Single collated printed full text without registry labelling not including a registry

Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Ich muß kurz seyn. Es ist 11. Uhr. Um 12. Uhr will ich mich anziehen, denn ich bin bei Streibers in großer Gesellschaft zu Mittage. Zuerst von diesen. Ich machte [ihnen] heute vor 8. Tagen, nachdem ich erst den Pachter mit einigen Studenten zum Kaffee gehabt, die Visite. Der Geheime Rath Schmidt war da. Kaum war ich hineingetreten, so gefiel es seiner Frau, einer dummen Gans einen Ausfall auf die verderblichen Lehren zu thun, die den Studenten gegenwärtig von ihren Profeßoren beigebracht würden, u. s. f. Obgleich ich jezt sehr artig bin, wie Du weist, war ich doch im Begriff sie abzustrafen, als ihr Mann mit vieler Klugheit die Sache ausparierte. Ich faßte mich dann auch; hatte aber eine halbe Stunde darauf Gelegenheit, zu jedermanns, und selbst zu der Dame großem Vergnügen, meine Satisfaktion zu nehmen. Es schien, daß Schmidt, der schon vorher gut genug von mir gedacht, sehr über mich erbaut war. Er läßt Dich, u. Vater angelegentlich grüßen, wünscht euch, besonders den leztern, noch zu sehen, hoft nach Jena zu kommen, u. s. f. Ich werde heute ihn warscheinlich bei Streibers, u. die Koppenfels gewiß finden. – Es wäre sehr gut, wenn Du der Streiberin schriebest. Ganz so gefällt sie mir nicht mehr, als sie mir das erstemal gefallen! Ihr armen Weiber! Sie sagte das leztemal manche Sottise[.]
Reinhold – Du wolltest das Resultat seines Briefs wißen – ist verliebt [/] in mich, giebt sein System auf, u. nimmt das meinige an; schreibt, daß er auf meine u. Baggesens Schilderung Deinem Vater mit den Gesinnungen eines Sohns, Dir mit denen eines Bruders ergeben sey, und läßt sich u. die Seinigen euch in diesen Gesinnungen empfehlen.
Ein Profeßor aus Würzburg, Reuß, der ehemals zu Kant die Reise gemacht, um ihn zu verstehen, ist in der gleichen Absicht auf der Reise zu mir. Er wird den 30sten eintreffen. Er wollte zu Weimar Quartier nehmen, u. alle Tage zu mir heraus kommen. Ich habe ihn zu mir eingeladen; aber ihm eine nur zu wahre Beschreibung von meiner Haushaltung gemacht, daß er denn wohl in Weimar bleiben wird. – Er schreibt mir viel schönes vom Coadjutor zu Erfurt, Dalberg. Dieser Mann ist mir um seiner Verbindungen mit dem Herzog Willen wichtig. –
Von Reinholds Brief, (daß er nemlich sein System gegen das Meinige aufgiebt,) und von des Prof. Reuß Reise sage Du niemandem Nichts. NB. gar keinem. Was zu meiner Ehre gereicht, muß nicht durch mich auskommen.
Aber was soll ich sagen zu den erhaltnen Briefen. Zuförderst zu dem Lavaterschen? Glaubst Du es nun, daß wir mit Canaillen, u. Schurken umgeben sind? Ich weiß nicht, wie lange meine Geduld das aushalten wird. – Dann zu dem Troschelschen! Also, [/] man fängt wirklich meine Briefe auf.? (NB. der Reinholdsche ist auch vom 9ten August, u. den 24sten 7br erhalte ich ihn!) Der an Troschel enthielt freilich einige derbe Wahrheiten. Ich fange jezt an zu glauben, daß man auch verschiedne andere aufgefangen hat, auf die ich keine Antwort erhalten. Die Bosheit geht weit, und ich werde mir Recht zu verschaffen suchen.
Woltmann laße ich herzlich grüßen, u. ihm danken. – Aber, was soll ich mit 10. Conventionsthalern anfangen? Sie mögen dem guten Jungen sauer geworden seyn aufzutreiben, u. mir – helfen sie sehr wenig. – Mein Bruder mag nichts weniger erwarten, als den Antrag, den ich ihm zu thun habe: aber was kann es helfen?
Ich möchte ohngefähr künftigen Sonnabend in Jena einziehen. Doch bis dahin sollst Du von mir Nachricht haben.
Ich bedaure den guten, würdigen lieben Vater. Lindere Gott die Leiden des Guten.
Ich wünschte doch nicht, daß Du so ganz in die Gewohnheit kämst, meine Briefe zu eröfnen; Du liebe, theure Seele. Es ist nicht um der Sache Willen, denn ich habe vor Dir keine Geheimniße: aber Du Liebe nährst dadurch eine kleine Schwäche, die, so klein sie ist, Du dennoch nicht zu haben verdientest.
Laß doch den Herrn aus Siebenbürgen kommen, – Phleps, u. sage ihm: ich hätte um Perret nach Zürich geschrieben, könnte aber nichts von ihm erfahren. Er sey seit langem nicht mehr dort, u. habe keine Nachricht von sich hinterlaßen. [/]
Der M<ere>auische Rath, und die Ausführung genügt mir gar nicht. Er ist gut für den ersten Anlauf; aber er schützt uns nicht gegen mögliche Verläumdungen, u. künftige Anforderungen. Warum nun nicht ein Testament machen? Warum um eine unangenehme halbe Stunde zu ersparen, lieber den künftigen grösten Verdruß risquiren? Ich sehe schon, daß ich selbst diese Sache in Ordnung werde bringen müßen; gebe nur Gott, daß es so lange Zeit hat.
Der Deine
Fichte
An Obereit viel Grüße: und ich hätte allerdings ersehen, daß er die 6 oder 7. Selbstdenker alle in eigner Person gespielt hätte: doch hätten mir die Anfragen zu unwichtig geschienen, als daß man sich seiner als Mittelperson bedient hätte, sie an mich zu bringen. Ich bliebe immer noch dabei, daß man Geduld haben müße, bis wenigstens ein beträchtlicher Theil des Ganzen zu übersehen sey; daß dann das Verständniß sich von selbst finden werde; und daß übrigens noch nicht Ein Buchstabe meines Systems so dargestellt sey, wie er bleiben solle.
Dem sey, wie ihm sey: nur darüber sey unter uns kein Streit, daß ich ihn achte, und liebe, und ganz sein Freund sey.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 27. September 1795
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Oßmannstedt · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 407‒409.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 129
Language
  • German

Weitere Infos ·