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Johann Gottlieb Fichte to Karl Leonhard Reinhold

Osmanstedt, d. 2. Jul. [1795]
Nichts macht solchen Eindruk auf mein Herz, als Freimüthigkeit. Sie haben sich, mein Theuerster, meines Herzens durch die Ihres leztern Briefes bemächtiget; durch die offne Gegeneinanderhaltung unsrer individuellen Charaktere, deren Schilderung ich so ganz wahr finde, und von meiner Seite anerkenne. Sie haben gemacht, daß ich Sie innig lieben muß; dies ist nach Ihrem individuellen Charakter nothwendig der Weg, auf welchem Sie Ihre Freundschaften schließen; ich bin immer den entgegengesezten Weg gegangen, und habe ihn gehen wollen, von Achtung zur Liebe. Ich ersehe aus Ihrem Briefe, daß Sie mir die erstere – nicht für mein philosophisches Talent, wovon hier nicht die Rede seyn kann, sondern für meinen Charakter, nicht versagen; und ich bin fest überzeugt, daß Sie damit enden werden, mich zu lieben, wie ich Sie liebe.
Sie haben daran sehr Recht, daß die Verschiedenheit unsrer Temperamente großen Einfluß auf unsre Art zu philosophiren gehabt haben müße. Sie gehen allenthalben sichtbar darauf aus, sich selbst und andern Ihre theuersten Erwartungen, nicht sowohl zuzusichern, als sie, die aus einer ganz andern Quelle entspringen, gegen alle Angriffe der nur speculativ gewordenen, verkommenen Vernunft, zu sichern. Sie philosophiren mit, und aus praktischem Intereße, und dieses ist das herrschende in Ihren Schriften. Ich, durch eine freiere Erziehung in der frühesten Jugend, darauf durch einen Druk, den ich bald abwarf, in der Schul=Pforte, durch ein leichtes Blut, eine ziemlich gute Gesundheit, und, was durch jenes mir erleichtert ward, durch ein festes Beruhen auf mir selbst – deßen schädliches Uebermaß ich zu vermeiden suchen werde – unterstüzt, habe der Spekulation seit sehr früher Jugend getrost, und kalt unter das Auge gesehen. Ohnerachtet es freilich kein geringes Gut <für> mich ist, einer Philosophie mich bemächtigt zu haben, die mein Herz in Uebereinstimmung mit meinem Kopfe sezt, so würde ich doch keinen Augenblik mich besinnen, sie aufzugeben, wenn man mir ihre Unrichtigkeit zeigte, eine völlig diese Eintracht zerstörende Lehre dafür annehmen, wenn sie richtig wäre, und auch dann meine Pflicht zu thun glauben. [/] Der Aufsaz: Ueber Erhöhung u. Belebung des reinen Intereße für Wahrheit im Jennerstük der Horen, enthält so ziemlich, wie ich hierüber denke, und auch zu handeln glaube.. Ich philosophire, soviel ich mich kenne, ohne alles andere Intereße, als das für Philosophie. – Ich erwarte mit Begierde die Erscheinung Ihres Sokrates. Ich bin gleichfals der festen Ueberzeugung, daß Geradheit des Sinnes ausschließende Bedingung des richtigen Philosophirens sey; ob ich gleich einer gewißen Gutmüthigkeit, die man oft auch gutes Herz zu nennen pflegt, überhaupt, und so auch in der Philosophie keinen großen Werth zuschreibe. Aber hierüber sind wir gewiß nicht im Streite; denn sicherlich geben Sie ihr eben sowenig Werth.
Erlauben Sie, daß ich Ihnen noch einen Wink gebe über den Grund der Unverständlichkeit der Wißenschaftslehre für Sie, und die meisten andern, welche wiederum andern, z. B. Schillern, v. Humbold, mehrern meiner Zuhörer, verständlicher vorkommt, als nicht leicht ein anderes philosophisches Buch. Ich denke, es ist der gleiche Grund, warum Ihnen das Studium der Kantischen Schriften soviel Mühe verursacht hat, das mir z. B. sehr leicht gewesen ist. – Setzen Sie auf meine Ausdrüke nicht so viel Werth, als etwa die Ihrigen allerdings haben. Man hat angemerkt, und ich glaube mit Recht, daß es fast unmöglich sey, die eigenthümlichen Gedanken Ihrer Philosophie anders auszudrüken, als Sie dieselben ausgedrükt haben; das ist bei den meinigen, und ich glaube auch bei den Kantischen, nicht der Fall. Sie laßen sich auf unendlich verschiedne Weise ausdrüken; und es ist, von mir wenigstens, nicht zu erwarten, daß die zuerst gewählte Darstellungsart die vollkommenste sey. Der Körper, in den Sie den Geist hüllen, liegt ihm sehr fest an: der, worin ich ihn hülle, ist loker, und leicht übergeworfen. Das, was ich mittheilen will, ist etwas, das gar nicht gesagt, noch begriffen, sondern nur angeschaut werden kann: was ich sage, soll nichts weiter thun, als den Leser so leiten, daß die begehrte Anschauung sich in ihm bilde. Wer meine Schriften studieren will, dem rathe ich, Worte Worte seyn zu laßen, und nur zu suchen, daß er irgendwo in die Reihe meiner [/] Anschauungen eingreife; fortzulesen, auch wenn er das vorhergehende nicht ganz versteht, bis irgendwo an einem Ende ein Lichtfunken heraus springt. Dieser, wenn er ganz, und nicht halb ist, wird ihn auf einmal in die Reihe meiner Anschauungen, auf den Gesichtspunkt setzen, aus welchem das Ganze angesehen werden muß. Z. B. die Seele meines Systems ist der Saz: Das Ich sezt schlechthin sich selbst. Diese Worte haben keinen Sinn, und keinen Werth, ohne die innere Anschauung des Ich durch sich selbst, die ich im Discurs sehr oft aus Menschen entwikelt habe, die mich gar nicht begreifen konnten, und sodann mich vollkommen begriffen: es wird gesagt: daß ein Ich, und daß etwas ihm entgegengeseztes, ein Nicht=Ich sey, geht schlechthin allen Operationen des Gemüths voraus; und dadurch werden sie erst möglich. Es ist gar kein Grund, warum das Ich Ich, und das Ding nicht Ich sei, sondern diese Entgegensetzung geschieht absolut. (Wir lernen nicht aus der Erfahrung, was wir zu Uns rechnen, und nicht zu Uns rechnen sollen; eben sowenig giebt es einen Grundsaz a priori, nach welchem dies sich entscheiden laße; sondern der Unterschied ist absolut, und erst durch ihn werden alle Grundsätze a priori, und alle Erfahrung möglich) Die Vereinigung beider durch Quantität, gegenseitige Einschränkung, Bestimmung, Begrenzung, oder wie Sie wollen, geschieht gleichfals absolut. Ueber diese Sätze hinaus geht keine Philosophie; aber aus ihnen muß die ganze Philosophie, d.i. das gesammte Verfahren des menschlichen Geistes, entwikelt werden.
Jenes ursprüngliche Setzen nun, und Gegensetzen, und Theilen ist NB. kein Denken, kein Anschauen, kein Empfinden, kein Begehren, kein Fühlen, u.s.f. sondern es ist die gesammte Thätigkeit des menschlichen Geistes, die keinen Namen hat, die im Bewußtseyn nie vorkommt, die unbegreiflich ist; weil sie das durch alle besondre (u. lediglich insofern ein Bewußtseyn bildende) Akte des Gemüths bestimmbare, keinesweges aber ein bestimtes ist. – Der Eingang in meine Philosophie ist das schlechthin unbegreifliche; dies macht dieselbe schwierig, weil die Sache nur mit der Einbildungskraft, und gar nicht mit dem Verstande angegriffen werden kann; aber es verbürgt ihr [/] zugleich ihre Richtigkeit. Jedes begreifliche sezt eine höhere Sphäre voraus, in der es begriffen ist, und ist daher, gerade darum nicht das höchste, weil es begreiflich ist. (Geht denn das Auffaßen des geringsten Objekts von etwas anderm aus, als von einer Funktion der Einbildungskraft; und das Auffaßen einer Philosophie allein sollte von etwas anderm ausgehen?)
Die Hauptfrage, mit der die W.L. sich weiterhin beschäftigt, und die im theoretischen Theile nur bis zu einem gewißen Punkte, in dem praktischen aber ganz beantwortet wird, ist die: Wenn das Ich ursprünglich nur sich selbst sezt, wie kommt es denn dazu, noch etwas anderes zu setzen, als ihm entgegengesezt? aus sich selbst herauszugehen? (wovon die: wie sind synthetische Sätze a priori möglich, nur ein Theil ist; nemlich ich frage zugleich: wie ist Antithesis möglich?)
Oder vielleicht zeigt folgendes am deutlichsten das Verhältniß meines Systems zu dem Ihrigen, und dem Kantischen. – K. fragt nach dem Grunde der Einheit des Manningfaltigen im Nicht-Ich. Wie vereinigt ihr A. B. C. u.s.w. die auch schon gegeben sind, zur Einheit des Bewußtseyns? und auch Sie scheinen mir die Philosophie bei diesem Punkte aufzunehmen. (Nun aber beantwortet Kant sogar diese mindere Frage nicht aus Einem Princip; nimmt die Denkformen auf auf einem hevristischen Wege, erräth nur die Formen der Anschauung, und führt den Beweiß durch Induktion. Diesen Fehler haben Sie entdekt, und berichtigt.) Ich glaube es braucht nur gesagt zu werden, um begriffen zu werden – verstehen Sie mich ja nicht unrecht: das allerleichteste wird immer am allerschwersten gefunden; nichts war leichter, als der Kantische Gedanke, vom Subjekt auszugehen, und doch dauerte es Jahrtausende, ehe Jemand sich ihn dachte – es braucht nur gesagt zu werden, um begriffen zu [/] werden, daß jene Frage eine höhere voraussezt, die: wie kommt ihr denn erst zu A. und zu B. und zu C.? Sie werden gegeben; das heißt doch wohl auf gut Teutsch: ihr wißt es nicht. – Wohl: so beweis’t mir entweder, daß und warum ihr es nicht wißen könnt, oder redet mir, so lange ihr es noch nicht wißt, nicht von Philosophie, als einer Wißenschaft. Wir wollen zu seiner Zeit schon untersuchen, wie ihr A. und B. u.s.w. vereinigen mögt. Aber A. für sich, und das Subjekt, sind doch wohl auch verschieden? Wie vereinigt ihr denn erst diese? Wenn wir dies wißen, dann wird eure zweite untergeordnete Frage sich gar leicht beantworten laßen; denn ohne Zweifel werdet ihr B. gerade so aufnehmen, wie ihr A. aufgenommen habt. Und wenn nur A. erst im Subjekte ist, und ihr nehmt B. auf in daßelbe Subjekt (wie es komme, daß die Einheit des Subjekts dadurch nicht unterbrochen werde, muß freilich gezeigt werden) so kommt dadurch B. ohne Zweifel auch zu A. Dies macht meinen Weg weit leichter, und kürzer, als den Kantischen.
Nun zeigt sich aber das überraschende Resultat (welches besonders in meiner kleinen Schrift Grundriß des Theoretischen pp. bei Gelegenheit der Deduktion der Zeit, und des Raums in’s Licht gesezt wird) daß es gar kein zuerst aufgenommnes A. giebt, noch geben kann; sondern, daß, man steige so hoch hinauf, als man wolle, immer ein noch höheres vorausgesezt wird: z. B. jede Anschauung wird nothwendig gesezt in den gegenwärtigen Zeitpunkt; aber es ist kein gegenwärtiger Z.P., ohne einen vergangnen; mithin auch keine gegenwärtige Anschauung, ohne eine vergangne, an die sie angeknüpft werde; und es giebt keinen ersten Moment, keinen Anfang des Bewußtseyns. Dies giebt den Beweiß für die von K. vorausgesezte nothwendige Mannigfaltigkeit des Nicht-Ich, und zeigt, warum dieser große Geist, der sicherlich in die Tiefen gerathen war, welche die W.L. aufzudecken sucht, es gerade da angrif, wo er es angrif, wo wir aber es nimmermehr sollen ruhen laßen. [/]
Nun hat die von mir aufgestellte Einheit noch das, daß durch sie nicht nur die Ktk der speculativen, sondern auch die der praktischen, und die der Urtheilskraft, vereinigt wird; wie es seyn sollte, und muste. Vor Kant, und Ihnen war keine W.L. möglich; aber ich bin von Ihnen fest überzeugt, daß, wenn Sie Ihr System erst nach Erscheinung der drei Kritiken gebildet hätten, wie ich, – Sie die Wißenschaftslehre gefunden hätten. Sie hätten eben so gewiß die Einheit in allen dreien gefunden, als Sie die in der Ktk. der spekulativen Vft. die eben so wenig angegeben war, richtig auffanden (denn dafür anerkenne ich Ihren Saz des Bewußtseyns allerdings, und da liegt der Streitpunkt gar nicht.)
Versuchen Sie, ob Sie über das hier gesagte sich mit mir vereinigen können; und dann sind wir auch in der Philosophie ganz einig. Wo nicht, so setzen Sie es hypothetisch voraus, und Sie haben den besten Schlüßel für mein System.
Endlich bedenken Sie, daß das bis jezt gelieferte Handschrift für meine Zuhörer ist, zusammengeschrieben neben Vorlesungen, – im Winter <aus> dreien, die ich alle fast ganz auszuarbeiten hatte – und neben tausenderlei sehr heterogenen Beschäftigungen, so daß der Bogen jedesmal fertig wäre, wenn der vorige zu Ende ging. Ich glaube zwar festiglich, daß, was ich angeschaut, und gröstentheils auch, was ich gedacht habe, unumstößlich ist: aber was ich gesagt, mag zum Theil sehr unrichtig seyn. Das soll mich nicht etwa entschuldigen. Der Schriftsteller soll das richtige sagen; sein Denken allein hilft uns nichts. Die Darstellung der W.L. erfordert, wie ich die Sache erblike, allein ein ganzes Leben; und es ist die einige Aussicht, welche fähig ist, mich zu erschüttern, daß ich, besonders nachdem ich eine Carrière angetreten, zu der nichts mich nöthigte, sterben werde, ohne sie geliefert zu haben.
Der Druk der Grundlage soll jezt, wie der Verleger versichert, geendigt seyn, noch nicht das Theoretische (welches Fragment ist, und nur bis zur Deduktion der Zeit, und des Raums geht). So bald ich Exemplare erhalte, schreibe ich Ih[/]nen wieder. Haben Sie die Güte mir Ihre Zweifel mitzutheilen; oder mir die Punkte anzuzeigen, die Ihnen unverständlich sind. Ein Wort an den Freund, den man genauer kennt, macht oft klärer, als die weitläuftigste Erklärung in das blaue Feld des vielfarbigten Publikum hin.
Schelling’s Schrift ist, soviel ich davon habe lesen können, ganz Commentar der meinigen. Aber er hat die Sache treflich gefaßt, und mehrere, die mich nicht verstunden, haben seine Schrift sehr deutlich gefunden. Warum er das nicht sagt, sehe ich nicht ganz ein. Leugnen wird er es nicht wollen, oder können. Ich glaube schließen zu dürfen, er wollte, wenn er mich etwa nicht recht verstanden haben sollte, seine Irrthümer nicht auf meine Rechnung geschoben wißen; u. es scheint, daß er mich fürchtet. Das hätte er nicht nöthig. Ich freue mich über seine Erscheinung. Besonders lieb ist mir sein Hinsehen auf Spinoza: aus deßen System das meinige am füglichsten erläutert werden kann. – Ihr System sieht er unrichtig an; und darüber bin ich mit ihm unzufrieden. Was er Ihnen aufrükt; das, und noch weit mehr hat Kant zu verantworten. Ich würde mich mit Ihnen nie in Streit gefunden haben, wenn Sie nicht Ihren Grundsaz als Grundsatz der gesammten Philosophie gegeben hätten. Der der theoretischen scheint er auch mir zu seyn.
Zu etwas anderem! Was man über die Ungebundenheit und Straflosigkeit der akademischen Orden zu Jena nur auch sagen möge, so zweifle ich, daß man die Wahrheit erreicht. Ohne Zweifel wird Ihnen auch das Gerücht über den räuberischen Einfall in das Gartenhaus des guten D. Schmid, und zweier Bürger, zu Ohren gekommen seyn; die Verwendung der gesammten Akademie um Amnestie für diese Unthat; das Räuberleben seit dem, wo kein Student mehr auf der Straße, und auch nicht mehr auf seinem Zimmer sicher ist. Es ist alles wahr. Der Staat ist seiner Auflösung nahe; nie[m]and mag mehr ProRector seyn, und kein guter Jüngling mehr auf der Akademie bleiben. Ich wünsche die Auflösung, als das einzige Mittel der Wiedergeburt, und [/] fürchte nichts so sehr, als die Palliative, durch die man das unheilbare Uebel hinzuhalten sucht.
Ich selbst werde warscheinlich genöthigt seyn, zu Rettung meiner Ehre, die man, vorzüglich von Jena aus, auf die schändlichste Weise angreift, öffentlich zu erzählen, was ich gethan habe Jezt nur ein paar Worte. – Ich war kaum nach Jena gekommen, so versammelten sich die guten, theils durch meine öffentl. Vorlesungen ermuntert, theils, weil man von Ihrem Nachfolger Ihre Denkart voraussezte, um mich; klagten mir den tiefen Schaden und suchten bei mir Hülfe. Ich machte meine Vorlesungen noch specieller; und es schien ein sehr guter Geist sich zu verbreiten. Mehrern Ordens=Mitbrüdern, die mich besuchten, redete ich zu, ihre schädlichen Verbindungen aufzugeben: in dem ich unter der Hand mit unserm würdigen Curator, Geheimen Rath Voigt die Mittel verabredete, den gereiften Entschluß recht nüzlich zu machen. Es gelang früher, ehe ich es hoffte. Eines Morgens kamen zwei Senioren mit der Bitte, daß ich sogleich und auf der Stelle allen OrdensMitgliedern den EntsagungsEyd abnehmen sollte. Ich, dazu nicht berechtigt – sie, meinen Vorschlag, sich an den akademischen Senat zu wenden, weit wegwerfend – sendete sogleich an das Ministerium, und bat um Commißion. Die Sache muste erst die bekannten 4. Höfe durchlaufen. Meine Leute blieben willig; erklärten einmüthig Ihren Vorsaz, ihre Verbindung aufzuheben; nur der Orden der Unitisten trat zurük. Die andern beiden überlieferten mir die Verzeichniße Ihrer Mitglieder, und ihre Ordensbücher unter Siegel; berechtigten mich, in Ihrem Namen bei den Herzögen um eine Commißion anzusuchen, und dieser die Papiere versiegelt zur Verbrennung, nach vorheriger Einsicht des NamensVerzeichnißes, um Ihnen den Eyd abzunehmen, zu übergeben, wenn sie völlige Amnestie erhiel[/]ten. Die Commißion zögerte abermals. Der Orden der Unitisten streute während dieser Zeit die schändlichsten Gerüchte über mich aus: ich stürze die Orden, um einen Illuminaten Orden auf ihren Trümmern zu errichten, habe die mir anvertrauten Papiere an die Höfe gesannt, (worüber ich, bei dem Anscheine einer solchen Anforderung, gegen die Höfe mich mit der derben Rundheit, die ein solches Anmuthen verdiente, erklärt habe). Die Unitisten griffen mich indeßen auch thätlich an: Hunderte von Studenten stellten sich für mich in’s Gewehr; welches ich ernstlich verbat. Die Commißion kam; ich ließ die OrdensMitglieder zu mir kommen, und sie die uneröfneten Siegel anerkennen; darauf schworen sie ihren EntsagungsEid; u. man hielt ihnen alles, und mehr noch, als man ihnen versprochen. Aber die Unitisten ließ man ungestraft trozen (sie existiren bis diese Stunde, ohne Untersuchung) Die aufgelös’ten Orden traten nach einem solchen Beispiele wieder zusammen. Doch haben nicht diese, und kein andrer Student, mich je beleidigt. Nur die Unitisten haben mich seitdem immerfort auf die schändlichste Weise, verfolgt. – Nachdem mir zum zweiten male die Fenster eingeworfen worden, mein alter Greis, mein SchwiegerVater dadurch seinem Tode nahe gebracht, und meine gute Frau ihre Gesundheit dadurch warscheinlich unwiederbringlich verlohren, erklärte ich dem Senat durch ein förmliches Schreiben, daß ich nicht gesonnen sey, dies fernerhin zu leiden, und an einer Verfaßung den entferntesten Antheil zu nehmen, wo dergleichen Dinge ungestraft blieben. Man gab mir eine unbestimmte Antwort: und die Fenster wurden mir abermals von 3. Unitisten, unter den schändlichsten Schimpfworten, eingeworfen. Ich ging an den Hof, und erklärte, daß ich ohne Genugthuung nicht länger in Jena bleiben werde; und um dies zu erweisen, diesen Sommer auf das Land gehen; überhaupt schlechterdings nicht Antheil an der Universität nehmen werde, bis es, nicht für mich, sondern allgemeine Sicher[/]heit daselbst gebe. Der Senat erhielt ein geschärftes Rescript; konnte nunmehro wohl etwas entdecken, was er vorher nie gekonnt hatte; stattete einen verläumderischen, und lügenhaften Bericht ab; die drei Thäter wurden entfernt, dem Senat Befehl gegeben, es an mich zu berichten, und ich antwortete ihm, indem ich ihn der Lüge, und Verläumdung verdientermaaßen bezüchtigte. – So steht gegenwärtig die Sache. Die Höfe, welche alles nur zu wohl kennen, billigen mein ganzes Verfahren gar sehr. Wer in Jena unreines Herzens, und seiner Schalkheit sich bewußt ist, fürchtet mich, und thut alles, um durch das Gift der Verläumdung, und Lüge mich auf immer zu unterdrüken. Aber das wird ihnen nicht gelingen.
Ich gehe, was auch daraus erfolgen möge, nicht nach Jena zurük, bis völlige Sicherheit, und gute Policey daselbst ist; darauf kann sich das ganze Publikum sicherlich verlaßen. Jezt lebe ich sehr glüklich in Osmanstedt.
Ich autorisire Sie nicht nur, sondern ersuche Sie auch, diese Nachrichten in Ihren Cirkeln zu verbreiten. Ich hoffe in Kurzem sie authentisch bekannt zu machen[.]
So, mein Theuerster, laßen Sie uns denn eine Freundschaft schließen, die jedem Vorfalle, und die der schlauesten Verläumdung – die sich vom Anfange an[,] ich weiß nicht wodurch, zwischen Sie, und mich gelagert hat – Troz biete. Ich liebe Sie innig, und vertraue Ihnen ganz: ich sage Ihnen nochmals zu, daß Sie bei fortgesezter Verbindung mich immer mehr lieben, und mir immer mehr trauen werden. – Daß ich mich nie übereilen werde, dafür bürge ich Ihnen nicht: aber dafür, daß ich stets aufrichtig gegen Sie seyn werde; daß Sie stets mein Herz sehen sollen, sowie ich es selbst sehe.
Den herzlichsten Dank für die Nachricht von Ihrer Familie. Machen Sie Ihren [/] Neugebohrnen, und Ihre übrigen zu meinen Freunden; nennen Sie ihnen, wie sie heraufwachsen, meinen Namen unter den Namen derjenigen, auf die sie rechnen können in jeder Lage. Empfehlen Sie mich Ihrer verehrten Gemahlin, deren Vater ich neulich, auf eine sehr besondre Veranlaßung, und durch einen ganz entgegengesezten Effekt seiner Worte, unendlich lieb gewonnen habe. Er schmälte auf die Kantische Philosophie, auf Democratismus, auf abgeschnittnes Haar, auf Bänderschuh, kurz auf alles, was meine geistige, und körperliche Prädikate ausmacht, oder wenigstens dafür gehalten wird, mit einer solchen Naivetät, und Genialität; ging, als ich herzlich mitlachte, und er sich zu besinnen schien, daß dies doch einmal meine Prädikate wären, in eine solche Herzlichkeit über; daß dieses die angenehmsten Augenblicke meines Lebens wurden.
Ich habe keine Kinder; lebe aber in der süßesten häuslichen Verbindung mit meinem SchwiegerVater, einem Greise von 75. Jahren, der wie Ulyßes, viel erfahren, und durch den Wirbel der Welt die herzlichste Frölichkeit bis in sein hohes Alter, und ein Gott, und den Menschen vertrauendes kindliches Herz hindurchgebracht hat; und mit meiner Frau, die mich über alles liebt, die mehr ist, als sie scheint, und die einen sehr gesunden Verstand mit dem besten Herzen vereinigt. Lieben Sie unbekannter weise diese mir theuren Personen ein wenig um meinet Willen.
Küßen Sie unsern Baggesen in meinem Namen. Ich will eben nach Weimar: habe ich aber noch eine Minute Zeit, so wende ich sie an, um ihm zu schreiben.
Leben Sie wohl, Theurer.
Ganz der Ihrige
Fichte.
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  • Date: Donnerstag, 2. Juli 1795
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Karl Leonhard Reinhold ·
  • Place of Dispatch: Oßmannstedt · ·
  • Place of Destination: Kiel · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 342‒352.
Manuscript
  • Provider: Goethe- und Schiller-Archiv
Language
  • German

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