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Johann Gottlieb Fichte to Christian Gottlob Voigt

Verehrungswürdiger Herr Geheimer Rath,
Die Lage unsrer Akademie ist jezt folgende: Die Stimmung der Majorität hat sich bei mehrern Gelegenheiten da „Bursche raus” und sogar „Feuer” gerufen worden, und niemand kam; sie hat sich besonders durch jenen Plan der litterarischen Gesellschaft, wo ohne alles Zuthun geschah, was wir mit den grösten Aufopferungen hätten befördern sollen, erklärt. Der Geist der Renommistrei kämpft um das Leben, bietet alle seine Kräfte auf, und sie sind noch immer nicht gering. Sein Plan, der auch schon ausgeführt wird[,] ist der folgende: Es sollen zu Ostern von andern Akademien, besonders von Göttingen, Ordensbrüder, Adeliche, Reiche in Menge herkommen. Diese sollen die Orden wieder in Flor bringen. Dies Projekt ist nicht so unausführbar, als es scheinen möchte. Man wählt Leute, die weniger von den Eltern, als von sich abhangen. Seit aller Zeit haben Göttingen, und Halle sich Renommisten geliehen, wenn ein Orden in Verfall kam; wie ich zuverläßig weiß. Ob mit Jena der gleiche Tausch bisher Statt gefunden ist mir nicht bekannt. – Ferner, es ist zum Theil schon ausgeführt. Ein gewißer Hrr. von Hammerstein, der in Göttingen und auch auf andern Universitäten relegirt worden, der schon in Göttingen den daselbst verfallnen Orden der Constantisten wieder in Flor gebracht, der sich schon seit Jahren in Hildesheim (wo er Canonikus ist, [)] aufgehalten, kommt gleich nach Aufhebung des Constantisten Ordens, mitten im halben Jahre hierher, führt ein äußerst asotisches Leben, und unter seinen Auspicien sollen die Constantisten – nicht alle – wieder beisammen seyn. – Die Orden aller Universitäten hängen sehr genau zusammen. Sie betrachten alle Akademien als ihr Eigenthum, und es ist ihr fester Grundsaz auf keiner Akademie sich ausrotten zu laßen, wo sie einmal Posto gefaßt haben. Wo sie in’s Sinken kommen, dahin schiken sie Sukkurs; daher ist ein großer Theil des Wanderns von Universität zu Universität zu erklären. Jezt haben sie unser Jena zu ihrem Schauplatze ausersehen.
Die Orden können nur ausgerottet werden, wenn ihnen mit Vernunftgründen, <u.> mit physischer Gewalt zugleich zu Leibe gegangen wird. Man hat darum noch nicht reüßirt, weil man immer nur das eine Mittel gebraucht hat. – Das erstere habe ich aus freier Wahl auf mich genommen. Ich [/] rede in meinen öffentlichen Vorlesungen jezt von geheimen Orden überhaupt, werde zur Untersuchung des Begriffs von der akademischen Freiheit, und der akademischen Orden insbesondre übergehen; gedenke auch diese Vorlesungen – sey es auch nur zu einem Zeugniße über mich – druken zu laßen, und dadurch den akademischen Orden einen neuen heftigen Streich zu versetzen. Vor allen Dingen bezweke ich dadurch (durch den mündlichen Vortrag) den Vortheil, die öffentliche Meinung zu bestimmen, die wankenden zu befestigen, u. in uneingenommenen die Orden mit Schande u. Verachtung zu bedecken.
Aber ich siege dennoch nicht, wenn nicht der weltliche Arm dazu kommt.
Wie der Senat sich gegen das Projekt der litterarischen Gesellschaft benommen, habe ich Ihnen im Allgemeinen geschrieben. In das Einzelne zu gehen wäre eine widerliche Arbeit – Ich glaube nicht, daß auch nur bei Einem böser Wille vorwalte; aber die Denkart ist’s: an die alten wohlhergebrachten Unordnungen hat man sich gewöhnt; an einen neuen Gang der Dinge sich zu gewöhnen, würde Mühe machen, und man ist gemächlich. Man hat auch seinen Zusammenhang mit den Studirenden in der alten Verfaßung schon festgesezt; es wäre die Frage, ob bei einer Umwälzung man wieder seine Leute fände. (Ich weiß nicht, ob die Leute so räsonniren, daß sie aber so fühlen, ist sicher.) – Dann werden diese Herren fast alle geleitet, ohne es zu wißen. Sie sind nur von Ordensbrüdern, und ihren Affilirten umgeben, sind gröstentheils ehemals selbst in Orden gewesen, und werden von denselben noch betrachtet, als ihre Mitglieder; diese stellen denn ihre Ansicht der Sache ihnen hin; sie halten das für die öffentliche Meinung, und glauben sehr politisch zu votiren, wenn sie ihr durch den Orden diktirtes Votum hinschreiben. – Man muß auf einer Akademie, wo Orden sind, selbst leben, um den Einfluß dieser Verbindungen zu kennen, der dem Fremden lächerlich, und unglaublich ist; und der vor einem halben Jahre mir selbst noch höchst lächerlich war. – Daher die große Unwißenheit der meisten über den eigentlichen Zustand der Sachen. Hiezu kommt noch das erbärmliche Vorurtheil, daß man durch Entfernung eines Dutzends [/] von Unwürdigen der Frequenz der Akademie schaden werde. Wenn wir öffentlich die Eltern versichern könnten: wir haben keine Orden, und keine Trink=Commerce, und keine Duelle mehr; wir würden die Folgen warlich sehr bald auch in unsern Inscriptions=Listen sehen. –
Ein sehr geschätzter Lehrer gießt neuerlich in seinen Vorlesungen – gewiß in aller Unschuld, weil er die Lage der Dinge nicht kennt – seinen Witz aus über das Projekt der litterarischen Gesellschaft. Die dagegen intereßirten klopfen ihm lauten Beifall zu; die entschiedenste Majorität würde ihm ihr Misfallen zu erkennen gegeben haben, aber die gute Sache ist immer bescheiden, indeß die böse lärmt; und das ist zwar eine Ehre für die [leztere], aber nicht immer ihr Vortheil. Kurz, die allgemeine Stimme schien sich erklärt zu haben; und eine Menge schwacher Jünger traten zum Triumph des Renommisten=Geistes zurük. Das Projekt wird nur noch durch einige feste Charaktere gehalten.
Werde ich besiegt, und setzen die Orden ihr Projekt durch – und ohne schleunige, zwekmäßige Strenge setzen sie es sicher durch – so kann ich nicht mehr, weder mit Ehre, noch Sicherheit, noch Nuzbarkeit in Jena seyn. Ihr Haß gegen mich ist fürchterlich; denn daß ich sie auf der empfindlichsten Seite angreife, sehen Sie wohl ein. Gestern Abend sind meiner Frau auf öffentlicher Gaße Schändlichkeiten zugerufen worden, und sie, die freilich an den Akademischen Ton nicht gewöhnt, und bei ihm nicht aufgewachsen ist, getraut sich nicht mehr über die Schwelle. Mir wurden in dieser Nacht – freilich nur von Einem lichtscheuen Diebe, – die Fenster eingeworfen. Dies alles geht ab, ohne daß es jemanden auffällt; und wenn man sich beklagt, so wird man von den Herrn Kollegen verlacht: „das ist auf Universitäten nun einmal nicht anders; Sie sind es nur noch nicht gewöhnt, Sie werden sich schon daran gewöhnen; – das müßen wir Alle uns gefallen laßen – das ist ein ehrenvolles Zeugniß für einen Profeßor [”] u. s. w.
Allerdings, wenn Alle so denken, und es denn auch, um ihre Popularität zu zeigen, in ihren Vorlesungen, und vor Studenten Gesellschaften öffentlich sagen, so wird es immer so bleiben, und man wird daran sich gewöhnen müßen. Ich sehe aber nicht ein, was denjenigen, der sich nun einmal daran nicht gewöhnen will, – und ich bin fest dazu entschloßen – nöthigen solle, an einem Orte zu leben, wo dies nun einmal so ist.
Dazu unsre Policey! – Dem Ex=Prorektor Schmid, der das sicher nicht um die Studenten verdient hat, werden die Fenster eingeworfen: er sieht die Thäter, kennt sie, und darf [/] nicht klagen, denn – er hat nicht zwei Zeugen. Wenn ich dem nach einen auf der That ergreife und ihn vor Gericht bringe, und er läugnet, so ist die Sache zu Ende, und ich bin lächerlich. – Von Korff hat das Consilium erhalten, und sollte nur drei Tage in der Stadt bleiben. Er geht seit mehrern Wochen öffentlich in der Stadt herum, und Niemand sagt etwas dargegen: „Er halte sich hier auf als Rußischer Officier, sagt man, und da könne ihm Niemand etwas anhaben” – Ich habe Ursache zu glauben, daß dieser Held es ist, der diese Nacht gegen meine Fenster zu Felde gezogen. Es ist ganz im Geiste der Unitisten einen solchen zu schiken. – So versichert man auch allgemein, daß Gr. Plettenberg in Kurzem wieder hier seyn würde, und daß man freilich gegen ihn, als Reichs Grafen, nichts anfangen könne.
Dies alles ist nun um so unverzeihlicher, da man jezt die Entschuldigung garnicht hat, die man sonst anführte – einen Tumult. Wenn man die Stimmung benuzt, und dem Ganzen für den Augenblik etwa ein anderes Intereße unterschiebt, so kann man die Universität völlig säubern, ohne daß irgend jemand sich rühren wird.
Will man etwa von den Studirenden selbst an seine Pflicht erinnert werden (wie es durch Einzelne schon geschehen ist)? Das Projekt zusammenzutreten, und sich Ruhe und Sicherheit zu erbitten, ist schon dagewesen, und ich fürchte, es könne erneuert werden. Dann wird man wenigstens nicht viel Ehre davon haben.
Ich habe Ihnen, Verehrungswürdiger Herr Geheimer Rath, die ganze Lage der Dinge kurz und ohne Umstände, sowie ich sie kenne, geschildert, nicht aus persönlichen Absichten, denn ich habe mich schon auf Alles gar wohl bedacht, und will mir allenfalls schon selbst Sicherheit verschaffen – sondern aus Liebe für das gemeine Beste, das Sie gewiß befördern werden, soweit Sie können.
Mit innigster Verehrung
Eur Wohlgeboren
unterthäniger Diener
Fichte.
Jena
d. 16. Februar. 1795.
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 16. Februar 1795
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Christian Gottlob Voigt ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Weimar · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 255‒259.
Manuscript
  • Provider: Universitätsarchiv Jena
  • Classification Number: Autograph F 3 a b
Language
  • German

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