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Friedrich Schiller to Johann Gottlieb Fichte

24. Jun.
So sehr mich der Anblick Ihres Mscrpts erfreute l Fr. und so ungern ich einen Beytrag misse, auf den in den nächsten Lieferungen der Horen schon ganz sicher gerechnet war, so sehe ich mich doch genöthigt, ihn zurückzuschicken. Ich müßte dieses schon s. unförmlichen Länge wegen, die sich aus dem Anlauf, welchen Sie nehmen nun wohl errathen läßt; ich muß es aber um so mehr, da mich der Innhalt deßelben so wenig als die Behandl. befriedigt.
Ueber G u B in der Philosophie überschreiben Sie den Aufsatz, und die ersten 3 Bogen handeln von nichts als von dem Geist in den schönen Künsten, der soviel ich weiß etwas ganz anders als d Gegentheil des Buchstabens ist. Geist als Gegensatz des B, und Geist als aesthet. Eigenschaft dünken mir so himmelweit verschiedene Begriffe zu seyn, daß es einem phil. Werk ganz [/] und gar an den letztern gebrechen kann, ohne daß es sich darum weniger qualifizierte, als ein Muster einer reinen Darstell. des Geistes aufgestellt zu werden. Ich sehe also in der That nicht ab, wie Sie ohne einen Salto mortale von dem einen zu dem andern übergehen können, und noch weniger begreife ich, wie Sie von dem Geist in den Göth. Werken, den man unter der Aufschrift Ihrer Abhandl. schwerlich erwartet hätte, zu dem Geist in der Kant. oder Leibniz. Philosophie einen Weg finden werden. Aus der zweyten Lieferung Ihres Mscrpts sehe ich zwar wohl, daß Sie keinen so großen Umweg gemacht zu haben glauben, denn nachdem Sie vorher dem aesthet. Geist Geistlosigkeit entgegensetzten, setzten Sie ihm durch eine mir unbegreifliche Operation den Buchstaben entgegen, und nennen Buchstäbler die, denen die Fähigkeit dazu gebricht.
Für so zweckwidrig ich diese Einleitung in Rücksicht auf den abzuhandelnden Gegenstand halte, so zweckwidrig ist sie noch ins besondre für das gegenwärtige Bedürfniß der H. Ein großer Theil meiner Briefe über <Ä> [/] behandelt den nehmlichen Gegenstand, und bey aller Mühe die ich mir gegeben, den abstrakten Innhalt durch die Darstellung zu beleben, so findet man doch allgemein eine Unschiklichkeit darinn, dergleichen abstrakte Untersuchungen in einem Journal zu placieren. Durch Ihren Aufsatz über G und B. hofte ich den philosophischen Theil des Journals zu bereichern, und der Gegenstand, den Sie wählten, ließ mich eine allgemein verständliche und allgemein interessierende Untersuchung erwarten. Was erhalte ich nun, und was muthen Sie mir zu, dem Publikum vorzulegen? Die alte, von mir noch nicht einmal ganz geendigte Materie, sogar in der alten schon von mir gewählten Briefform, und dieß alles nach einem so eccentrischen Plan, daß es unmöglich wird, die Parthien [/] Ihres Aufsatzes in ein Ganzes zusammen zu halten. Es thut mir leid es zu sagen, aber es liege nun woran es wolle, so befriedigt mich weder die Einkleidung noch der Innhalt, und ich vermisse in diesem Aufsatz die Bestimmtheit und Klarheit, die [Ihnen] sonst eigen zu seyn pflegt. Ihre Eintheilung der Triebe kommt mir schwankend willkührlich und unrein vor. Es fehlt an einem Eintheilungsgrund, man sieht nicht, welche Sphäre erschöpft ist. Der Trieb nach Existenz oder Stoff (der sinnliche Trieb) hat gar keine Stelle darinn, – denn es ist unmöglich den Trieb nach Mannichfaltigkeit mit dem nach Einheit in Eine Classe zu [bringen.] Aus dem practischen Triebe, so wie Sie diesen definieren, läßt er sich ohne die gewaltsamste Operation nicht herausbringen. Da die zwey ersten Triebe nicht rein unterschieden sind, so konnte auch der dritte daraus abzuleitende aesthetische Trieb nicht anders als schielend und unsicher ausfallen. Kurz in der Bestimmung dieses aesthetischen [/] Triebs herrscht noch eine nicht zu hebende Verwirrung, obgleich manche einzelne Bestimmungen daran mich vollkommen befriedigen – Doch ich kann nicht hoffen, in einem kurzen Brief nur das Allernöthigste über diese Materie zu sagen. Sie werden das Urtheil anderer darüber hören; dieses und die Zeit wird mich rechtfertigen.
Nur noch ein Wort über Ihren Vortrag. Sie schreiben, daß Sie Fleiß darauf verwendet hätten. Wir müßen aber ganz verschiedene Begriffe von einer zweckmäßigen Darstellung haben, denn ich gestehe, daß ich mit der Ihrigen in diesen Briefen gar nicht zufrieden bin. Von einer guten Darstellung fodre ich vor allen Dingen Gleichheit des Tons, und wenn Sie aesthetischen Werth haben soll, eine Wechselwirkung zwischen Bild und Begriff, keine Abwechslung zwischen beyden, wie in Ihren Briefen häufig der Fall ist. Daher das unschickliche, daß man unmittelbar von den abstrusesten Abstraktionen unmittelbar auf Tiraden stößt, ein Fehler, woran man schon in [Ihren] früheren Schriften Anstoß genommen, und der [/] hier vergrößert wiederkehrt. Wie endlich zu einem guten Vortrage Härten nothwendig seyn können, begreife ich vollends nicht.
Sie untersagen mir eigenmächtige Aenderungen in Ihrem Mscrpt zu machen, als wenn ich es gewohnt wäre, dergleichen ohne Einwilligung der Verfasser vorzunehmen. Habe ich an Ihrem ersten Aufsatz geändert, so haben Sie selbst mich dazu autorisiert, auch war es ein dringendes Bedürfniß. Das nehmliche würde auch hier der Fall seyn, wenn der Fehler nicht tiefer läge.
Vergeben Sie die Freymüthigkeit, mit der ich Ihnen meine Meynung eröfnete. Ich mußte, um nicht der Willkührlichkeit beschuldigt zu werden, Gründe von meinem Entschluß angeben, der bey dem großen Bedürfniße der Horen nicht wohl begreiflich seyn möchte. Habe ich mich [/] in einigen Stellen zu lebhaft ausgedrückt, so mag der sehr natürliche Unmuth über eine fehlgeschlagene Erwartung mich entschuldigen.
In Ihrer Abrechnung mit Cotta kann übrigens dieser Umstand keine Veränderung machen. Er wird, wenn Sie die Schrift einzeln drucken laßen, gerne Verleger dazu seyn. Ich lege deßhalb den Brief, den Sie mir an Ihn zugeschickt mit bey. Nur müßen Sie mir erlauben, im Fall Cotta mich darüber zu Rath zieht, ihm als sein Freund zu rathen, worauf er sich ein Recht erworben hat.
Der Ihrige
Sch.
Leben Sie wohl, u laßen den Freund 0 entgelten, was der Red. nicht wohl verschweigen konnte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 24. Juni 1795
  • Sender: Friedrich Schiller ·
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Oßmannstedt · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 333‒335.
Manuscript
  • Provider: Goethe- und Schiller-Archiv
Language
  • German

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