Sie konnten mir keine größere Freude machen, mein liebster, bester Freund, als durch Ihren letzten Brief, durch den Sie mir von Neuem, und in einer neuen schönern, liebenswürdigern Gestalt sich mir wiederschenkten. – Jetzt will ich’s Ihnen sagen: ich fing an zu glauben, daß Ihr Herz durch Ihre Lage sich verengt habe, daß es eingeschrumpft sey, und ich verzweifelte den Ehemaligen wieder in Ihnen zu finden. Jetzt sehe ich Sie größer, als Sie je waren, – größer, ich gestehe es. So aufrichtig haben Sie gegen mich nie einen Fehler zugestanden.
Ich weiß gar nicht – erlauben Sie mir hierbei diese allgemeine Bemerkung – ob es sich mit andern Menschen nicht eben so verhält wie mit mir. Mir ist es einer der erhabensten Genüsse, frei und frank, wo ich abläugnen, Winkelzüge suchen, Sophistereien machen könnte, zu sagen: ich habe gefehlt. Ich erhebe mich dadurch vor mir selber weit höher, als ich mich je herabsetzen kann. Ich unterwerfe mich frei dem Höhern in mir. Freilich – wo ich meinen Fehler nicht einsehen kann, erkenne ich auch keinen an. [/]
Ich sehe mit Freude und Sehnsucht dem Tage entgegen, da ich Sie hier bei mir sehen werde. Wie viel werden wir uns zu sagen haben!
Noch dies Wenige über Philosophie. Ich gestehe Ihnen, daß mich Ihre Antwort, die Sie mir in Ihrem ersten Briefe nach Jena auf meine Ankündigung gaben, daß ich die gesammte Philosophie umzuschaffen gedächte, ein wenig befremdete. Ihre Antwort – verzeihen Sie – schien, als ob Sie gern Etwas dagegen sagen möchten, und nicht recht wüßten, was? – Ich konnte unmöglich glauben, daß Sie und gerade über die angezeigten Punkte so zufrieden mit der aufgestellten Kantischen Philosophie wären, als Sie es behaupteten. Ob da nicht abermals das alte Fleisch und Blut eine kleine Rolle mitspielte? Im vorletzten Briefe sagen Sie, daß meine Offenbarungskritik Ihre Erwartungen von mir noch übertroffen habe. Dann haben Sie keine großen Erwartungen von mir gehabt. Ich sage Ihnen vor der Hand unter uns – bis ich’s zu seiner Zeit der ganzen Welt werde sagen können, – daß mir die Offenbarungskritik sehr mittelmäßig schien, als ich sie geschrieben hatte, und daß es wirklich Kant’s Zureden und meines Geldmangels bedurfte, um mich zu vermögen, daß ich sie in den Druck gäbe. Seit der Zeit glaube ich eine gute Strecke weiter gekommen zu seyn. Urtheilen Sie, wie sie mir jetzo erscheint. Daß sie Glück gemacht hat, ist gut für mich: aber ich hätte sie nicht so gepriesen, wie sie gepriesen worden ist. – In Ihrem letzten Briefe wünschen Sie, daß mir mein Unternehmen gelingen möge. Ich hätte meine Sache schlecht gemacht, wenn es erst noch hätte gelingen müssen, als ich es ankündigte. Es war schon gelungen. Das ganze System ist fertig, wie nur eins seyn kann. Mit dem Aufstellen aber hat es Zeit. Es soll nicht blos seinem Inhalte, es soll auch seiner Form nach vollkommen werden.
Daß Ihnen die Schreibart in der Einladungsschrift gefällt, freut mich. Aber es macht mich ein wenig bange, [/] daß Sie so sehr auf die Schreibart sehen. So wie diese Schrift und besonders die Vorrede geschrieben ist, schreibt es sich nicht so geradezu. Dafür muß man die Sache so vollkommen inne haben, daß man nur damit spielen kann, die Fesseln des Systemes frei trägt, als wären es keine, und so habe ich mein System nicht inne, und werde es schwerlich je inne bekommen: denn es ist tief. Doch werde ich es abwarten und mir Mühe geben. Mit meinem jetzigen Lehrbuche, das Sie lesen sollen, wenn Sie herkommen, werden Sie über diesen Punkt schlecht zufrieden seyn. Ich könnte wohl besser schreiben, aber wenn der Drucker Handschrift und ich einen Lesebogen brauche, so muß ich es gut seyn lassen. – Aber über alles dieses bald mündlich.
Unser Institut beschäftigt Sie sehr: es faßt Geschichte, Philosophie, schöne Litteratur. Schiller, Göthe, noch einige Andere, die Sie nicht kennen werden, und ich spielen – Schiller als genannter Redakteur, wir andern ungenannt, die Hauptrollen dabei. Hierein möchte ich Sie auch gern ziehen, aber dazu muß ich mir Zeit nehmen und es nicht übereilen. Machen Sie sich nur erst bekannter, und man soll mich wohl bitten, daß ich Sie überrede. Von äußerlichen Angelegenheiten ist die Frage nicht; dies besorgt Schiller und der Verleger. Das Honorarium ist erklecklich, und ich werde Alles anwenden, um Ihnen ein vorzüglich gutes zu verschaffen. Ich will nichts übereilen, besorge daher keine Einladung für Sie, ohnerachtet ich Sie schon genannt habe. Machen Sie sich nur kennen.
Sie müssen mich allein sehen? Was können Sie dazu für Gründe haben? Etwa Juch’sche? – Theils machen wir in Jena aus Juch’schen Verdiensten nicht gar viel, theils wird Juch wohl vernünftig seyn! – – [/]
Feinde habe ich hier allerdings mehrere: aber das thut nichts, denn es sind nicht eigentlich persönliche. Nämlich Sie wissen, daß wir hier junge gangbare und alte reducirte Professoren haben. Die Erstern halten zusammen, die Letztern auch. Ich gehöre natürlich schon vermöge meines Taufscheins zu den Erstem. Das drängt uns Andere denn auch unter uns näher zusammen. Schmid konnte in Jena nicht eigentlich mir offenbar Feind seyn. Es wäre gegen die Natur gewesen. Er behauptet sich jetzt noch glänzend, es könnte aber wohl seyn, daß er mit der Zeit unter die reducirten käme.
Göthe’n kenne ich wirklich erst seit gestern, aber ich liebe ihn sehr, und er verdient es auch um mich. Er ist weit mehr eingeweiht in das freie Forschen, als man bei seinem dichterischen Charakter glauben sollte, und übertrifft Schiller darin um Vieles, der eigentlich in zwei Welten lebt, in der poetischen und dann und wann auch in der kantisch=philosophischen. – Mit Ihrem Urtheile über jenen bin ich völlig einverstanden. Was Wieland betrifft, so glaube ich, dieser beherrscht seinen Genius; Göthe wird von dem seinigen beherrscht, und dann ist ohne Zweifel der letztere stärker. – Als Mensch ist Göthe ungleich mehr werth als Wieland. Sonderbar; als Mensch ist Göthe wieder frei, und Wieland wird vom Genie Capriccio beherrscht. Man sollte glauben er sey falsch; aber das ist er gewiß nicht; er ist prädicatlos.
Meine Freiheit, meine Offenheit nehmen Sie gewiß nicht übel: sie ist Ihnen ein Beweis meines völligen Zutrauens. Aus diesem Gesichtspunkte werden Sie betrachten, was ich geschrieben habe.
Kommen Sie bald; ich umarme Sie im Geiste.
Ganz der Ihrige
Fichte.
Ich weiß gar nicht – erlauben Sie mir hierbei diese allgemeine Bemerkung – ob es sich mit andern Menschen nicht eben so verhält wie mit mir. Mir ist es einer der erhabensten Genüsse, frei und frank, wo ich abläugnen, Winkelzüge suchen, Sophistereien machen könnte, zu sagen: ich habe gefehlt. Ich erhebe mich dadurch vor mir selber weit höher, als ich mich je herabsetzen kann. Ich unterwerfe mich frei dem Höhern in mir. Freilich – wo ich meinen Fehler nicht einsehen kann, erkenne ich auch keinen an. [/]
Ich sehe mit Freude und Sehnsucht dem Tage entgegen, da ich Sie hier bei mir sehen werde. Wie viel werden wir uns zu sagen haben!
Noch dies Wenige über Philosophie. Ich gestehe Ihnen, daß mich Ihre Antwort, die Sie mir in Ihrem ersten Briefe nach Jena auf meine Ankündigung gaben, daß ich die gesammte Philosophie umzuschaffen gedächte, ein wenig befremdete. Ihre Antwort – verzeihen Sie – schien, als ob Sie gern Etwas dagegen sagen möchten, und nicht recht wüßten, was? – Ich konnte unmöglich glauben, daß Sie und gerade über die angezeigten Punkte so zufrieden mit der aufgestellten Kantischen Philosophie wären, als Sie es behaupteten. Ob da nicht abermals das alte Fleisch und Blut eine kleine Rolle mitspielte? Im vorletzten Briefe sagen Sie, daß meine Offenbarungskritik Ihre Erwartungen von mir noch übertroffen habe. Dann haben Sie keine großen Erwartungen von mir gehabt. Ich sage Ihnen vor der Hand unter uns – bis ich’s zu seiner Zeit der ganzen Welt werde sagen können, – daß mir die Offenbarungskritik sehr mittelmäßig schien, als ich sie geschrieben hatte, und daß es wirklich Kant’s Zureden und meines Geldmangels bedurfte, um mich zu vermögen, daß ich sie in den Druck gäbe. Seit der Zeit glaube ich eine gute Strecke weiter gekommen zu seyn. Urtheilen Sie, wie sie mir jetzo erscheint. Daß sie Glück gemacht hat, ist gut für mich: aber ich hätte sie nicht so gepriesen, wie sie gepriesen worden ist. – In Ihrem letzten Briefe wünschen Sie, daß mir mein Unternehmen gelingen möge. Ich hätte meine Sache schlecht gemacht, wenn es erst noch hätte gelingen müssen, als ich es ankündigte. Es war schon gelungen. Das ganze System ist fertig, wie nur eins seyn kann. Mit dem Aufstellen aber hat es Zeit. Es soll nicht blos seinem Inhalte, es soll auch seiner Form nach vollkommen werden.
Daß Ihnen die Schreibart in der Einladungsschrift gefällt, freut mich. Aber es macht mich ein wenig bange, [/] daß Sie so sehr auf die Schreibart sehen. So wie diese Schrift und besonders die Vorrede geschrieben ist, schreibt es sich nicht so geradezu. Dafür muß man die Sache so vollkommen inne haben, daß man nur damit spielen kann, die Fesseln des Systemes frei trägt, als wären es keine, und so habe ich mein System nicht inne, und werde es schwerlich je inne bekommen: denn es ist tief. Doch werde ich es abwarten und mir Mühe geben. Mit meinem jetzigen Lehrbuche, das Sie lesen sollen, wenn Sie herkommen, werden Sie über diesen Punkt schlecht zufrieden seyn. Ich könnte wohl besser schreiben, aber wenn der Drucker Handschrift und ich einen Lesebogen brauche, so muß ich es gut seyn lassen. – Aber über alles dieses bald mündlich.
Unser Institut beschäftigt Sie sehr: es faßt Geschichte, Philosophie, schöne Litteratur. Schiller, Göthe, noch einige Andere, die Sie nicht kennen werden, und ich spielen – Schiller als genannter Redakteur, wir andern ungenannt, die Hauptrollen dabei. Hierein möchte ich Sie auch gern ziehen, aber dazu muß ich mir Zeit nehmen und es nicht übereilen. Machen Sie sich nur erst bekannter, und man soll mich wohl bitten, daß ich Sie überrede. Von äußerlichen Angelegenheiten ist die Frage nicht; dies besorgt Schiller und der Verleger. Das Honorarium ist erklecklich, und ich werde Alles anwenden, um Ihnen ein vorzüglich gutes zu verschaffen. Ich will nichts übereilen, besorge daher keine Einladung für Sie, ohnerachtet ich Sie schon genannt habe. Machen Sie sich nur kennen.
Sie müssen mich allein sehen? Was können Sie dazu für Gründe haben? Etwa Juch’sche? – Theils machen wir in Jena aus Juch’schen Verdiensten nicht gar viel, theils wird Juch wohl vernünftig seyn! – – [/]
Feinde habe ich hier allerdings mehrere: aber das thut nichts, denn es sind nicht eigentlich persönliche. Nämlich Sie wissen, daß wir hier junge gangbare und alte reducirte Professoren haben. Die Erstern halten zusammen, die Letztern auch. Ich gehöre natürlich schon vermöge meines Taufscheins zu den Erstem. Das drängt uns Andere denn auch unter uns näher zusammen. Schmid konnte in Jena nicht eigentlich mir offenbar Feind seyn. Es wäre gegen die Natur gewesen. Er behauptet sich jetzt noch glänzend, es könnte aber wohl seyn, daß er mit der Zeit unter die reducirten käme.
Göthe’n kenne ich wirklich erst seit gestern, aber ich liebe ihn sehr, und er verdient es auch um mich. Er ist weit mehr eingeweiht in das freie Forschen, als man bei seinem dichterischen Charakter glauben sollte, und übertrifft Schiller darin um Vieles, der eigentlich in zwei Welten lebt, in der poetischen und dann und wann auch in der kantisch=philosophischen. – Mit Ihrem Urtheile über jenen bin ich völlig einverstanden. Was Wieland betrifft, so glaube ich, dieser beherrscht seinen Genius; Göthe wird von dem seinigen beherrscht, und dann ist ohne Zweifel der letztere stärker. – Als Mensch ist Göthe ungleich mehr werth als Wieland. Sonderbar; als Mensch ist Göthe wieder frei, und Wieland wird vom Genie Capriccio beherrscht. Man sollte glauben er sey falsch; aber das ist er gewiß nicht; er ist prädicatlos.
Meine Freiheit, meine Offenheit nehmen Sie gewiß nicht übel: sie ist Ihnen ein Beweis meines völligen Zutrauens. Aus diesem Gesichtspunkte werden Sie betrachten, was ich geschrieben habe.
Kommen Sie bald; ich umarme Sie im Geiste.
Ganz der Ihrige
Fichte.