Berlin den 16. August 1794.
Würdiger Mann!
Für das angenehme Geschenk, das Sie mir gemacht haben, statte ich Ihnen hiermit den wärmsten Dank ab. Der Begriff einer Wissenschaftslehre ist von Ihnen so scharfsinnig gefaßt, die Möglichkeit einer solchen Theorie von der einen Seite, so wie ihre Unentbehrlichkeit zur Hebung aller Mißverständnisse der Philosophie von der andern Seite so sehr meinem Wunsche gemäß dargestellt, daß ich Ihnen meine Hochachtung nicht anders erkennen zu geben weiß, als dadurch, daß ich Ihnen beiliegendes Werk, das eben dieses zum Zweck hat, überschicke, und mir darüber Ihre Beurtheilung ausbitte.
Man hat lange genug die Philosophie als eine völlig a priori im Erkenntnißvermögen selbst gegründete Wissenschaft von andern Wissenschaften, denen zum Theil empirische Prinzipien zum Grunde gelegt werden müssen, nicht [/] gehörig unterschieden. Die Kantischen Schriften zielen zwar darauf ab, diesem Mangel abzuhelfen, und die Philosophie, ihrem Begriffe gemäß, rein darzustellen. Aber manche Kantianer verfielen bald in den entgegengesetzten Fehler, und anstatt, daß sie die Philosophie zwar rein, aber doch da sie die vollständige Form (nicht blos Canon sondern auch Organon) aller andern Wissenschaften ausmachen soll, mit Rücksicht auf dieselbe behandeln sollten, haben sie vielmehr dieselbe als eine isolirte, nicht nur für sich bestehende sondern selbstständige Wissenschaft behandelt. Die Philosophie hat sich in ihr eigenes Gewebe verstrickt, anstatt daß sie dieses Gewebe hätte so einrichten müssen, wie sie am besten dadurch Nahrung von Außen erhalten konnte.
Es ist nun Zeit die Philosophie vom Himmel auf Erden zurückzurufen; nicht an ein höchstes Prinzip mangelt es ihr (wie Hr. Reinhold haben will) sondern vielmehr an das niedrigste Princip (die Gränze oder der Uebergang von der blos formellen zur reellen Erkenntniß) wie Sie dieses alles in dem beiliegenden Werke erörtert finden werden.
Würdiger Mann! das Schicksal meiner Schriften, und wie wenig man ihnen bis jetzt hatte Gerechtigkeit widerfahren lassen, ist Ihnen bekannt; um desto mehr Gerechtigkeit erwarte ich von dem Verfasser der Kritik aller Offenbarung, und wünsche eine baldige Anzeige von Ihnen in der A. L. Z.
Ich bin mit aller Hochachtung und Freundschaft
Ihr
ergebenster Diener
S. Maimon.
Würdiger Mann!
Für das angenehme Geschenk, das Sie mir gemacht haben, statte ich Ihnen hiermit den wärmsten Dank ab. Der Begriff einer Wissenschaftslehre ist von Ihnen so scharfsinnig gefaßt, die Möglichkeit einer solchen Theorie von der einen Seite, so wie ihre Unentbehrlichkeit zur Hebung aller Mißverständnisse der Philosophie von der andern Seite so sehr meinem Wunsche gemäß dargestellt, daß ich Ihnen meine Hochachtung nicht anders erkennen zu geben weiß, als dadurch, daß ich Ihnen beiliegendes Werk, das eben dieses zum Zweck hat, überschicke, und mir darüber Ihre Beurtheilung ausbitte.
Man hat lange genug die Philosophie als eine völlig a priori im Erkenntnißvermögen selbst gegründete Wissenschaft von andern Wissenschaften, denen zum Theil empirische Prinzipien zum Grunde gelegt werden müssen, nicht [/] gehörig unterschieden. Die Kantischen Schriften zielen zwar darauf ab, diesem Mangel abzuhelfen, und die Philosophie, ihrem Begriffe gemäß, rein darzustellen. Aber manche Kantianer verfielen bald in den entgegengesetzten Fehler, und anstatt, daß sie die Philosophie zwar rein, aber doch da sie die vollständige Form (nicht blos Canon sondern auch Organon) aller andern Wissenschaften ausmachen soll, mit Rücksicht auf dieselbe behandeln sollten, haben sie vielmehr dieselbe als eine isolirte, nicht nur für sich bestehende sondern selbstständige Wissenschaft behandelt. Die Philosophie hat sich in ihr eigenes Gewebe verstrickt, anstatt daß sie dieses Gewebe hätte so einrichten müssen, wie sie am besten dadurch Nahrung von Außen erhalten konnte.
Es ist nun Zeit die Philosophie vom Himmel auf Erden zurückzurufen; nicht an ein höchstes Prinzip mangelt es ihr (wie Hr. Reinhold haben will) sondern vielmehr an das niedrigste Princip (die Gränze oder der Uebergang von der blos formellen zur reellen Erkenntniß) wie Sie dieses alles in dem beiliegenden Werke erörtert finden werden.
Würdiger Mann! das Schicksal meiner Schriften, und wie wenig man ihnen bis jetzt hatte Gerechtigkeit widerfahren lassen, ist Ihnen bekannt; um desto mehr Gerechtigkeit erwarte ich von dem Verfasser der Kritik aller Offenbarung, und wünsche eine baldige Anzeige von Ihnen in der A. L. Z.
Ich bin mit aller Hochachtung und Freundschaft
Ihr
ergebenster Diener
S. Maimon.