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Johann Christian Gottlieb Schaumann to Johann Gottlieb Fichte

Gießen den 16. Mai 1795. 399
Rechnen Sie es meiner Achtung gegen Sie zu, daß ich Ihnen die beiliegenden gedruckten Blätter und diese Zeilen [/] zu überschicken mich entschloß, und verzeihen Sie meinem Vertrauen zu Ihnen, daß ich meinen Entschluß ausführe.
Ich bin mit der Bearbeitung eines Systems der theoretischen, praktischen und technischen Philosophie beschäftigt, und habe es bei dieser Beschäftigung mehr als einmal gefühlt und bedacht, was ich dem Verfasser der Recension des Aenesidemus und des Beitrags ec. schuldig bin. Ich bin überzeugt, daß dieser Selbstdenker es nicht für Unbescheidenheit hält, wenn ich seiner Prüfung in der Kürze eines Briefes eine Deduktion der Philosophie vorlege; denn ich habe das reine Bewußtseyn, daß ich hierin handle, mithin zu einem Manne rede, der dem Redenden gleich ist, und sich gern zu Gleichen gesellt und ihnen Rath giebt. Doch ohne weitern Eingang: hier ist die Deduktion. [...] – –
Doch ich muß aufhören, denn ich kann doch zu wenig sagen von dem, was ich denke. Aber bemerken muß ich es Ihnen, daß, seitdem ich zu mir selbst gekommen bin, (und davon verdanke ich Ihnen sehr viel), mir ein Licht der Wahrheit aufgegangen ist, wie ich es vorher kaum schimmern sah. Insonderheit ist es mir interessant gewesen, in der Lehre des reinen Evangelii (mit dessen Kritik ich mich gerade jetzt beschäftige), das in Gleichnissen und Bildern zu finden, was das reine Ich ohne empirische Hülle anschaut. Denn enthalten nicht die vier ersten Punkte des Hauptgebets des Christen dem Geiste nach das Fundament der reinen Moral, nämlich das Grundgesetz des Rechts, nach seinen vier durch die Kategorien bestimmten Formeln? Und sind nicht selbst die vier Hauptfeste der so sehr verunreinigten christl. Kirche Symbole moralischer Grundlehren? [/] Ich wenigstens freue mich recht innig, wenn ich mir das Weihnachtsfest als ein Symbol der Wahrheit: Ihr seyd Gottes Söhne geboren (frei), wie Christus; das Osterfest: Ihr sollt auferstehen (aus der Finsterniß und Sclaverei des Empirismus), wie er auferstanden ist; das Fest der Himmelfahrt: Ihr sollt zu Gott (dem reinen Ich) gehen, wie er, und das Pfingstfest als ein Sinnbild des Satzes mir denke: Wer frei, edel und reines Herzens ist, über den wird der Geist der Heiligkeit ausgegossen, oder der ist würdig, von Gott geweiht zu werden, wie die, welche Christo nachfolgten.
Nehmen Sie, würdiger Mann, meinen Brief, die Beilage über die Eintheilung der Philosophie, und mein Buch, in dem ich schon recht viel zu verbessern finde, gut auf. Wie sehr würde ich mich freuen, wenn meine Gedanken die Ihrigen wären. O solche Freude ist eine treffliche Ermunterung in dem durch unsern politischen und kosmopolitischen Beruf zur Pflicht gemachten Streben, die Wahrheit von Oben herab zu den Menschen auf Erden zu führen! ec.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 16. Mai 1795
  • Sender: Johann Christian Gottlieb Schaumann ·
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Gießen · ·
  • Place of Destination: Oßmannstedt · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 321‒322.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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