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Johann Gottlieb Fichte to Friedrich Heinrich Jacobi

Jena, den 26. April 1796.
Ihren Brief erhielt ich am Neujahrs=Morgen, als ich eben mit einem braven jungen Manne, der Sie einige Zeit vorher gesehen hatte, mit Graf Purgstall, von Ihnen sprach. Es mußte mir Muth und Kraft geben zum neuen Leben, wenn ein Mann, wie Sie, ein Mann, den ich für das schönste Bild der reinen Menschheit in unserm Zeitalter halte, mir sagt, daß er gut von mir denke. Ich wollte mir nicht erlauben, die Wonne, die Sie in mir erregt hatten, mit Ihnen zu theilen, bis ich etwas beilegen könnte zu meiner nähern Beurtheilung: darum wartete ich mit der Beantwortung Ihres Briefes, bis der Druck meines Naturrechts vollendet war.
Seitdem ist eine neue Ausgabe Ihres Woldemar erschienen, und ich besitze ein Exemplar desselben durch Ihre Güte. Ich hatte ihn in der ersten Ausgabe gelesen. Lag es an meiner damaligen Stimmung (ich trieb eben ein sehr scholastisches Geschäft), oder hat das Werk durch die zweite Ausgabe wirklich so beträchtlich gewonnen – es befriedigte mich damals, wie Alles, was von Ihnen kommt, aber es zog mich nicht so allmächtig an, als es jetzt gethan hat.
Ja, theurer edler Mann, wir stimmen ganz überein; und diese Uebereinstimmung mit Ihnen beweist mir mehr als irgend etwas, daß ich auf dem rechten Wege bin. Auch Sie suchen alle Wahrheit da, wo ich sie suche, im innersten Heiligthum unsres eigenen Wesens. Nur fördern Sie den Geist als Geist, so sehr die menschliche Sprache es erlaubt, zu Tage: ich habe die Aufgabe, ihn in die Form des Systems aufzufassen, um ihn, statt jener Afterweisheit, in die Schule einzuführen. Was geht auf dem langen Wege vom Geist zum System nicht alles verloren! Sie gehen [/] gerade ein in den Mittelpunkt; ich habe es jetzt größtentheils mit den Elementen zu thun, und will nur erst den Weg ebnen. Es wäre also sehr möglich, daß Jeder andere, denn Sie, meine Uebereinstimmung mit Ihnen nicht [eben] so bemerkte, als sie mir selbst klar ist – Jeder andere, denn Sie, sage ich, denn Sie haben es an Spinoza gezeigt, daß Sie ein System von seinem künstlichen Apparat zu entkleiden und den Geist rein hinzustellen, daß Sie von den Theilen auf das Ganze, zu welchem sie gehören, fortzuschließen vermögen.
Ich bin viel jünger als Sie; ich stehe, besonders was die Vereinigung aller geistigen Talente [anbelangt], weit hinter Ihnen, aber durch Ziel und Endzweck glaube ich Ihre Freundschaft zu verdienen, und darum bitte ich Sie mit gutem Gewissen, mir dieselbe zu schenken und zu erhalten.
Ich wüßte gegenwärtig keinen angelegentlichern Wunsch in mir, als den, Sie persönlich zu kennen. Ich war nahe daran, ihn erfüllt zu sehen. Ich hatte mir vorgenommen, in diesen Osterferien eine Reise nach Hamburg zu machen, von wo aus ich Sie dann gewiß aufgesucht hätte. Eine nur vorübergehende Kränklichkeit meiner Frau, (welche, so wie viel andere würdige Frauen, eine sehr dankbare Verehrerin von Ihnen ist, um Ihres Woldemar und Ihres Allwill Willen), vereitelte den Plan. Wann, wo werde ich Sie sehen!
Ihr
innigst ergebener
Fichte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 26. April 1796
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Friedrich Heinrich Jacobi ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Eutin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 17‒18.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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