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Johann Gottlieb Fichte to Christian Gottlob Voigt

Die Arbeiten der angehenden Vorlesungen haben mich bis jezt verhindert Ihnen, Verehrungswürdigster Herr Geheimer Rath, für den thätigen, und schnellen Antheil, den Sie an meinem Streite mit der Philosoph. Facultät genommen, welcher denn auch seinen Zwek erreicht, zu danken; und Ihnen in Absicht jener Verteidigungsschrift zu sagen, daß ich alle Gründe, die ich hatte, sie bekannt zu machen, dem Winke Sr. Durchlaucht nachsetze; in der Hofnung, daß meine Denkart, und dieser neue Beweiß derselben zum Wohlgefallen gereichen möge, und daß man durch bezeigtes Zutrauen, jene Gerüchte, und den gegen mich erregten Verdacht, die ich dadurch widerlegen wollte, selbst recht kräftig, und vollgültig niederschlage.
Als ich diesen Entschluß faßte, glaubte ich keinesweges sogar bald von diesem gehofften Zutrauen Gebrauch machen zu müßen, als ich es jezt in der Angelegenheit meiner beiden Freunde, die Ihnen diesen Brief übergeben, Hrrn v. Berger, u. Hrrn. Hegekern, machen muß. Ich werde nie, und wäre es um meine eigne Freiheit, oder um mein eignes Leben, so dringend bitten, als ich für diese bitte; ich werde nie so entschloßen meine eigne Ehre, alle meine Ansprüche auf den Namen eines ehrlichen Mannes, alles Zutrauen, das ich noch bei meinen Mitbürgern verlange, zum Pfände einsetzen, als ich es bei dieser Gelegenheit thue.
Der Freund derselben v. Rosenkranz, deßen erste Bildung völlig ver[/]wahrlost worden, fühlt in Jena das Streben nach etwas höherm und größerm, schwächt sich ab durch die grösten Anstrengungen, die er der Natur zum Troz unternimmt, und wird in di[e]ser Lage in einem übereilten Augenblik zum Repräsentanten seiner Landsmannschaft wider seinen Willen, gemacht; wider seinen Willen gewählt, jene schändliche Bittschrift zu übergeben; sie hat die Folge, die sie haben muste; jezt geht ihm ein Licht auf, und die Alteration über das, was er gethan, ohne zu überlegen, bringt sein schon angegriffenes Nervensystem an die Grenze des Wahnsinns. Jener Tumult, und sein eingebildeter Antheil an demselben, wird ihm fixe Idee. In diesem Zustande legt er Hand an sich, sich zu ermorden. Er wird durch jene zwei Freunde erhalten; sie widmen ihm seit 3. Wochen ihre Tage, und Nächte. Sie werden ihre verfallne Gestalt selbst bemerken. Ich glaube, daß sie durch dieses Betragen Ehre, und Achtung, keinesweges aber Verdacht verdient haben. Durch den Verlust des Bluts ward die Gemüthskrankheit Rosenkranzens geschwächt, und man hoffte seine baldige gänzliche Genesung. Aber wie sein Körper gesünder ward, ward der Geist wieder schwächer; der Arme ist der Raserey nahe.
Verwandte deßeiben haben aus Kiel einen Wagen, und einen Arzt geschikt, um ihn abzuholen, und daselbst in beßere Pflege, und eine dem Insulaner angemeßenere Luft zu bringen. Gestern Abend aber erhalten die 3. Freunde Stadt=Arrest; der, unvorsichtig genug, dem Kranken persönlich angekündigt wird, und seine Einbildungskraft von neuem zerrüttet, so daß sein Zustand seitdem weit schlimmer ist. [/]
Sie werden bitten, daß man den armen Blödsinnigen wenigstens seines Arrestes entlaße, und ihm nach Kiel zu gehen verstatte: da es hier um MenschenLeben zu thun ist.
Sie selbst waren ohn[e]dies entschloßen, diesen Winter über in Jena zu bleiben, und werden über alles, was Sie, und ihren Freund betrift, richtige, und gründliche Auskunft geben. Aber, ich dürfte sagen, es ist Pflicht, ich will nur sagen, es ist verdiente Grosmuth sie so zu behandeln, daß auf ihren Ruf, den sie sich rein erhalten haben, kein Fleken falle. Berger hat früh das Ideal des Schönen und Guten sich vorgestekt. Ich bin überzeugt, daß man sein ganzes Leben in Jena streng durchsuchen könte, ohne einen Fleken darin zu finden. Ich kann im Vertrauen hinzusetzen, daß er der erste war, der mich selbst aufforderte, und begeisterte, etwas zur sittlichen Verbeßerung unsrer Studierenden zu thun.
Hegekern, ein Mann von gesezten Jahren, der schon längst seine Studien vollendet hatte, und Hofmeister war, wurde [durch] das unüberwindliche Streben, Einheit in sein Denken zu bringen, getrieben, alles zu verlaßen, und zuerst Reinhold, dann abermals mit wichtigen Aufopferungen, mich aufzusuchen. Er glaubt endlich diese Einheit gefunden zu haben; und nun sollte ihm so gelohnt werden? Ich kenne ihn, seit dem ich in Jena bin, durch Briefe. Er ist nach Ostern hieher gekommen; und ich weiß, wie er seine Zeit zugebracht hat.
Eben weil sie friedliche und ruhige Bürger sind, kennt die 3. Freunde niemand. Ich allein kenne sie, und es war Pflicht, Zeugniß für sie abzulegen. – Sie haben zu verlieren. Ein Arrest, besonders jetzo, schadet sicher, und es bleibt allemal etwas hängen. Verehrungswürdiger Mann, [/] ich lege sie, die mir durch Eifer für Wißenschaft, und Rechtschaffenheit an das Herz gelegt sind, an das Ihrige, als einen Depot, der uns nur gemeinschaftlich seyn kann, mit einem Feuer, und mit einem Zutrauen wie nie etwas.
Mit Vertrauen, und Verehrung
Ihr innigstergebner
Fichte.
Jena, d. 8. 9br 1795.
Metadata Concerning Header
  • Date: Sonntag, 8. November 1795
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Christian Gottlob Voigt ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Weimar · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 2: Briefe 1793‒1795. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1970, S. 426‒428.
Manuscript
  • Provider: Landesarchiv Thüringen - Hauptstaatsarchiv Weimar
  • Classification Number: A 8546, Blatt 41-42
Language
  • German

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