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Johann Gottlieb Fichte to Friedrich August Wolf

Ich war schon längst ein inniger Verehrer von Wolfs Verdiensten, und der Weg, den er die Philologie führte, um sie zu einer getreuen Geschichte der Entwickelung, u. des Fortgangs des menschl. Geistes zu machen, besonders durch seine Untersuchungen über Homer, schien mir eine wahre Bereicherung für das Feld der Erkenntnisse. Ein Freund von mir u. Verehrer dieses grossen Mannes reißt zu ihm, und sagt es mir. Ich will dem Bedürfnisse meines Herzens, auch von meiner Seite ihm meine Hochachtung und Beifall zu bezeigen, bei dieser Gelegenheit [/] Luft machen. Aber wie soll er diese Achtungsbezeigung für aufrichtig erkennen, und mir ein Recht zuschreiben, ihn zu achten? Ich bin nicht Philolog von Profession; als Philosoph bin ich bekannt. Als Philosoph nur durfte ich die historische Entdeckung würdigen. Und da äusserte ich denn, daß auch mir auf meinem eignen Wege a priori eingeleuchtet habe, – nicht – denn dies wäre kindisch – daß die bestimmten Gesänge, die wir unter Homers Namen haben, nicht von Einem Verfasser herrühren – sondern daß es nicht in der ursprünglichen Natur des menschlichen Geistes liege, mit dem, was seit Aristoteles eine Epopee heißt, anzufangen; noch über haupt, ohne äussere Veranlassung, (den spätern Heldendichtern wurde die Meinung von Homers Gedicht diese Veranlassung) so etwas hervorzubringen: kurz, die Epopee ist nichts nothwendig im menschlichen Geiste gegründetes, (so wie etwa die Dichtkunst überhaupt), sondern etwas nur zufällig entstandenes. – – Ich habe zu einer andern Zeit gegen einen gelehrten Freund – wo ich nicht irre, war es gleichfals Herr Hülsen – geäussert, daß es mich innig freue, gewisse Behauptungen über die Zufälligkeit so vieler Dichtungsarten, welche, und deren Regeln man seit Aristoteles für nothwendig ausgiebt, die ich einst in einer wissenschaftlichen Aesthetik würde machen müssen, auch schon historisch durch Wolfs Untersuchungen bestätigt zu sehen.
Wie ich mich gefreut hatte, zu sehen, daß wirklich so wäre, wovon ich beweisen zu können glaubte, daß es so seyn müsse; eben so glaubte ich, würde es den Mann, der gefunden hatte, es sey so, freuen, zu hören, daß es so seyn müsse.
Ich kann nunmehr, nachdem meine Hofnung vereitelt ist, wohl gestehen, daß ich noch eine besondre Absicht durch diesen Gruß erreichen wollte. Ich nehme mir seit langem vor, die Aesthetik wissenschaftlich zu bearbeiten; diese Arbeit gehört zu meiner Aufgabe, und ich werde doch endlich an sie kommen müssen. Ich will – dachte ich schon längst, und redete bloß deswegen mit niemand davon, weil ich überhaupt nicht liebe von Dingen zu reden, die noch geschehen sollen – ich will meine Untersuchungen über den Weg, den die Kunst nehmen mußte, noch ehe ich sie öffentlich bekannt mache, dem Manne mittheilen, der am besten weiß, welchen Weg sie wirklich genommen hat; er kann durch seine Winke meine Speculation leiten, richten, vollständiger machen; er wird es aus Liebe für die Wissenschaft thun; und diese kann durch eine solche Vereinigung nicht anders als gewinnen. [/]
Ich muß hören, durch den Mund der feigen Schadenfreude hindurchgegangen, hören, daß der Mann, an den diese unbefangne, herzliche Hochachtungsbezeugung sich richtete, dadurch beleidigt worden; daß er darin eine Herabwürdigung des Verdienstes seiner geistreichen, tiefen, mühsamen Untersuchung zu finden geglaubt, als ob durch die Erkenntniß a priori die Untersuchung a posteriori überflüssig gemacht werden könnte, – ein naseweises Andrängen, und Zueignen fremder Verdienste, gefunden habe. Ich erschreke vor dem Bilde, das mir dadurch von mir selbst dargestellt wird. Kindische Unwissenheit über das Verhältniß der Wissenschaften zueinander, ärmliche u. feige Petulanz, die die erste beste Gelegenheit ergreift, um einem verdienten Mann hinterrüks einen Stich zu versetzen, dumme Aufgeblasenheit auf seine eigne Wissenschaft.
Ich kann mir hinterher wohl erklären, wie, bei den Begriffen, die über unsre Wissenschaft, und insbesondre über meine Person, im Umlaufe sind, ein solches Misverständniß möglich war: aber diejenigen, welche mich persönlich kennen, mögen beurtheilen, ob Ein Zug in jenem Bilde auf mich paßt, und der Mann selbst, der mich so verkannte, mag urtheilen, nach dem er die Sache im Zusammenhange übersehen kann, ob er mir Unrecht that.
Fichte
Metadata Concerning Header
  • Date: 1796
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Friedrich August Wolf ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Halle (Saale) · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 9‒11.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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