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Johann Gottlieb Fichte to Johann Caspar Lavater

Oßmannstedt, b. Weimar, d. 8. Mäy. 1795.
Durch einen, an sich nicht angenehmen Vorfall, der aber, wenn es nach meinem Wünschen und Hoffen geht, glükliche Folgen haben soll, habe ich, mein Verehrungswürdiger Freund, für diesen Sommer eine ungebundnere Existenz, und die Muße erhalten, es meinen Freunden zu weilen zu sagen, daß ich mit inniger Hochachtung, und Liebe ihrer gedenke.
Zucht, und Sittlichkeit waren unter den Studierenden zu Jena in den äußersten Verfall gerathen; ich suchte etwas für ihre Herstellung zu thun; ich wurde nicht unterstüzt, und alles, dem an der Fortdauer der Barbarei liegt, fiel über mich. Da ich dafür halte, daß ein ehrlicher Mann gewiße Dinge gar nicht ertragen dürfe, so habe ich mich, vor der Hand nur für diesen Sommer, auf das Land zurükgezogen; ob man etwa indeßen in Jena solche Anstalten treffen möchte, daß ein Ehrliebender ohne Schande daselbst leben könne.
Ich höre, daß man mich in Zürich verläumdet, und Lügen gegen mich erdichtet. Man thut dies an andern Orten auch, und ich sage kein Wort. Von dieser meiner Sitte gehe ich in Rüksicht Zürichs ab; nicht, als ob ich es dort weniger erwartet hätte, oder als ob die dortigen Verläumder weniger verächtlich wären, oder, als ob ich meine dortigen Freunde für schwächer, und leichtgläubiger hielte; sondern darum, weil die Meinigen wegen ihrer fortdauernden Anhänglichkeit an den vaterländischen Boden dadurch betrübt werden. [/]
Zuförderst meine häusliche Lage ist die ruhigste, und friedlichste. Ich weiß nicht, ob es ein beßeres Verhältniß zwischen Eheleuten im ganzen Herzogthume geben mag, als es das unsrige ist. Unser alter Vater wird von meiner Frau mit der sorgsamsten Zärtlichkeit gepflegt; weit entfernt, daß ich ihr dabei ein Hinderniß in den Weg legen sollte, wird sie mir dadurch nur immer theurer; er wird von mir geliebt; und er liebt uns wieder so herzlich, daß er gewiß keinen andern Wunsch hegt, als den, unter uns seine Tage zu beschließen. In dieser Gegend zweifelt an diesem allen Niemand; und ich wollte daher gar leicht beweisen, daß alle Lügen über diesen Punkt ganz allein in Zürich erdacht, und von da aus erst weiter verbreitet werden. – Auch hat man etwas über eine Streitigkeit zwischen Reinhold und mir geplaudert. Reinhold hatte sich übereilt; er hat seine Uebereilung schon anerkannt, und ich hoffe, daß in kurzem das gute Verhältniß, [das] in meinem Herzen nie unterbrochen worden, zwischen uns völlig hergestellt seyn wird. – Erlauben Sie, Theurer, daß ich meine Vertheidigung, wo sich Anlaß dazu findet, in Ihre Hände lege.
Erhalten Sie mir Ihre gute Meinung und Ihre Freundschaft. Ich werde die lezte Zeit meines Aufenthalts in Zürich immer seegnen, weil sie [/] mir Gelegenheit gab, Sie, verkannter, und von mir garnicht gekannter Mann kennen, verehren, und lieben zu lernen. Ihre Werthachtung, und die Werthachtung noch einiger Wenigen, wird mich für die Verfolgungen der halben Welt reichlich entschädigen.
Es ist wohl nöthig, daß die wenigen Rechtschaffnen, die es noch giebt, sich kennen, und lieben. Je näher man die Menschen kennen lernt, je weniger kann man sie achten. Ich habe das, was Sie über mehrere Männer, die ich seitdem in der Nähe gesehen, gesagt, oder gewinkt, bestätigt gefunden, Kennen Sie den Geheimen Rath Voigt in Weimar? Er ist einer von den Wenigen, und wäre es werth, von Ihnen gekannt zu seyn. In Jena ist Schiller. – Doch erwarte ich eine beßere Zukunft. Ich habe unter der Menge verdorbner junger Leute in Jena doch auch einzelne äußerst liebenswürdige kennen gelernt. Wenn auch ein Theil derselben verdorben würde, so behalten wir doch noch guten Saamen genug. Einen meiner jungen Freunde, Herrn Perret, habe ich Ihnen zugeschikt.
Daß den Schweizerischen Subskribenten meine Schrift noch nicht zugeschikt ist, ist nicht meine Schuld. Ich habe Herrn Geßner das Verhältniß geschrieben. Auch waltet hierbei ein Misverständniß ob: das Buch ist noch nicht fertig.
Mit innigster Hochachtung
ganz der Ihrige
Fichte.
Ich empfehle Ihnen Ihren Cramer, der in kurzer Zeit wieder in seinem Vaterlande seyn wird. Er hat das Jahr, das er bei uns zugebracht, sehr sorgfältig genüzt, und sich von allen Seiten gebildet. Dabei ist er ein rechtschaffner, gut denkender Mann. Ich habe Gelegenheit gehabt, ihn genau zu beobachten, und kann für ihn zeugen. Er war der Auswahl unter unsern jungen Leuten theuer.
Unser Vater, und meine Frau grüßen tausendmal.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 8. Mai 1795
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johann Caspar Lavater
  • Place of Dispatch: Oßmannstedt · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 318‒320.
Manuscript
  • Provider: Zentralbibliothek Zürich
Language
  • German

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