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Johann Gottlieb Fichte to Carl August Böttiger

d. 8. Jenner. 96 Abends.
Soeben erst habe ich den Reinholdschen Plan durchgelesen. Sie verlangen meine Meinung. Erlauben Sie mir aufrichtig zu seyn.
Die Punkte die Sie berühren, und noch so manche andere sind ganz willkührlich aufgestellt, und das Ganze ist wahre PopularPhilosophie. Das möchte seyn.
Aber
1.). Was ist denn nun das Ganze? Reinholds gegenwärtiges Glaubensbekenntniß, die Hefte seiner in Kiel gelesenen Moral, und NaturRechts vorgeritten auf dem Steken Pferde, das er dermahlen reitet, seinem gesunden Verstände? Und was sollen denn die Einverstandnen? Dieses Glaubensbekenntniß unterschreiben, als ein Symbol. Oder sehn Sie in dem ganzen etwas anderes, so sagen Sie mir’s.
2.). Das alles möchte seyn, und wäre verzeihlich. Aber §. 16. Wird das Rechtwollen, sowie allenthalben die Gesundheit des Verstandes, aufgestellt als Kriterium des Rechtdenkens u.s.f.
Welches ist denn das rechte Wollen, und wie ist es denn zu bestimmen, ohne das Denken? Vermuthlich also ist es, sowie die Normal=Gesundheit des Verstandes schon gefunden, und soll alles, worüber man künftig denken darf, und was man darüber denken darf, bestimmen[.]
Wenn der Großinquisitor so folgert: Was nicht auf das Rechtwollen führt, ist ein unrichtiges Denken pp. Nun besteht das rechte Wollen darin, daß man dem Pabste, und der Kirche stets gehorchen wolle, Mithin pp. argumentirt er dann anders?
Dieser Geist herrscht durch die ganze Schrift. [/]
Soll er bleiben, so ist es die Pflicht jedes Biedermanns, eine unerläßliche Pflicht, seine Stimme laut zu erheben.
3.). Wir sollen unterschreiben dieses Symbol. Wenn wir aber nun dieses etwa nicht könnten, hat denn der Bund sonst noch einen Zwek? Wir sollen moralisch werden, unsre Kenntnisse auf Moralität beziehen, u.s.f. Das sollen wir, und thun wir, wenn wir etwas taugen, ohne allen Bund. – Wir sollen nur den andern es erklären, damit sie es wißen? Was sind sie denn dadurch gebessert. Wenn wir unmoralisch sind, so lügen wir; nur wenn wir moralisch sind, ist uns zu trauen. Mithin müssen sie das, was sie durch uns erfahren sollen, schon wissen, um es nur erfahren zu können. Was ist eine Absurdität, wenn dies nicht Eine ist.?
Ich betrachte die Schrift nicht als philosophische Schrift, denn in dieser Rüksicht hat sie manches sehr gute; sondern als Entwurf eines Bundes. Und darin hat sie die Mängel, daß 1.). der angezeigte Zwek lächerlich, und gemeinschädlich ist 2.). daß, wenn dieser wegfällt, wie er denn wegfallen muß, kein andrer angegeben ist.
Für den Zwek der Befestigung der öffentlichen Ueberzeugung wären in unsern Tagen ganz andre Dinge zu thun, und diese Schrift enthält darüber, nur unbenuzte Winke. Diese müsten bestimmt werden, wenn die Gesellschaft eine Gesellschaft seyn soll. [/]
Ich werde mich darüber weitläuftiger, u. bestimmter erklären. Haben Sie noch nichts gethan, und wollen Sie mit mir gemeinschaftlich handeln, so lassen Sie uns noch eine kurze Zeit warten.
Reinhold will das gute; das weiß ich; aber über die gerühmte Gesundheit des Verstandes könnte Frage entstehen. Dazu ist er schwer zu belehren, und die Lehren, die hierhinn gegeben werden müßen, sind theils nicht schmeichelnd, theils betreffen sie das allerneueste SteckenPferd. Er giebt Ihnen jezt das ganze Bewußtseyn Preiß, wenn Sie ihm nur die Gesundheit d. V. lassen; und sollte nach Jahren etwa dieser ein Unfall begegnen, so – wer weiß, was es dann giebt. – . Aber – giebt es ausser Reinhold noch mehrere brave Leute, die gern thätig seyn möchten, so kann man ihnen sehr würdige Gegenstände anweisen, und dann wäre es sehr erwünscht, an diese sich anzuschliessen, und mit ihnen das, was ohnedies durch den Gang der Natur kommen wird, wenigstens zu beschleunigen. Ich rede immer von Befestigung, und Läuterung der öffentlichen Ueberzeugung.
Was soll ich der armen Mutter Tripplin zum Troste sagen? Sucht sie gegenwärtige Hilfe, oder Aussicht für die Zukunft? Das erstere anbelangend; wenn etwa Tripplin einen guten philosophischen Aufsaz hätte, so wollte ich suchen ihn im Niethammerischen Journal anzubringen. Das leztere betreffend. Haben Sie etwa Reinhold in Absicht seiner geschrieben? Ich wollte lieber, Sie thäten es. Doch werde ich es auch nächstens thun, denn ich habe es versprochen. Weiter weiß ich nichts und wie ungewiß ist nicht immer diese Aussicht!
Ganz der Ihrige
Fichte
Dem Herrn OberKonsistorialRath
Böttiger
Fr.
zu
Weimar
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 8. Januar 1796
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Carl August Böttiger ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Weimar · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 5‒7.
Manuscript
  • Provider: Germanisches Nationalmuseum
Language
  • German

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