Lieber Fichte,
Auf einen freundschaftlichen und vertrauensvollen Brief so spät antworten – scheint unverantwortlich. Doch – so bald ich Ihnen sage, daß ich, meiner Gesundheit wegen sechs Wochen auf dem Lande war; und seither – immer, meines Magenschwindels wegen, theils medizinieren muß, theils so wenig wie möglich sitzend schreiben kann, werden Sie es nicht für Kälte oder Gleichgültigkeit ansehen, daß ich Ihnen so lange nicht schrieb.
./.
Schon ehe Sie mir schrieben, lieber Fichte, protestierte ich gegen die abderitischen Gerüchte, welche über Sie in meiner Vaterstadt herumgiengen. Ich sagte mehrmahls – „wer die Briefe von weymar oder Jena aus, auf die mann sich bezieht, nicht gesehen hat, der schiebe wenigstens sein Urtheil auf – denn das sieht Fichten nicht gleich!“
Ich sprach zweymal mit Baggeßen über die Sache. Das zweyte mal beruhigte Er mich so ganz, [daß] ich lange vor der Ankunft Ihres lieben Briefes – derber als sonst, allen übeln Gerüchten widersprechen durfte. [/]
./.
Nun Ihr Brief kam – hatt’ ich vollen Triumph – und es ist nun kein Mensch mehr, der den Mund öffnen darf – Zumahl die Lügen gar zu arg waren – und nun durch den Nichterfolg deßen, was mann sagte, völlig aufgedeckt – und zum warnenden Beyspiel für künftige Versuche auf gestellt.
./.
So müßen wir, Lieber, durch allerley Prüfungen der Geduld duchgehen – und uns im Kreise der Schwachen – denn Alles, was Lüge, Verläumdung, Schurkerey heißt, ist doch allemal im Grunde nur Schwäche – als stark und fest beweisen.
./.
Genießen Sie nun der Ruhe, die Ihnen gegönnt ist, zum Beßten des denkenden und wahrheitliebenden Theils der Welt.
./.
Sobald es Kopf und Gesundheit gestatten, werd’ ich Ihre Wißenschaftslehre wieder vornehmen.
./.
Über unsere Lage will ich Ihrem guten Schwiegervater ein Paar Worte schreiben. [/]
Ich hab’ ein klein Werkchen Anacharsis, freundschaftliche Räthe und Gedanken zusammen geschrieben, welches ich Ihnen seiner Zeit gern ohne Ihre Kosten senden mögte.
Empfehlen Sie mich Ihrer lieben, guten wackern Gattinn deren Andenken uns allen lieb ist.
Zürich d. 22 VII -95
L.
Auf einen freundschaftlichen und vertrauensvollen Brief so spät antworten – scheint unverantwortlich. Doch – so bald ich Ihnen sage, daß ich, meiner Gesundheit wegen sechs Wochen auf dem Lande war; und seither – immer, meines Magenschwindels wegen, theils medizinieren muß, theils so wenig wie möglich sitzend schreiben kann, werden Sie es nicht für Kälte oder Gleichgültigkeit ansehen, daß ich Ihnen so lange nicht schrieb.
./.
Schon ehe Sie mir schrieben, lieber Fichte, protestierte ich gegen die abderitischen Gerüchte, welche über Sie in meiner Vaterstadt herumgiengen. Ich sagte mehrmahls – „wer die Briefe von weymar oder Jena aus, auf die mann sich bezieht, nicht gesehen hat, der schiebe wenigstens sein Urtheil auf – denn das sieht Fichten nicht gleich!“
Ich sprach zweymal mit Baggeßen über die Sache. Das zweyte mal beruhigte Er mich so ganz, [daß] ich lange vor der Ankunft Ihres lieben Briefes – derber als sonst, allen übeln Gerüchten widersprechen durfte. [/]
./.
Nun Ihr Brief kam – hatt’ ich vollen Triumph – und es ist nun kein Mensch mehr, der den Mund öffnen darf – Zumahl die Lügen gar zu arg waren – und nun durch den Nichterfolg deßen, was mann sagte, völlig aufgedeckt – und zum warnenden Beyspiel für künftige Versuche auf gestellt.
./.
So müßen wir, Lieber, durch allerley Prüfungen der Geduld duchgehen – und uns im Kreise der Schwachen – denn Alles, was Lüge, Verläumdung, Schurkerey heißt, ist doch allemal im Grunde nur Schwäche – als stark und fest beweisen.
./.
Genießen Sie nun der Ruhe, die Ihnen gegönnt ist, zum Beßten des denkenden und wahrheitliebenden Theils der Welt.
./.
Sobald es Kopf und Gesundheit gestatten, werd’ ich Ihre Wißenschaftslehre wieder vornehmen.
./.
Über unsere Lage will ich Ihrem guten Schwiegervater ein Paar Worte schreiben. [/]
Ich hab’ ein klein Werkchen Anacharsis, freundschaftliche Räthe und Gedanken zusammen geschrieben, welches ich Ihnen seiner Zeit gern ohne Ihre Kosten senden mögte.
Empfehlen Sie mich Ihrer lieben, guten wackern Gattinn deren Andenken uns allen lieb ist.
Zürich d. 22 VII -95
L.