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Johanna Fichte to Johann Gottlieb Fichte

Zürich d: 2: August 1794
Theurste Seele!
Diese ganze Woche hab ich noch keinen ruhigen Augenblik finden können, mich mit meinem Besten zu unterhalten; izt will und muß ich ihn haben, und sollte man mich auch 100: mahl davon rufen.
Vorgestern erhielt ich einen sehr freundschaftlichen Brief von Baggessen; er grüßt Dich herzlich; und sagt daß er detaillierte Nachricht[en] aus Jena habe, welche sagen, daß Du mein Theurster außerorndlich geschäzt werdest; daß Dein Colegium über Moral für Gelehrte, eine der glüklichsten Ideen eines Philosophierenden Herzens sey; dieses Colegium habe große sensation gemacht; und der Herzog begegne Dir mit [auffanlender] Auszeichnung.
Baggesen hat Nachricht erhalten daß Kannt schon in Lübeck sey; und wenn das seine Richtigkeit habe, so gebe er gleich seine Reise nach Italien u: Spannien auf; und gehe über Jena nach Holstein: seine Frau befindet sich wohl, und hat mit ihm die Gletscher besucht: eine Tochter von Wieland ist auch dort. Wir leiden hier auch erstaunlich von der Hize, denn sie macht fast krank. Kannts Brief fand ich unter meinen Schriften wohl verwahrt auf behalten; und habe eine solche Freude drüber, (weil ich weiß daß meinem Fichte an diesem Brief viel liegt,) daß ich nicht anderst kann, als ihn Dir gleich schiken.
Du sagst Theurster, eine Freundinn der Reinholdin gewesen zu sein, sey gar nichts empfehlendes: Die [Frabricius] scheint sie sehr zu lieben; auch Baggesen sprach mit Achtung und Liebe von ihr; was soll sie eigentlich gethan haben? und wofür hält man sie? ist sie nicht vielleicht eine gute, nicht brillainte, und dabey miskannte [/] Frau? sind die Jenaer nicht vielleicht lieblose strenge Beurtheiler? Dies lästern scheint mir nicht ganz unwahrscheinlich: die unbarmherzig mit einem umgehn, wenn man sich nicht, in ihren vielleicht armselligen, leichtfertigen Thon einstimmen kann, ich urtheile gar nicht, sondern ich frage nur; und das mit aller Bescheidenheit.
Den Schultheßischen Prozes haben wir Gottlob endlich gewonnen, nach dem er vor 4: verschiedenen tribunalien ist zergliedert worden; nachdem ich mich fast die Beine habe ablaufen müßen; damit sie der Sache ein Ende machen; Gott bewahre doch alle ehrlichen Leute für Prozeße; und schenke allen Richtern Verstand, und Ehrlichkeit des Herzen’s; sonst ist es für die armen prozesführenden, zum toll werden; diesen 2ten Prozes haben wir nun im Thun, und ich werde keine Ruhe haben bis sie ihn endigen; denn sind wir einmahl fort, so mag sich Gott der Gerechtigkeit erbarmen; denn ich habe nun wieder gesehn, was die Gerechtigkeit für eine wächserne Nase ist, welche jeder nach seinem Vortheil dreht; und so ists gewis in der ganzen Welt; nur mehr oder minder, denn allenthalben sind die Geseze sehr unvolkommen und an jedem Ort giebts Leidenschaftliche, intreßierdte Menschen; schmählen will ich gerne nicht, so innige Lust ich seit dieser geplagten Zeit auch dazu habe; ich will an meinen Theuren Fichte denken, der ist mir Ersaz, für alle übrigen Plagen; und Gott bitten daß man mir keine Prozeße am Halse hänge, denn diese können einem das Leben verbittern. [/]
Sonnabend:
Heute ist kein Brief gekommen; ich klage nicht, denn in meinem lezten Brief hab ich heilig versprochen, meinem Herzen Gewalt anzuthun, und das soll nun auch geschehn, so weh es mir thut.
Die Genfer haben 7: Persohnen, von den etlich hunderten, welche sie arrettiert, für den Anfang füsiliert, worunter 2: Hindicks waren; wir haben hier auf keine andre Spuhr der Ursache dieses Verfahren’s kommen können; als daß diese unglüklichen Männer aristocratische Gesinnungen hatten; man sagt daß die Genferische Verfaßung die aller democratischte sey, welche man nur irgend wo finden könne, und daß die eigentliche Ursache dieses Verfahrens, die unglükliche Liebe zum Plündern sey; weil das sehr reiche Leute waren; die Leben’smittel dort in einem enormen Preis sind, und mehrere Menschen großen Mangel leiden: seit 88: Jahren haben die Genfer öftere Empörungen unter ihnen gehabt; es ist ihnen nach und nach alles bewilligt worden, was sie verlangten; immer bleiben sie unruhig; Männer welche diesen Ort, durch langen auf enthalt, genau kennen, behaubten; daß im Durchschnitt mehr aufgeklärte Menschen dort sind, als an irgend einem Ort, in der Welt.
Der Theure Vatter, grüßt Dich Bester tausend mahl; schreiben kann er heute nicht; auch hab ich ihn an keinem Menschen in der Welt, so viel schreiben gesehn, als er Dir geschrieben hat; denn Er ist sonst zu keinem Schreiben zu bringen; [/] Gott gebe nur, daß Er mir nicht krank wird, denn die große Hize mattet ihn sehr ab.
Wegen Kannt hast mir noch nichts geschrieben, Dein Stillschwei[gen] läßt mich fürchten, die Sache sey nur zu wahr; das ist grausam!
Dieser Brief muß vort, und ich von diesem Papier eilen, welches in meines Theuren Fichtes Hände kommt: So Lebe wohl! ewig geliebte Seele, Dein Hanchen liebt Dich, aus der Fülle ihres Herzen’s, und ist ganz Deine Fichtin
Wolf hat uns diesen Augenblik gesagt, daß Beyde Roberspiere, Couthon, St Jüst, Ecbar, nebst mehreren durch ein Convents Decret arettiert worden sind; Antwerpen ist in französischen Händen. Dies sind wichtige Neujgkeiten, welche Wolf ganz allein weiß.
Metadata Concerning Header
  • Date: 30.Juli/2. August 1794
  • Sender: Johanna Fichte
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 184‒187.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 105
Language
  • German

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