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Johann Gottlieb Fichte to Christian Gottlob Voigt

Hochwohlgebohrner Herr
Höchstzuverehrender Herr Geheimer-Rath.
Der nie gebeten hat, bittet, und, soviel ich einsehe, um Gerechtigkeit.
1.) Ich habe ein Publikum angefangen, das auf den Zustand der Akademie einen Einfluß hat, den nur Ich weiß, und den ich, um nicht unbescheiden zu scheinen, nie sagen werde. Gesezt es hat keinen; es ist ein Publikum, und ich bin verbunden, eins zu lesen.
In den Wochentagen sind die Stunden so besezt, daß man uns armen Nicht-Senatoren officiell verbietet, die nöthigen Privata zu lesen, (worüber unter N. 2..) Ich opfere von meinem Sonntage, den ich nicht frei, sondern nur zu andern der Akademie gleichfals gewidmeten Geschäften bestimmt habe, eine Stunde für dieses Publikum.
Menschen, die nie bekannt waren, viel Religion zu besitzen, schreien seitdem über den „Sabbathsschänder” hetzen die Bürgerschaft, und die Geistlich[/]keit auf mich; erzählen an Studenten, daß sie die nächste Senatssitzung sich das Verdienst machen würden, gegen mich Klage zu erheben; und bis heute – Dienstags – haben sie es schon so weit gebracht, daß sie ihre Indignation unsern frommen Weibern mitgetheilt. – Ich nenne auf Nachfrage Mann, u. Weib.
Worum ich bitte ist folgendes:
Ich habe mich sorgfältig nach dem Gesetze erkundigt, laut der Beilage. „Es ist darüber kein Gesez da.”
(Und dabei im Vorbeigehen! – Hat unsre Akademie Gesetze für die Profeßoren, oder nicht? Ich bin in das zweite Halb-Jahr Profeßor, und weiß es gewiß nicht. Was ich weiß, habe ich bittweise – Das ist für einen Mann, der dem Gesetze buchstäblich nachkommt, darum, weil er gern frei ist, allerdings hart.)
Ist wirklich keins da, so bitte ich binnen hier und Sonntag um ein Gesetz, d.i. nicht um eine bloß für mich geltende Ordre, sondern um einen gemeingültigen, öffentlich promulgirten Befehl: Um einen fürstlichen Befehl.
1.) binnen hier, und Sonntag – Ich habe mich anheischig gemacht durch öffentlichen Anschlag, jeden Sonntag zu lesen; [/] ich bin in Vertrage mit den Studenten; ich will diesen Vertrag nicht brechen; und ich kann nur, wenn ich krank werde – ich habe alle Anlage künftigen Sonntag gesund zu seyn – oder wenn ich ein Verbot erhalte, das ich respektiren kann, und mit Ehren darf.
2.) einen fürstlichen Befehl. – Befehlen des Senats, ohnerachtet ich völlig rechtlos zu seyn scheine, will, und werde ich mich nicht unterwerfen.
3.) sollte bis Sonntag ein solcher Befehl nicht auf eine mich überzeugende Art ankommen, so lese ich ohne Zweifel; entledige durch gegenwärtige Anfrage mich aller möglichen Verantwortung, und mache Anspruch auf Schutz in diesem Vorhaben.
4.) ich behalte mir vor, diejenigen, die mein Unternehmen verläumdet, und mich beschimpft haben, gerichtlich zu belangen, sobald die Sache bis dahin ausgemittelt seyn wird.
2.)
Es wird von mir, lange nach dem Abdruk des Lektionskatalogus durch die besondern Bedürfniße der Studierenden eine Art von Einleitung in die transscendentale Philosophie gefordert. Ich lege dafür Platners Aphorismen über Logik u. Metaphysik zum Grunde, und lese von 6-7. Uhr. [/]
Der Dekan der philosophischen Fakultät Hrr. HR. Ulrich meldet mir officialiter, daß ich angehalten werde, diesen Unfug zu unterlaßen, damit Hrr. HR. Reichardt die Stunde von 6-7. zum – – „Dupliren” der Pandekten brauchen könne. Für Logik sey die Stunde von 3-4. festgesezt. – Ich antworte darauf 1.) daß mir kein solches Gesez bekannt gemacht worden, noch ich es angenommen 2.) daß ich von 3-4. Uhr wirklich lese, was unsre guten Vorväter unter Logik gedacht haben mögen, die theoretische Philosophie 3.) daß demnach dieses Zumuthen eigentlich soviel sage: ich solle gar nicht lesen; und daß ich mit mehrerm Rechte sagen könne Hrr. Reichardt solle nur nicht dupliren, sondern sich so einrichten daß er auskomme. 
Gerade so spielt man mit Prof. Woltmann. Er liest Staaten Geschichte von 6-7. Uhr. Um des gleichen Duplirens Willen muthet man ihm an sie von 4-5. Uhr zu lesen, welche Stunde dafür festgesezt sey. Er liest in dieser Stunde Universal-Geschichte, die auch darauf verlegt ist. – Mithin heißt jene Zumuthung, er solle Staatengeschichte gar nicht lesen, damit Hrr. Reichardt die Pandekten dupliren könne. Das wagen jene Menschen uns zu bieten, und wir stehen rechtlos da. [/]
3.)
In meinen öffentlichen Vorlesungen sind oft gegen 500 Zuhörer gewesen. Ich habe im vorigen Sommer dazu das Griesbachische Auditorium mir erbeten, das für zahlreiche Versammlungen von jeher gebraucht worden. Der Hrr. G.K.R. Griesbach findet seitdem, daß dadurch die Bänke abgerieben werden, und schlägt es mir ab mit seinem vollen Rechte. Ich, gleichfals mit meinem vollen Rechte, frage nach einem öffentlichen philosophischen Auditorium; setze voraus, daß das doch ein möglicher Aufenthalt für Menschen seyn müße, und gehe vorigen Sonntag, morgens 9. Uhr in dem grösten Regen dahin. Ich finde meine Zuhörer vor der Thür, die mir sagen, daß im Auditorium die Fenster eingeschlagen, daß es voll Unrath sey u.s.w. und sie bäten mich, daß ich nach meinem Hause gehen, und daselbst lesen möchte. Ich gehe in diesem heftigen Regen zurük, weil ich ihr Begehren menschlich finde; und der Trupp meiner Zuhörer mit mir. Wenn dadurch ein Geräusch auf den Straßen entstanden; wo liegt doch die Schuld?
4.
Man wird sagen, die Stunde von 9-10. falle während der kirchlichen Versammlungen. – 1.) Man nenne mir nur eine andre. Um 1. Uhr, gleich nach Tische zu lesen, würde mir höchst ungesund seyn; auch will ich für meine Betrachtungen den offenen Geist meiner Zuhörer in den Morgenstunden; nicht ihren gefüll[/]ten Bauch, der keine Ohren hat. In den spätern Nachmittags- u. Abendstunden ist gleichfals kirchliche Versammlung, Concert, Clubb. – In den frühem Morgenstunden schlafen die Studierenden noch, weil sie diesen einzigen Tag zum Ausschlafen haben. 2.) Für die Studenten ist die Stadt Kirche nicht, sondern die Collegen-Kirche. Diese ist von 11-12. Uhr; und darum habe ich diese außerdem allerbequemste Stunde nicht gewählt. Ich selbst werde von nun an die Collegen Kirche besuchen, und vielleicht mancher meiner Zuhörer mit mir. 3.) Die physikalische Gesellschaft hat ihre Sitzungen gleichfals Sonntags während der Nachmittags Predigt, und ich wüste nicht, daß ihr jemand ein Verbrechen daraus gemacht. Ohne Zweifel hat dieselbe sie aus dem gleichen Grunde auf diesen Tag verlegen müßen, weil in den Wochen-Tagen keine Zeit zu zahlreichen Versammlungen ist. Auf unsrer Universität sind Gottlob! alle Stunden besezt.
5.)
Von der moralischen Seite angesehen, müste es allerdings jeden [/] verständigen Mann gegen mich einnehmen, wenn er glauben könnte, daß ich durch jenes Unternehmen, ich weiß nicht welche Aufgeklärtheit affigiren wolle; und allerdings mögen viele unter den Tadlern, der Analogie ihrer eignen Kleingeisterei nach, mir so etwas zutrauen. Ein solcher Verdacht ist mir so lächerlich, daß ich keine Geduld habe, ihn zu widerlegen. Ich ging noch in die Schule, als ich über eine solche Aufklärung schon hinweg war. – Ich bin schwer daran gegangen, ehe ich den Sonntag wählte. Das beweißt mein Aufschub der Eröfnung dieser Vorlesungen, oh[n]erachtet ich sehr oft von den Studierenden dazu aufgefordert worden; weil ich noch immer hofte eine Stunde in der Woche auszumitteln: das beweißen meine sorgfältigen wiederholten Anfragen bei mehreren.
6.)
Es ist diesen Leuten nicht, weder um wahre noch eingebildete Religion zu thun. Mein wahres Verbrechen ist dies, daß ich Einfluß und Achtung unter den Studierenden, und Zuhörer habe. Möchte ich doch immer an den höchsten Feiertagen lesen, wenn es vor leeren Bänken wäre! Daher ergreifen Sie jeden Vorwand, um mich zu hindern; und werden aus bloßem odio academico alt-orthodoxe Christen sogar. [/]
Mein inniges volles Zutrauen zu Ihnen, mein Verehrungswürdigster Herr Geheimer-Rath, bewog mich, mich vorzüglich, und ohne weitere Förmlichkeit, an Sie zu wenden. Dem ohnerachtet ersuche ich Sie, jeden dienlichen Gebrauch von diesem Briefe zu machen, und ihn, in so weit er es sein kann, als officiel anzusehen; oder mich gütigst wißen zu laßen, was für Wege ich einzuschlagen habe, um binnen hier u. Sontag zu meinem Zwecke zu kommen.
Mein Entschluß ist übrigens ganz fest. Ich kann unbeschadet meiner Ehre, nach diesen Vorfällen nicht heimlich, und in der Stille mir ein Dementi geben; dem Gesetze aber werde ich ohne Widerwillen, ohne Anmerkungen, mit Freude, wie ein guter Bürger gehorchen; jezt, wie immer. – Außer dem Falle des Gesetzes aber bin ich auf das Aeußerste gefaßt.
Mit inniger wahrer Hochachtung
Euer Hochwohlgebohrn
ganz gehorsamster Diener
J. G Fichte. Prof.
Jena
d. 19. November. 1794.
Metadata Concerning Header
  • Date: 18./19. November 1794
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Christian Gottlob Voigt ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Weimar · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 211‒215.
Manuscript
  • Provider: Goethe- und Schiller-Archiv
Language
  • German

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