagst Du nichts: und ich weiß nicht recht woran ich bin. Du hast den Post=Kurs nicht berechnet, glaub’ ich. Das hat sich auch schon sonst aus Deiner Klage einmal schreiben, welchen Brief Du dann den 9ten erhältst. Später kann ich nicht mehr schreiben: Du müstest mir denn eine Addreße schicken. Auch giebst Du mir keine Aufträge über die Reise. Schreibst mir nichts von Abreisen. Kind, Kind, Du hast den Postkurs nicht berechnet.
Uebrigens lebe recht wohl, u ich bin der Deinige, ganz der Deinige: Fichte.
Grüß Papagen, u. ich kann heute nicht schreiben [.] Du siehst, daß die Buchstaben doch gar nicht mehr zu lesen sind.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 21. Juli 1794
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 176‒180.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 104
Language
  • German

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