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Johann Gottlieb Fichte to Friedrich Schiller

Ossmanstädt, d. 27. Jun. [95].
Die Verworrenheit der Begriffe, die Sie mir zutrauen, ist ein wenig arg. Ich konnte Ihnen nicht zumuthen, daß Sie die Aufgabe, gegen den gewöhnlichen Sinn der Worte, der mir keinen Sinn zu haben scheint, faßten, wie ich sie gefaßt habe; aber ich konnte erwarten, daß Sie einem Manne, von deßen philosophischem Talent Sie bis jezt vortheilhaft geurtheilt, und dem Sie einen ehrenvollen Plaz an den Horen bestimmt hatten, zutrauten, er möchte vielleicht durch Richtung seines Nachdenkens auf einen bestimmten Gegenstand etwas an demselben entdekt haben, welches Sie ohne diese bestimmte Richtung Ihres Nachdenkens nicht sähen; nicht aber, daß Sie auf einmal in ihm den verworrensten aller verworrnen Köpfe vermuthen würden. Ich habe mich geirrt, wie ich sehe.
Die Sache ist die. Sie haben meine Aufschrift unrichtig, oder, daß ich es gerade heraus sage, Sie haben die ganze Idee gar nicht verstanden; denn der Sinn, den Sie ihr geben, ist kein Sinn. Soviel ich weiß, ist Geist in der Philosophie, und Geist in der schönen Kunst gerade so nahe verwant, als alle Unterarten derselben Gattung, und ich denke den Beweiß dieser Behauptung nicht schuldig zu bleiben. Dagegen möchte ich von Ihnen hören, wie man sagen könne, Geist der Philosophie (nicht etwa der Leibnizischen, Kantischen Philosophie) so wie man etwa sagt, Geist des Preußischen ReligionsEdiktes. Die Philosophie hat ursprünglich gar keinen Buchstaben, sondern sie ist lauter Geist, und es war darum zu thun, diesen Geist zu fassen und aufzustellen. Wie mögen doch wohl die Menschen dazu gekommen seyn, zu philosophiren, wenn etwa Philoso[/]phie von aller eigentlichen Erkenntniß haarscharf abgeschnitten wäre? Es muß dazu doch wohl eine ursprüngliche Anlage im Menschen geben? Wie wenn diese Anlage ein Trieb nach Vorstellung um der Vorstellung Willen wäre, welcher auch der lezte Grund der schönen Kunst, des Geschmaks, u. s. f. ist? Hätten Sie sich diese Fragen, auf welche hoffentlich selbst der Anfang, die drei ersten Briefe meiner Abhandlung leiteten, aufgeworfen, so hätten Sie sich warscheinlich Ihr übereiltes Urtheil erspart. – Ich habe die Aufgabe nie anders genommen, als in diesem Sinne. In diesem Sinne habe ich sie in meinen öffentlichen Vorlesungen behandelt, wie vielleicht H. v. Humboldt bezeugen kann. Ich habe nie geglaubt, daß sie von einem gründlichen Kopfe, wenn er darüber nachdenkt, anders verstanden werden könne; ich glaubte mit Ihrem guten Willen diese Frage für die Horen zu bearbeiten, und ich fiel wie aus den Wolken als ich las: „Geist im Gegensatze gegen den Buchstaben[“] u. s. f.
Sie haben mir Unrecht gethan, und ich hoffe, daß Sie, wie jedem rechtlichen Manne ziemt, dieses Unrecht gut machen wollen. Ich werde den Aufsaz vollenden, und Ihnen zusenden – nicht für die Horen, wie sich versteht – und dann werden Sie vielleicht die Verachtung zurüknehmen, mit der Sie mir jezt begegnen. Wo nicht, so werde ich ihn allerdings an einige der vorgeschlagnen Schiedsrichter absenden. Bis dahin bleibe die Sache unter uns beiden. [/]
Ich hoffe, Sie sollen dann einsehen, was Sie eigentlich schon jezt hätten einsehen können, daß das bis jezt vorgetragne unabtrennlich von der Sache war, und daß ich keinen so weiten Anlauf genommen, als Sie glauben. Ich erschreke über den Wahnsinn, und die unedlen Motiven zugleich, die Sie mir leihen musten, da Sie dies nicht einsahen. – Daß der Aufsaz 9-10. Bogen füllen würde, habe ich Ihnen gesagt; und er würde nicht mehr eingenommen haben.
Wer keinen Geist hat, ist geistlos. Derselbe verfertigt entweder gar kein Kunstprodukt, philosophirt gar nicht; oder er verfertigt Eins, oder ein philosophisches Buch, das alles Aeußere, nur nicht den innern Geist hat. Wie nennen Sie den leztern zum Unterschiede von dem erstern? Ich nannte ihn Buchstäbler; Ich habe anfangs dem Geiste Geistlosigkeit, und dann, den Buchstaben, entgegengesezt.?? Keinesweges. Dem Geiste im bestimmten KunstProdukte habe ich den Körper, oder Buchstaben deßelben entgegengesezt; und unter Arbeitern in der schönen Kunst geistreiche, und Buchstäbler, nicht aber unter Menschen überhaupt, unterschieden. Zu welchem Stümper machen Sie mich! Sie müßen den Aufsaz sehr flüchtig gelesen haben.
Wenn meiner Eintheilung der Triebe nichts weiter mangelt, als daß der Trieb nach Existenz, oder der Stoff=trieb nicht darunter geht, so ist sie wohl geborgen. Ein Trieb nach Existenz vor der Existenz; also eine Bestimmung des Nicht-seyenden!! Aller Stoff entsteht aus Einschränkung des Selbstthätigen, nicht aus seiner Thätigkeit. (Etwas anders ist die Darstellung des Stoffs im Gemüthe; diese gehört begreiflicher Weise unter den Erkenntnißtrieb) [/] Der Trieb ist erst durch die Einschränkung Trieb; ohne sie wäre er That. – Das Wesen der Popularität scheint mir im synthetischen Gange zu liegen. Ich hatte zu dem Eintheilungsgrunde der Triebe erst aufzusteigen, weil ich nicht von demselben herabsteigen wollte zu den einzelnen Trieben. Ob meine Bestimmung schwankend sey, wird sich zu seiner Zeit zeigen; bis dahin bitte ich Sie, zu glauben, daß ich meinen guten Eintheilungsgrund gehabt habe. Sie finden denselben schwankend, weil Sie die Ausdehnung deßen, was ich vorläufig ästhetischen Trieb genannt habe, nicht vermuthen; und weil Sie selbst anders bestimmen, und eintheilen. Wir sind verschiedner Meinung; und ich brauche Sie nicht zu erinnern, daß es von unsern Gründen abhängt, wer Recht habe. Sie hatten die meinigen noch nicht gehört, und bis dahin blieb die Sache unter uns gleich. Aber in welchem Tone entscheiden Sie, und was berechtigt Sie zu diesem Tone? Ich muß mir freilich gefallen laßen von Leuten, die ich nicht achte, behandelt zu werden wie ein Schüler, der seine Lektion hersagt; aber von Ihnen ist es mir nicht gleichgültig, weil ich Sie hochachte.
Es sollen schon jezt nachtheilige Folgen meines Princips auf die Geschmakslehre sich geäußert haben. Ich wünschte dieselben zu wissen; aber wie, wenn es Punkte betrift, über die wir nicht Eins sind?
Nach meinem Gange konnten die Resultate der Geschmakslehre hier noch nicht aufgestellt werden, denn ich schrieb nicht über diese, sondern über den Geist der Philosophie; und bei meinem synthetischen Aufsteigen sollte, und muste Eins durch das andre bestimmt werden. Die Resultate werden sich finden. Doch sollte ich glauben, daß schon hier eine sonst nirgends befindliche Klarheit [/] über mehrere dunkle Aeußerungen Kants in der Geschmakslehre, über deren Resultate ich mit ihm gröstentheils einig bin, verbreitet werde. Doch was sage ich? gerade bei diesen Stellen befinden sich Ihre Fragezeichen.
Daß wir über den populären philosophischen Vortrag sehr verschiedne Grundsätze haben, erfahre ich nicht erst seit heute; ich habe es schon aus Ihren eignen philosophischen Schriften gesehen. Sie gehen gröstentheils analytisch, den Weg des strengen Systems; und setzen die Popularität in Ihren unermeßlichen Vorrath von Bildern, die Sie fast allenthalben Statt des abstrakten Begriffs setzen. Ich setze die Popularität vorzüglich in den Gang, den ich nehme – das hat Sie verleitet meine ersten Briefe zu schnell für seicht, und oberflächlich zu halten. – Nachdem die streng philosophische Disposition fertig ist, mache ich <i[h]n> nach ganz andern Grundsätzen: knüpfe an eine sehr gemeine Erfahrung an, und führe so den Faden, scheinbar nach der bloßen Ideen=Aßociation, über die aber unsichtbar das System wacht, fort, bestimme nirgends schärfer, als vor der Hand nöthig ist, bis zulezt die scharfe Bestimmung sich von selbst ergiebt. Bei mir steht das Bild nicht an der Stelle des Begriffs, sondern vor oder nach dem Begriffe, als Gleichniß: ich sehe, darauf, daß es paße; ich glaube die in den Briefen gebrauchten passen sehr genau. Wo ich nicht irre, haben alle alte, und neuere Schriftsteller, die in dem Ruhme des guten Vortrags stehen, es so gehalten, wie ich es zu halten strebe. Ihre Art aber ist völlig neu; und ich kenne unter den alten, und neuern keinen, der darin mit Ihnen zu vergleichen wäre. Sie feßeln die Einbildungskraft, welche nur frei seyn kann, und wollen dieselbe zwingen, zu denken. Das kann sie nicht; [/] daher, glaube ich, entsteht die ermüdende Anstrengung, die mir Ihre philosophischen Schriften verursachen; und die sie Mehrern verursacht haben. Ich muß alles von Ihnen erst übersetzen, ehe ich es verstehe; und so geht es andern auch. Was man meinen frühern Schriften auch alles vorwerfen, und so gegründet auch der Tadel seyn mag, den man gegen sie führt, so sind sie doch häufig gelesen, und gemerkt worden, und man hört hier und da erzählen, und nachsagen, was darin steht. Ihre philosophischen Schriften – ich rede nicht von Ihren poetischen, nicht von Ihren historischen, wovon z. B. die Gesch. der Belagerung von Antwerpen ein Meisterstük ist, das alles unwiderstehlich feßelt, und mit sich fort reißt «; ich» rede ebensowenig von Ihrer philosophischen Gründlichkeit, und Ihrem Tiefsinne, den ich verehre, ich rede nur von Ihrem Styl – Ihre philosophischen Schriften sind gekauft, bewundert, angestaunt, aber, soviel ich merke, weniger gelesen, und gar nicht verstanden worden; und ich habe im größern Publikum keine Meinung, keine Stelle, kein Resultat daraus anführen hören. Jeder lobt, so sehr er kann; aber er hütet sich wohl vor der Frage: was denn eigentlich darin stehe?
Der Anschein der Härte in meinem Periodenbau kommt gröstentheils daher, daß die Leser nicht deklamiren können. Hören Sie mich gewiße meiner Perioden lesen, und ich hoffe, sie sollen ihre Härte verlieren. Aber Sie haben Recht; unser Publikum kann einmal nicht deklamiren; und man thut beßer, wie Leßing, seine Maasregeln darnach zu nehmen.
Ich glaube den geschärften Ton nicht verdient zu haben, mit dem Sie sich [/] über meine Aeußerung, daß der Aufsaz nicht leicht Aenderungen vertragen dürfte, erklären. Sie hatten in meinem ersten Aufsatze Aenderungen vorgeschlagen, die dem Sinne Abbruch thaten, und wo ich um die Wiederherstellung der ersten LeseArt bitten muste. Da jezt wegen der Kürze der Zeit der Aufsaz mir nicht wieder zur Revision geschikt werden konnte, that ich in aller Unschuld, mit dem freundschaftlichsten Herzen, und in der zutraulichen Meinung, daß ich an einen Freund schriebe, der nicht geneigt sey, die Ausdrüke auf die GoldWage zu bringen, jene Bitte. (Mit tiefer Beschämung denke ich daran, daß ich gleich nachher die Familiarität beging, Sie mit einem öconomischen Auftrage zu belästigen. Vergeben Sie, ich habe unser Verhältniß nicht gewußt; aber gewiß wird mir so etwas nicht mehr wiederfahren.) Die Entdeckung aber, daß alles, was ich schreibe, ein so dringendes Bedürfniß der Korrektur habe, macht mich, wie sie soll, sehr aufmerksam. Ich werde es nicht an Fleiß fehlen laßen, den Grund davon aufzufinden, und wegzuräumen. Wenigstens begreife ich jezt noch gar nicht, warum Sie in dem jetzigen Aufsatze dies und jenes angestrichen; außer daß ich sehe, daß Sie es nicht richtig verstanden haben.
Ich nehme den Wink zu Ende Ihres Briefs, daß wir dennoch Freunde bleiben wollen, mit dankbarer Freude für vollkommnen Ernst. Ich hoffe, daß die Freimüthigkeit, mit der ich die Ihrige beantworte, der Wiederherstellung unsrer Freundschaft kein Hinderniß in den Weg [/] legen soll. Aber ich glaube voraussetzen zu dürfen, daß Freundschaft zwischen uns sich nur auf gegenseitige Achtung gründen könne. Die meinige für Sie kann durch ein übereiltes Urtheil nicht geschwächt werden; nur fortgesezte Ungerechtigkeit würde sie aufheben, und diese erwarte ich nicht von Ihnen. Sie aber haben mir die Achtung, und das Vertrauen, das ich erwarten zu können glaubte, versagt. Ich könnte von nun an nichts für Sie seyn, als Ihr demüthiger Anhänger, und Schüler, und das will ich nicht seyn. Aber ich erwarte zu seiner Zeit Genugthuung.
Ich lege den Brief, den ich beantwortete, bei, weil nicht zu vermuthen ist, daß Sie eine Abschrift von ihm haben. Ich erbitte mir ihn aber, zu meiner Rechtfertigung im Nothfalle, zurük.
Fichte. 
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 27. Juni 1795
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Friedrich Schiller ·
  • Place of Dispatch: Oßmannstedt · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 336‒340.
Manuscript
  • Provider: Schiller-Nationalmuseum
Language
  • German

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