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Johanna Fichte to Anna Barbara Rahn

Jena d: 3: Julius 1795:
Theurste Frau Chorherninn!
Wir haben mit vielem Schreken, und Entsezen, in den deutschen Zeitungen gelesen, daß 4: Dörfer am Zürchersee, (wir können uns schon vorstellen welche) sich empöhrt haben; daß 5000: Bürger, und 6000 gutgesinnte Landleuthe unter den Waffen stehn, um die Stadt zu bewachen, und daß auf den ersten Wink noch 50 000: Berner zu Hilfe kommen werden. Diese Nachricht hat uns entsezlich erschrekt; du gutes Zürich; und ihr vielen redlichen Seelen welche es bewohnen; wie daurt ihr mich; denn wer kann die Folgen eines solchen Unglüks berechnen? Wie dauren auch besonders Sie uns Theureste Freunde; wär ich doch im Stande, Ihnen in irgend etwas zu dienen, oder zu rathen, wie sehr würden Sie mein Herz dadurch erleichtern; Ein berühmter Arzt, und Gelehrter, wie unser Theure Herr Chorherr, ist allenthalben wilkommen: Wir haben auch hier Freunde von Ansehn, ich bitte Sie, geben Sie uns nur einen Wink, Ihre beyden Söhne, sind ja schon in Deutschland: und nirgends bleibt es länger ruhig als hier, die Regierung ist unvermerkt nachgebend, die Menschen sind diesen Gang schon so gewöhnt, dabey sind sie sehr pflegmatisch, und kein Bauer denkt weiters drüber nach, ob ers beßer haben könnte; und drum wirds immer ruhig bleiben; auch besteht die [Regierung], hier in der [/] Runde herum aus lauter kleinen Fürsten; so bald die Unterthanen sich an einem Ort empöhren wollten; so kämm der Nachbahr, seinem Herr Bruder zu Hilfe; und daß alle unterthanen, unter diesen verschiednen Regierung[en], sich so zu sagen an einem Tage empöhren würden, ist nicht gedenkbahr. Sie lachen vielleicht über meinen Einfall, Zürich zu verlaßen; Gott gebe, daß Sie drüber lachen mögen, und daß es nicht so traurig bey Ihnen aussieht, als wir izt fürchten; auch sagt Ihr lieber Sohn, Sie hätten Ihm, von dem Allen, was wir fürchten, nichts geschrieben.
Mein Theurer Vatter grüßt Sie auch herzlich; und bittet, wie ich, uns bald bald zu schreiben; der gute, Redliche, ist nicht ohne Beschwerden, wie Er auch in Zürich, bey seinem hohen Alter nicht ohne sie war; es ist, und bleibt mir Trost, daß ich so glüklich bin, ihn bey mir zu haben, um wenns möglich ist, ihm sein Alter ein wenig zu erleichtern.
Vor 9: Wochen hab ich Ihnen einen Brief geschikt, ich hoffe, Sie haben ihn empfangen?
Wir sind dieses Frühjahr aufs Land gegangen, weil eine gewiße Claße Studenten, bey denen Ihr lieber Sohn nicht ist, vergangnen Winter schon so viel Unfug trieben, und ihnen immer so durch die Finger gesehn wurde, daß alle Auftritte, [/] welche diesen Sommer vorfielen, sich vorher sehn ließen; jedermann hoft, und wünscht eine beßere Universitäts Verfaßung, so daß ein ehrlicher Mann, in Frieden leben könne, und erfolgt diese, so würden wir auch wieder zurük kehren; der Herzog hat alles mögliche für uns gethan; [daß] Unglük ist nur, daß die Universität, von vier Höfen abhängt; auch hat der Jenaische Senat wieder seine eignen Rechte; da ists leider jedem mehr drum zu thun, seine Rechte zu behaubten als gemeinschaftlich, das Gute zu wirken; daher ist die Ausgelaßenheit, bis auf diesen hohen Grad gestiegen.
Mein guter Vatter bittet Sie, ihm zu schreiben, ob Bourgemeister Ott, seine Stelle aufgegeben; und wer ihn ersezt hat.
Der liebe H: Gesner ist bey uns gewesen, und kann Ihnen mündlich sagen, was wir machen; da werden Sies viel volständiger erfahren, als ichs Ihnen in der Geschwindigkeit nicht schreiben kann; denn ich kenne Ihre Theilnehmenden Herzen, und weiß, daß Sie auch gerne hören, was wir machen.
Leben Sie wohl, Theurste Freunde, und erfreun Sie uns bald bald mit Briefen; wonach sich so herzlich sehnt Ihre
Fichtin
Viele herzliche Grüße, an alle die Sich unser errinnern;
meine Addresse ist die gleiche, nach Jena.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 3. Juli 1795
  • Sender: Johanna Fichte
  • Recipient: Anna Barbara Rahn
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 352‒354.
Manuscript
  • Provider: Zentralbibliothek Zürich
Language
  • German

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