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Johann Gottlieb Fichte to Theodor von Schön

Ich danke Ihnen für Ihr gütiges Andenken, mein Theurer; danke Ihnen für die Aussicht, die Sie mir eröfnen, Sie bald in diesen Gegenden zu sehen; danke Ihnen, für manche Nachrichten, die Sie mir aus Ihrem Vaterlande ertheilen.
Zuförderst – daß dem alt= und bedenklich werdenden Kant mein Beitrag nicht behagt, kann ich sehr wohl glauben: der Grund aber, den er dafür angiebt, daß ich mich nicht dazu melde, ist nicht der rechte. Ich bin allerdings mit dem meisten nicht mehr zufrieden, was ich darin gesagt: aber nicht, weil ich zu weit, sondern darum, weil ich nicht weit genug gegangen. Das Natur= und Staats=Recht muß, so wie die ganze Philosophie, noch eine ganz andere Umkehrung erfahren. – Die Fehler, die ich [in] diesem Buche finde, sind daher von der Art, daß mir sie soleicht kein andrer entdecken wird, wenn ich sie nicht selbst entdekt hätte – wie ich denn auch bis jezt von denen, die dagegen geschrieben, noch nichts gelesen, als albernes, oberflächliches Geschwäz. Ich nenne mich darum nicht, weil ich seitdem in Verhältniße gekommen bin, die diese kleine Rüksicht von mir zu erwarten, ein Recht haben; es ist weltbekannt, daß ich der Verfaßer bin; aber ein öffentliches Anerkennen könnte meine Regierung selbst in Unannehmlichkeiten verwikeln, oder wenigstens ein Verbot für manche Landeskinder verursachen, die Akademie zu Jena nicht zu besuchen. Ich vertheidige die Schrift nicht, weil noch nichts dagegen vorgebracht worden, [das] einer Antwort würdig wäre. Ich werde die Schrift sogleich anerkennen, sobald ich etwas beßeres an ihre Stelle setzen werde; und das wird bald geschehen, denk ich.
„Ueber reines Intereße an Wahrheit“, im ersten Stük der Horen ist von mir; und ich danke Ihnen, und drüke Ihnen im Geiste die Hand dafür, daß Sie mich erkannt haben. Aber welch’ ein Kritiker, der die Briefe über ästhetische Erziehung Dalberg zuschreiben kann!!! Welch eine Erinnerung über Schiller, daß er aus Einem [/] guten Gedanken ein Buch wenigstens zu machen, fähig sey! der gute Kopf gewißer Leute muß, wie sich auch aus andern Anzeichen vermerken läßt, anfangen, schwächer zu werden. Die Wahrheit ist, daß jene Briefe von Schiller sind. Bindet man nicht mir noch etwa mancherlei aus den Horen auf? Etwa die Aufsätze über männliche u. weibliche Form, mit ihren Fortsetzungen? Das halte ich für geschimpft; und ich wäre im Stande, den zu verklagen, der eine solche Meinung äußerte. Sie sind nicht von mir, und es steht überhaupt nichts von mir in den Horen, als jener Aufsaz. Was von mir ist, wird immer so kenntlich seyn, daß mich jeder erräth, der nur etwas von mir gelesen.
Ohne Zweifel wird Ihnen etwas von den Neuerungen zu wißen geworden seyn, die ich in der Philosophie mache, und von der Art, wie die altgläubigen Kantianer sich dabei benehmen. Die Sache soll, so Gott will, immer klärer werden, und gewiß nicht zu Ihrer Ehre ausfallen.
Auch wird Ihnen zu Ohren gekommen seyn, daß ich von Jena weggegangen [bin], nebst den Veranlaßungen dazu, welche ausgestreut worden. Ich schreibe Ihnen einige Worte darüber ..
Ohnerachtet alles, was man von Zeit zu Zeit darüber vor das Publikum gebracht, ist in Jena immerfort das schändlichste Leben von den Studierenden, d. i. von einem Theile derselben – denn unsre Majorität ist sehr gut – geführt worden. Der Grund davon lag in den StudentenOrden.
Ich, dem Sittlichkeit am Herzen lag, und dem man dies bald anmerkte, arbeitete durch Vorstellungen, die Ordens Mitglieder zu bereden, Ihre Verbindungen gutwillig aufzugeben. Zwei der vorhandnen Orden, waren willig, und traten durch mich in Unterhandlungen mit den Höfen, die ihre Forderungen [/] bewilligten, und ihnen streng Wort hielten. Ein dritter Orden bestand dabei, zu bleiben; und ich, der ich keine obrigkeitliche Gewalt habe, noch suche, hatte demnach mit ihm nichts weiter zu thun. Die Höfe hatten die Schwäche, u. Langsamkeit, diesem Orden seinen Troz gelingen zu laßen: und nun verhezten gewiße Leute diese Menschen durch die schändlichsten Lügen [wider] mich. Nicht sowohl verdroß mich das schändliche Betragen dieser wenigen schlechten, schon längst gebrandmarkten Menschen, als die sträfliche Gleichgültigkeit, die über dergleichen Dinge herrschte, und die gänzliche Schutzlosigkeit. Ich erklärte dem akademischen Senat, und dem Hofe – welchem leztern ich jedoch alle Gerechtigkeit wiederfahren laßen muß – daß ich es unter der Würde des ehrlichen Mannes halte, an einem Orte zu leben, wo dergleichen Dinge geduldet würden, und ging aufs Land. Da ich indeßen völlige Satisfaction erhalten; da ferner diesen Sommer über die Sachen so arg geworden, daß sie so nicht länger bestehen konnten, und man mit Ernst anfängt Ordnung herzustellen, so werde ich zu Michaelis zurükgehen.
Machen Sie mir bald die Freude, Sie zu sehen. Leben Sie wohl; bleiben Sie der Freund
des Ihrigen
Fichte.
Herrn Referendar von Schön
zu
Tapiau.
Abzugeben zu Königsberg, auf dem Neu Markte,
in des Höker Müller Hause bei’m Herrn Referendar Göbel.
Metadata Concerning Header
  • Date: September 1795
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Theodor von Schön
  • Place of Dispatch: Oßmannstedt · ·
  • Place of Destination: Tapiau ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 403‒406.
Manuscript
  • Provider: Staatliches Archivlager Göttingen
Language
  • German

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