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Karl Leonhard Reinhold to Johann Gottlieb Fichte

Kiel den 21 May 1796
Ob ich Ihr Stillschweigen auf meinen Brief vom December vorigen Jahrs für Antwort nehmen soll wird mir Ihr Stillschweigen auf den gegenwärtigen sagen. Daß Sie jenen durch ein albernes Versehen an meinen Schwiegervater und dessen Addresse gelangten Brief erhalten haben, weiß ich durch Purgstall der Ihnen denselben gebracht hat. Ich bin in der Wissenschaftslehre etwas weiter vorgerückt, und fühle nun selbst wie ungereimt Ihnen jener Brief vorkommen muß, und wie unfähig der Schreiber desselben aller Zurechtweisung. O! ich habe selbst ähnliche Erfahrungen gemacht und weiß wie Einem dabey zu Muthe ist. Ich bin nicht ohne Hofnung, daß mir der Sommer mehr Gesundheit und damit auch Kraft geben wird in meinem Studium weiter zu kommen. Könnte ich Sie nur selbst hören, fragen, berathschlagen. Wie beneide ich [Ihre] Zuhörer – und jeden der sich nicht durch langes Zimmern und Bauen an einem Lehrgebäude in den Zustand versetzt hat, den ich beym Studium der W. L. nun so peinlich fühle. Durch meine Populäre Bearbeitung der sokratischen Lehre, und durch die Beschäftigung die Sie aus dem Ihnen vom Consistorialrath Bötticher übersendeten Entwurf kennen, hoffe ich daß mir mein spekulatives System fremder werden, und meine Empfänglichkeit für ein Neues gewinnen soll. Aber haben Sie auch jenen [/] Entwurf erhalten? Fast fürchte ich, ich habe vergessen das Ihnen bestimte Exemplar an Böttcher beyzulegen. Dieser hat mein Paket erhalten; aber das weiß ich nur durch Wieland dem er ein Exemplar abgegeben hat. Er selbst hat mir mit keiner Sylbe geantwortet. Und gleichwohl hat Er mich selbst um die Mittheilung des Aufsatzes, aus dem ich Ihm bey seiner Anwesenheit [in] Kiel vorgelesen habe, durch einen Brief ersucht. Lassen sie mich ein Wörtchen darüber wissen, wär’ es auch nur durch Paulus, der Ihnen ein Schreiben an Ihn über die nähere Absicht des Entwurfes mittheilen wird. Baggesen lebt seit drey Wochen auf dem Lande in einer sehr schönen Gegend 3 Stunden von hier. Um Johannis geht er nach Copenhagen um sein Amt daselbst anzutreten. Er hat den Winter über theils durch eigene Krankheit und Kränklichkeit, theils durch den Bluthusten seiner Frau nicht wenig gelitten.
Ich hoffe Ihnen diesen Sommer einen weniger abgeschmakten Brief über unsre gemeinschaftliche Angelegenheit schreiben zu können. Mit herzlicher Achtung und Ergebenheit
der Ihrige
Reinhold.
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 21. Mai 1796
  • Sender: Karl Leonhard Reinhold
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Kiel · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 19‒20.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 135
Language
  • German

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