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Johann Gottlieb Fichte to Justus Christian Hennings

P. M.
Die Gründe, warum ich vorläufig in Verlegung meiner gewählten Stunden mich nicht fügen kann, sind folgende
1.) Es ist notorisch, daß die Verfügungen, auf die man sich beruft, längst nicht mehr beobachtet, und dadurch so gut als abgeschaft sind. Ich selbst habe im SommerhalbJahre 1794. theoretische Philosophie, was man damals Logik, und Metaphysik genannt haben würde, des Morgens von 6-7. Uhr, ohne jemandes Einspruch, gelehrt. Ich habe im WinterhalbJahre unter der Benennung Logik, und Metaphysik, eine populäre Propädevtik der ganzen Philosophie, in der Abendstunde von 6-7. Uhr gelesen: und der damalige Dekan H. Hofrath Ulrich, hat bei Seinem Einsprüche dagegen, den er nur als Privat=Botschaft eines einzelnen Lehrers aus einer andern Fakultät anbrachte, und auf den er selbst keine Wichtigkeit zu setzen schien, sich mit der mir selbst an die Hand gegebnen Antwort befriedigt; daß ich das, was mir Logik und Metaphysik sey, nemlich theoretische Wißenschaftslehre, ja wirklich von 3-4. Uhr lese; und ich bin seitdem darüber nicht mehr in Anspruch genommen worden. So hat auch mein Vorgänger, der Herr Rath Reinhold, seine Vorlesungen unter verschiednen Benennungen: Theorie des Vorstellungsvermögens, Aesthetik, Geschichte der Philosophie, u. s. f. in denselben Nachmittags= u. Abendstunden gehalten, in denen ich lese. Ich glaube daher im Besitz zu seyn, durch mich selbst, und durch den Leh[/]rer, deßen Stelle ich besitze, entweder überhaupt frei nach meiner und meiner Zuhörer Zuträglichkeit meine Stunden zu wählen, oder insbesondre die NachmittagsStunden zu brauchen, die ich angesezt habe.
2.) Paßt der Geist der Einrichtung, auf die man sich beruft, gar nicht auf meine Vorlesungen, und überhaupt auf den seit der Zeit ganz veränderten Gang der Wißenschaften. Das Naturrecht, über welches mit mir der Streit ist, ist nach der eignen Aeußerung des gegenwärtigen Herrn Dekans in die Stunde von 10-11. verlegt worden, in welcher unterdeßen für die Theologen Kirchengeschichte gelesen werden soll. Es leuchtet ein, daß man das NaturRecht als etwas ausschließend für Juristen gehöriges, als eine Propädevtik der positiven Rechtsgelehrtheit, betrachtet hat. Das von mir angekündigte Collegium betrachte ich als eine philosophische Wißenschaft, für Studierende aus allen Fakultäten, die sich des gründlichen Denkens befleißigen wollen. lene Propädevtik der positiven Rechtsgelahrtheit wird neben meinem Collegium wohl bestehen; und ich glaube gerade dadurch dem Geiste der Einrichtung Genüge zu thun, indem ich meine Vorlesung nicht in dieselbe Stunde verlege, in welcher jenes für den Juristen als ein HauptCollegium betrachtetes gelesen wird.
Ueberhaupt hat der gröste Theil meiner Zuhörer bestanden, und wird fortbestehen aus Studierenden, die die Philosophie zum Hauptstudium machen, wie ich erweisen kann. Mehrere, die mir als solche bekannt sind, haben schon seit einem Viertel=Jahre mich ersucht, mündlich und schriftlich, wie ich gleichfals erweisen könnte, gerade diese Stunde zu wählen, die ich gewählt habe. Es wird mir erlaubt seyn, nach den [/] Bedürfnißen dieser Studierenden, die ich gröstentheils entweder in Jena erhalte, oder sie dahin ziehe, mich zu richten; ich erwarte nicht, wünsche und hoffe nicht, und werde alles thun es zu verhindern, daß jemand ein Brodkollegium um der meinigen Willen versäume. Es ist nicht zu befürchten, daß die Philosophische Facultät selbst, die Unabhängigkeit, und Selbstständigkeit ihrer Wißenschaft stören, und sie in den Rang der bloßen HülfsWißenschaft für andere Fakultäten wieder herunter drängen werde, wo sie aufstrebt; und es ist eben so wenig zu befürchten, daß die Durchlauchtigen Erhalter der Gesammt=Universität Jena ihr dazu ihre Gewalt leihen werden.
3.). Es bedarf keiner Versicherung, daß ich, wenn die Durchlauchtigen Erhalter eine neue für alle Fakultäten, und alle Mitglieder derselben, verehrliche Einrichtung treffen, oder auch die alte ohne Rüksicht auf den veränderten Geist der Zeit erneuern sollten, mich derselben willig unterwerfen würde.
Bis nach Austrag der Sachen aber protestiere ich förmlich gegen alle Vorschritte z. B. Abreißen des [Anschlags], Störung in der Eröfnung und Fortsetzung meiner Vorlesungen, womit ich bedroht worden; und bitte mich darüber des fördersamsten sicher zu stellen, weil ich sonst, bei nahbevorstehender Eröfnung der Kollegien mich im Voraus an die Durchlauchtigen Erhalter wenden, und Sie bis zum Austrag der Sache um Schutz bitten müste.
Jena d. 10. Oktober 1795.
Johann Gottlieb Fichte
Phil. D. et Prof. P. Ord.
Sr. Spectabilität
dem Herrn Hofrath Hennings
d. Z. Dekan der philosophischen
Facultät zu Jena.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 10. Oktober 1795
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Justus Christian Hennings ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 417‒420.
Manuscript
  • Provider: Universitätsarchiv Jena
  • Classification Number: M 203. Bl. 41-42
Language
  • German

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