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Johann Gottlieb Fichte, Johanna Fichte to Samuel Gotthelf Fichte

Mein lieber Bruder,
Es ist mir nicht möglich gewesen, Dir eher auf Deinen leztern Brief zu antworten. Ich habe dir schon mehrmals gesagt, daß selbst ein kleines Briefchen nicht allemal so gar leicht von mir geschrieben werden kann, weil oft selbst die wenigen dazu erforderlichen Minuten mir fehlen.
Was Du mir über Deine Lage schreibst, kann ich zum Theil wohl glauben. Ich habe manches der Art vorhergesehen, weil ich unsre Schulleute gar wohl kenne, und nicht erwarten konnte, daß Dein Lehrer von der beinah’ allgemeinen Regel eine Ausnahme machen würde. – Erkenne aus diesem Ausdruke, daß der Sache nicht wohl zu helfen war, wenn der Zwek erreicht werden sollte.
Das HauptUebel, mein lieber Bruder, liegt in dem Misverhältnisse Deines Alters zu Deiner Lage; ich habe das alles vorhergesehen, u. gröstentheils es Dir vorhergesagt. Du mustest diesen Uebeln Dich freiwillig unterwerfen. – Dazu kommt Deine bis jetzt gewohnte Lebens Art. Es ist kein geringes aus dem beständigen Leben in einer Familie, aus fortdauernder Gesellschaft, sich in die Einsamkeit eines Studierzimmers, u. ohne Welts=und Menschenkenntniß, ein Jüngling an Jahren, u. ein Kind an Einsicht sich unter fremde Leute eines ganz andern Standes wagen. – Die unangenehmste Nachricht in Deinem Briefe war mir Dein Hang zur Hypochondrie. Ich weiß aber beßer, daß es nicht dies, sondern Sehnsucht nach Deiner vorigen Art zu seyn, Sehnsucht nach Hause, u. s. f. ist. Darin wirst Du mir widersprechen; aber Du kannst das nicht beurtheilen; es ist Sehnsucht, die nicht zum Bewußtseyn kommt.
Du irrst Dich gänzlich, wenn Du glaubst, daß Du schon jezt mit Nutzen nach Jena kommen könntest; u. das ist ein Beweiß, daß Dir noch bis jezt über diejenigen Dinge, die ich Dir gleich anfangs sagte, u. schrieb, noch kein Licht aufgegangen ist; daß nemlich zu einem Gelehrten positive Kenntniße gehören. Mein Umgang kann Dir hierin nicht viel nützen. Denn theils habe ich des Tages gar sehr wenig Zeit übrig, theils verstehst Du mich nur halb; theils kommen die Dinge, die Dir jetzt zu lernen nöthig sind, in meinen Gesprächen nicht vor: ich habe nicht Zeit Dich darin zu unterrichten, und bin auch selbst kein großer Held darin. Endlich aber verhindert es besonders meine jezige Lage ganz u. gar Dich, ehe Deine Sitten mehr Feinheit haben, in mein Haus zu nehmen. Ich habe meine sehr triftigen Gründe, zu wollen, daß nichts [/] was mir angehört, auf irgend eine Art dem Tadel des Publikum ausgesezt sey. – Du kannst für Deine Sitten höchstens Schüchternheit, und das Complimentirbuch der kleinstädtischen Welt angenommen haben: das ist für den Anfang nicht übel. Aber darauf muß eine anständige Freimüthigkeit, und eine gewiße Leichtigkeit gesezt werden, und diese kannst Du in Deiner gegenwärtigen Lage nicht annehmen, und ich weiß gar wohl warum. – Ferner weiß ich sehr sicher, daß Du die schöne Rammenauische Sprache noch immer nicht abgelegt hast, und daß diese erst weg wäre, wünsche ich gar sehr.
Dies sind meine Gedanken wegen Deines Anherkommens. Dies ist vor der Hand unmöglich, und bleibt unmöglich, bis ich Dich selbst geprüft habe, und Dich dazu fähig finde. Deinen Wunsch aber von Meissen wegzuseyn, überhaupt misbillige ich nicht: wenn ich nur wüste, wo ich Dich hinthun sollte. Es sind mir zwei Gedanken eingefallen; entweder als Externus nach SchulPforte. Hierbei würdest Du den Vortheil haben, mit jungen Leuten Deines gleichen bekannt zu werden, welches ein großer Vortheil für das ganze Leben ist; aber leider – würde Dir dabei Deine Unwißenheit in demjenigen, wovon dort alles Ansehen abhängt, im Wege stehen, und es würde eine sehr große Klugheit von Deiner Seite erfordern, Dich zu behaupten, theils wäre auch dort für die Bildung feiner Sitten nicht viel beßer gesorgt, als in Meissen. Jedoch, du wärst mir in der Nähe, und ich könnte vielleicht durch meinen Einfluß, u. Namen bei den umliegenden Familien etwas vermögen. (Dieser ganze Plan stößt sich besonders daran, ob Du auch genug gelernt haben magst, um in Pforte recipirt zu werden.) Oder, es ist mir eingefallen Dich zum Pastor Bischoff zu thun, der seine schlechte Stelle mit einer sehr guten, auch nicht allzu weit von hier, vertauscht hat. Ich werde in einigen Wochen selbst zu ihm reisen, und die Lage selbst vollkommen prüfen, ehe ich ihm einen Gedanken davon äußere. In der Mitte künftigen Monats sollst Du etwas bestimmtes von mir erfahren.
Wie stehts mit dem Tanzen? Ferner, wie steht es mit Deiner Kleidung, Deinen Büchern, Deiner Börse? – Schreib mir das recht ausführlich, damit ich meine Maasregeln darnach nehmen könne.
Deinen Lehrer grüße von mir, und sage ihm: ich bedaure, daß ich ihm Dein Viertel=Jahr=Geld nicht habe schiken können. Es sey mir nicht möglich gewesen, und ich müste ihn bitten zu warten, bis Monat Mäy, wo ich es ihm richtig, und mit Dank übersenden werde. [/]
Bruder Christian hat von Finsterwalde aus an mich geschrieben u. mir seine Verheirathung gemeldet. Wenn Du ihm etwa schreibst, so versichre ihn meines herzlichen Antheils. Ich werde ihm schreiben, sobald ich Zeit haben werde. Eben so an Bruder Gottlob, und meine Eltern.
Dein treuer Bruder
Fichte.
[Johanna:] Lieber theurer Bruder! Ich kann meines Mannes Brief nicht vortgehn laßen ohne Ihnen auch ein paar Zeihlen zu schreiben; ohne Ihnen zu sagen daß mein theurer Vatter Sie innig liebt, und herzlich grüßt, daß Er und ich aufrichtig wünschen daß Sie bald bey uns sein mögen; faßen Sie Muth Theurer, die Zeit daß Sie bey uns Leben, wird ja auch nicht mehr so lange daurn, und denn werden Sie Sich das überstanden zu freuen haben.
Daß wir Ihnen so wenig schreiben, ist gewis nicht mangel Liebe, sondern mangel an Zeit, das ist im ganzen ein wirwarvolles Leben hier, [daß] wenig wahren Genuß schaft, und viel Zeit raubt; Sie werden einmahl selber sehn; ich wünsche nur daß Sie bald kommen, und kann nicht so ganz einsehn warum mein Mann es so aufschiebt, die Lebensart ist hier nicht gar fein, so daß gewis ein jeder sich bald hineinfindt; ich wünschte nur auch Sie einmahl zu sehn Lieber Bruder! Warum können, und sollen Sie uns denn nie besuchen? Sie und ich, wir wollten, unsern Fichte denn schon bekehren, ich glaube immer Er nimt die Sache viel zu strenge. Leben Sie wohl! Guter theurer Bruder, von ganzem Herzen
Ihre Fichtin.
Metadata Concerning Header
  • Date: März 1795
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte · , Johanna Fichte ·
  • Recipient: Samuel Gotthelf Fichte
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Meißen · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 262‒265.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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