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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

So eben war ein Bote im Begriff mit eingeschloßnem Briefe abzugehn. Der junge Streiber kam zu mir: wir gingen spazieren, als uns der Bursche begegnete. Ich lese Deinen Brief: lese die ersten Nachrichten; lese die lezte. –
Ruhe sanft, gute Seele, nach der langen Arbeit; schlafe deinen Abend nach dem heißen Tage. Ist ein Gott – u. es ist Einer – so ist es nicht möglich, daß das Leben dieses Guten nun geschloßen, daß mit ihm nun alles aus sey. Gewiß, es geht ihm jezt wohl, in dem Du über ihn weinst, und in dem auch meine Augen Waßer machen. – Hätte ich ihn nur noch gesehen! Ich habe so fest gerechnet, daß Du es mir würdest zu wißen thun, wenn die Umstände bedenklich würden. Ich wäre gekommen; ich hätte mir die Satisfaktion nicht versagt, ihm noch Lebewohl zu sagen. Ach! ich spreche ihn nicht wieder! – Aber ich will Dich nicht quälen, Du Liebe; Du mir nun auf die Seele gelegte; Du, der ich nun seine Liebe dazu schuldig bin. Du arme, hast nun nur mich; aber ich will suchen, Dir alles zu seyn, Theure, Gute, Liebe.
Im Namen der Vernunft, werde, muß, will, ich Dir zurufen: erhalte Dich selbst. Was Du Dir da ausgedacht hast; Du hättest ihn nicht mit genug Sorgfalt gepflegt, ist erbärmlich. Du hast es bei Gott gethan.
Ich komme morgen hinein, um Dich zu sehen; um seinen erblaßten Leichnam noch zu sehen. Ich will Dich gewiß nicht quälen: aber sey so vernünftig, als es die Wehmuth Dir zuläßt..
Besorge den Auftrag wegen meines Bruders sogleich. Der Bursche muß diesen Abend noch zurük. Thue das an einem kranken, da Du dem Todten nicht mehr dienen kannst.
Sonderbar! gerade in den Minuten, da der Gute verschied, redete der Geh. Rath Schmidt von Dingen, die zu seiner Ehre gereichen; von seiner Grosmuth gegen Klopstok.
Lebwohl, Theure. Thue mir die Liebe, und betrübe Dich nicht, bis ich Dich sehe.
Morgen gegen 10. Uhr bin ich bei Dir. Gott sey mit Dir.
Mit dem Leichenbegängniß mache es, wie es Deinem Herzen am wohlsten thut. Ach das arme Herz! Leider gehn mir die Augen wieder über, nicht über ihn, sondern über Dich! Könnte ich doch gleich bei Dir seyn! Ich denke, das beste wäre, Du kämest morgen mit mir herüber. Doch, nicht mein weiser Rath, sondern die Sehnsucht Deines kranken Herzens werde erfüllt. Wir werden sehen.
Ganz, innig, ewig, der Deine, Du Liebe
Der Frau Profeßorin Fichte
zu
Jena.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 30. September 1795
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte
  • Place of Dispatch: Oßmannstedt · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 410‒411.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 130
Language
  • German

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