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Johann Gottlieb Fichte to Karl Leonhard Reinhold

Jena, d. 28. April 1795.
Noch liegt ein kleines zwischen uns, das nicht mein Herz von dem Ihrigen, aber, ich befürchte, das Ihrige von dem meinigen trennt. Laßen Sie uns dies noch berichtigen, und sodann reiche ich Ihnen im Geiste die Hand zur herzlichsten Aussöhnung.
Die alte Sache ist abgetan; Ihre neue Klage ist die folgende: ich hätte Ihnen meinen vorigen Brief nicht schreiben sollen; ich hätte Sie nicht nach der Strenge allgemeiner Grundsätze, sondern nach Ihrem Gefühl beurtheilen, mich in Ihre Stelle versetzen sollen, u. dergl. Ich muß hierüber abermals räsonniren.
Zuförderst habe ich das wirklich gethan. Ich bin weit entfernt gewesen, Sie im Ernste der Gesinnungen zu beschuldigen, welche Ihr Benehmen, wenn es überdacht gewesen wäre, allerdings voraus gesezt hätte. Ich will zeigen, daß Sie sich von Leidenschaft übereilen laßen. Ich führe den Beweiß so: wenn Sie ruhig überlegt hätten, so müste Ihrem Betragen, der, der, der Grundsaz zu Grunde liegen; das kann nicht seyn, mithin u. s. w. Ueber die Sache selbst sind wir gegenwärtig durch ein freimüthiges Geständniß, das Ihnen Ehre macht, einig.
Aber ich hätte in jenem Beweise nicht so scharf, oder „wüthend” verfahren sollen.
– Beurtheilen wir die Sache nach dem strengen Rechte, so geben Sie in Ihrem ersten Briefe Ihre heftigen Ausfälle nicht für einen Ausbruch der Leidenschaft, sondern selbst für Räsonnement, aus welchem hervorging, daß ich ein unbesonnener Docent, ein boshafter, und undankbarer Ehrenabschneider, ein Verräther der Freundschaft, u. s. w. wäre. Wir waren im Kriege begriffen, u. kämpften mit gleichen Waffen; ich konnte Ihr Räsonnement nur durch Räsonnement angreifen. War ich verpflichtet anzunehmen, daß seit Absendung des Briefs Sie Ihre Uebereilung [/] schon bereut hätten? Durfte, und sollte ich Sie nicht nehmen, wie Sie sich in dem Briefe, den ich zu beantworten hatte, zeigten?
Oder, wenn ich die Untersuchung auf das Gebiet der Billigkeit, u. Liebe führe, – gesezt, ich konnte wißen, oder voraussetzen, daß Sie sich seitdem beßer bedacht hätten – konnte ich nicht noch einen andern Grund haben, die Sache so weit zu treiben, als sie gehen konnte? Ich hatte einen solchen Grund, und hier ist er. Ich wünschte sehnlichst, was ich jezt hoffe, daß zwischen uns ein freundschaftliches Verhältniß hergestellt werden möchte. Dies war nicht möglich, ohne ein Geständniß, daß Sie sich übereilt hätten. Dieses Geständniß beabsichtigte ich, und ich konnte nicht berechnen, wie viel Kraftaufwendung es dazu bedürfen möchte. Jezt steht die Sache ganz anders; und jene Beleidigung mit den mannigfaltigen Folgen, die sie für mich schon gehabt hat, und noch haben muß, ist aus meinem Herzen völlig ausgetilgt.
Auch kann ich jezt die Empfindlichkeit, die sich in Ihrem leztern Briefe abermals äußert, die daher entstandene völlig unrichtige Erklärung meiner Worte, und die bittern Repliquen darauf, sehr wohl entschuldigen, weil ich Sie jezt aus dem Gesichtspunkte beurtheile, auf welchen Sie selbst mich gestellt haben; aber berichtigen muß ich sie doch, um Sie entweder zu einem Erweise, oder zu einem Widerrufe zu veranlaßen.
Wo ist die Aeußerung in meinem Briefe, welche insinuirte, daß zwar meine Anhänglichkeit an mein System Wahrheitsliebe, die Ihrige an das Ihrige Eigenliebe sein müße. ./. u. s. w. denn ich wünsche, daß Sie sich bestimmt erinnern, welcher Ausdrüke Sie sich bedient haben./. oder, wenn Sie keine solche Aeußerung finden, warum erlauben Sie sich diese, und noch stärkere Bitterkeiten? Nicht, daß Sie über Ihr System halten, sondern daß Sie die Prüfung deßelben, von deren [/] Inhalt Sie übrigens nichts wißen, es sey, wo es sey, übel empfinden, das rügte ich.
Wo insinuire ich, daß es Neid, u. Eifersucht von Ihnen sey, wenn Sie meine lezten Schriften dunkel finden, und auf Befragen es gestehen? Habe ich nicht ausdrüklich erklärt – und ich hoffe, daß Sie mir glauben, sowie ich Ihnen über Ihre Versicherungen unbedingt glaube – daß ich über alle die Beschuldigungen, die man mir über Sie zu brachte, und über alle Deutungen, die man Ihrem Benehmen gab, schlechterdings nicht urtheilte, sondern den Aufschluß ruhig erwartete, den ich jezt zu meiner völligen Befriedigung habe. „Wenn ich auf Ihrem Catheder ausrotte, was Sie gepflanzt haben, solle Ihnen, meiner Anmuthung nach, dies darum gleichgiltig seyn, weil Sie gepflanzt haben, und ich ausrotte.” Allerdings muthet Ihnen die Vernunft zu, daß es Ihnen gleichgiltig sey (unter der möglichen Bedingung, daß Wahrheit an die Stelle deßen, was möglicher Weise Irrthum seyn kann, komme), nicht, weil Sie gepflanzt haben, sondern obschon Sie gepflanzt haben. Ihre Persönlichkeit soll gar nicht in Anschlag kommen. Habe ich hierüber Unrecht? Von Mir ist gar nicht die Rede gewesen; und ich wünschte zu wißen, ob Sie zu dieser Bitterkeit irgendwo, außer in Ihrer Empfindlichkeit, einen Grund hätten. Auch kann nur diese die Quelle des außerdem unbegreiflichen Misverständnißes seyn, daß ich die Anerkennung meines Systems als Kriterium Ihrer Wahrheitsliebe aufgestellt hätte. Ich gebe Ihnen und aller Welt das Recht, mich tief, tief zu verachten, wenn ich je etwas der Art äußere.
Von der Verschiedenheit unsrer Systeme kann in dieser Sache nur insofern die Rede seyn, inwiefern man glauben könnte, (wie ich denn dieser Unlauterkeit auch wirklich durch Ihre Freunde bezüchtigt worden bin,) daß ich sie für größer ausgebe, als ich sie wirklich halte, um meine Angriffe auf Sie zu beschönigen. Das ist, soviel ich das Innere meines Herzens kenne, der Fall nicht; aber irren in meinem Urtheile kann ich wohl: ich kann ja Ihr System nicht richtig aufgefaßt haben. [/]
Ueberhaupt ist der Streit gar nicht über die Richtigkeit Ihrer Behauptungen an sich; diese gebe ich Ihnen gröstentheils zu, nur daß mir manches an sich wahre nicht richtig erwiesen zu seyn scheint; sondern darüber, Was Ihr System eigentlich sey. Von der Beantwortung dieser Frage hängt sogar die Existenz der Wißenschaftslehre ab. Nach Ihnen ist es ElementarPhilosophie, was Sie mehrmals durch Fundament aller Philosophie erklären; nach mir lediglich Philosophie des theoretischen Vermögens, welche wohl eine Propädeutik der gesammten Philosophie seyn kann, und soll; nimmermehr aber Fundament derselben. Hierüber glaube ich schon in der Rec. des Aenesidemus, noch deutlicher aber im Programm, mich mit höchster Bestimmtheit erklärt zu haben. So einig wir daher in der Sache selbst sind, so uneinig sind wir in demjenigen, worauf es mir vor der Hand ankommt. Meines Erachtens steht der Streit so. Sie müßen, wenn Sie das Fundament der gesammten Philosophie aufgestellt haben, das Gefühl, und Begehrungsvermögen, als eine Art, vom Erkenntnißvermögen ableiten. Kant will jene drei Vermögen im Menschen überhaupt nicht unter ein höheres Princip unterordnen, sondern läßt sie bloß coordinirt bleiben.
Ich bin mit Ihnen darüber ganz einig, daß sie unter ein höheres Princip subordinirt, darüber aber uneinig, daß dieses Princip das des theoretischen Vermögens seyn könne, worüber ich mit Kant einig bin; uneinig mit ihm, daß jene Vermögen überhaupt nicht subordinirt seyn sollen. Ich subordinire sie dem Princip der Subjektivität überhaupt. Diesen Weg nun schneiden Sie durch ihre Elementar Philosophie völlig ab, indem Sie schon ein höchstes Princip, das ich aber nur für subordinirt halte, haben; Kant läßt ihn übrig, denn er hat sich nur gegen die Subordination unter das theoretische Princip erklärt. – Der Schluß meines Programms, und der theoretische Theil der Grundlage der W.L. ist äußerst dunkel; ich weiß es sehrwohl, die W.L. hat überhaupt einen in[/]nern Grund der Dunkelheit, und sogar der Unverständlichkeit für manche Köpfe (gewiß nicht für den Ihrigen) in sich selbst. Aber ich hoffe, daß durch den praktischen Theil der Grundlage, und durch das, was ich insbesondre über die Theorie geschrieben, die Sache klärer werden soll. Der Abdruk derselben ist durch ein Ohngefähr verspätet worden. Sobald ich meine Exemplare habe, sende ich Ihnen Eins.
Nach meiner innigen Ueberzeugung – weil doch nun einmal über dergleichen Dinge die Rede unter uns entstanden ist – haben Sie die Kritik der reinen (theoretischen) Vft. welche allein Sie zu großem Schaden der Philosophie, wie mir’s scheint, bei Entwerfung Ihres Systems vor sich hatten, weiter geführt; und für die gesammte Philosophie die Ueberzeugung unter die Menschen gebracht, daß alle Forschung von Einem Grundsatze ausgehen müste. Es scheint, daß Keinem Alles vergönnt sey. Ich habe nichts weiter zu thun gehabt, als Kants Entdekung, der offenbar auf die Subjektivität hindeutet, und die Ihrige, zu verbinden; habe daher gerade das allergeringste Verdienst.
Verhalte es sich mit diesem Verdienste, wie es will; es ist, so viel ich mich selbst kenne, in dem Innersten meines Wesens gegründet, daß ich auf philosophisches, und jedes theoretische Verdienst keinen Werth setze, und daß ich einen davon unabhängigen erstrebe. So gut ich es weiß, daß auch ich nach der Vollkommenheit nur streben kann, so werde ich doch wenigstens mit meinem Wißen keine Unlauterkeit in mir dulden, und wo ich gefehlt habe, sobald ich meinen Fehler erkenne, ihn freimüthig bekennen, und gut machen, so weit ich kann, [/] alles Gute außer mir mit Freuden anerkennen, und wohldenkende, redliche Männer mit innigster Wärme werthachten; und lieben; und dies um so mehr, wenn sie mit Güte des Herzens vorzügliche Talente verbinden. Ich rechne nach Ihrem leztern Briefe, ohnerachtet der Uebereilungen, die ich darin erblike, Sie unter diese Männer; ich werde Sie daher werthachten, und lieben; ohnerachtet ich begreife, daß Sie, so lange Ihnen das Andenken der Beleidigung, die ich Ihnen ohne mein Recht zugefügt haben soll, gegenwärtig ist, und so lange Sie daher glauben, daß ich den vermeinten Stolz andrer nur durch größern eignen Stolz zu Boden schlage, u. s. f. mir weder volle Gerechtigkeit [widerfahren] laßen, noch mich achten, und lieben können. Aber ich erwarte alles ruhig von der Zeit, und von meinem Betragen gegen Sie, das von nun an unverrükt das gleiche bleiben wird.
Wegen des Herrn v. Hammerstein melde ich Ihnen, was notorisch, und überlaße es, wie sich versteht, Ihnen, was Sie von diesen Nachrichten, und wie Sie es bei der Gr. v. Münster brauchen wollen. Der vorherige Lebenswandel deßelben in Göttingen wird derselben warscheinlich nicht unbekannt seyn. Die Zeit seiner Erscheinung zu Jena, in der Mitte des Halb=Jahrs, bald nach Aufhebung des Constantisten Ordens, macht glaublich, was man hier durchgängig glaubt, daß er zur Wiederherstellung dieses Ordens, deßen erste Stütze er in Göttingen gewesen, aus Hildesheim, wo er schon geraume Zeit privatisirt, von Jena aus verschrieben worden. Wenigstens hat er [/] die meineidigen Glieder deßelben, die erst vor einigen Wochen den Orden abgeschworen hatten, wieder vereinigt, und diesen rohesten aller hiesigen Orden roher gemacht, als je. Seit seiner Ankunft hat er eine Menge junger Leute beunruhigt, hat wegen einer gräulichen Gewaltthätigkeit schon das consilium abeundi unterschreiben müßen, hat aber seitdem nicht abgelaßen, mehrere ihm als gesittete und ruhige bekannte junge Männer auf den Straßen zu schimpfen, zu stoßen u. s. f. (v. Zwanziger, Phleps) um sie dadurch in Händel, und vermittelst ihrer in die Ordensverbindungen zu ziehen, welches ihm auch häufig gelungen. Seine leztern Vergehungen sind nicht zur Untersuchung gekommen. Die Furcht vor ihm ist allgemein. Jezt eben liegt er mit seinen und den schlechtesten Subjekten eines andern Ordens bei einem schwer verwundeten Ordensbruder in Ziegenhäin, wo diese Gesellschaft das schändlichste Leben führt.
Vorlesungen hat er in den ersten Wochen seines Hierseyns besucht, ist aber seitdem nicht wieder hineingekommen. Einige Studenten, die ihn näher kennen, haben mir viel gutes über sein Betragen, wenn er ohne seine Rotte in beßerer Gesellschaft, und nüchtern sey, wie auch über seine Talente gesagt. Es scheint daher, daß Er selbst beßer sey, als sein Betragen. So viel aber ist sicher, daß wegen der falschen Richtung, die sein Ehrgeiz genommen, und wegen der Rotte, die ihn umgiebt, Jena weder ihm, noch Er Jena nützlich seyn kann; da er ohnedies über lang, oder kurz in Untersuchung fallen muß, die nach dem vorhergegangenen sich unmöglich vortheilhaft für ihn en[/]digen kann, und ihn mit seinem Vater, der ein würdiger Mann, und mit dem bisherigen Betragen seines Sohns sehr unzufrieden seyn soll, auf eine gefährliche Art entzweien müßte. – Mir für meine Person ist aller Eingang bei ihm abgeschnitten. Mit Hrrn. Prof. Hufeland, der in diesen Tagen abwesend ist, werde ich darüber spreche[n], sobald er zurük ist. Das beste was meines Erachtens für ihn geschehen kann, ist, ihn bei Zeiten, und mit guter Art von Jena wegzubringen. Zwei, drei, vier Jahre bürgerliches Leben; dann, wenn er sich noch weiter ausbilden soll, auf eine Universität, wo es keine Orden giebt. Ich kenne sogar hier junge Männer, die jezt durch Fleiß, und Sittsamkeit Muster seyn können; die ehemals vor langen Jahren hier die schändlichste Rolle gespielt; aber weggegangen, in bürgerliche Verhältniße verflochten worden, und nach Jahren zurükgekehrt, um das, deßen Versäumniß sich schon bitter an ihnen gerächt, nachzuholen.
Mit den Gesinnungen, die ich durch meinen ganzen Brief unverkennbar geäußert zu haben glaube, empfehle ich mich Ihnen.
Fichte.
Ich bringe diesen Sommer außer Jena auf dem Lande zu, aus Gründen, welche heute zu schreiben ich nicht Zeit habe.
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  • Date: Dienstag, 28. April 1795
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Karl Leonhard Reinhold
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Kiel · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 312‒317.
Manuscript
  • Provider: Goethe- und Schiller-Archiv
Language
  • German

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