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Johann Gottlieb Fichte to Johann Erich von Berger

Jena d. 11. October 1796.
Ihr freier, und froher Brief hat mir für Sie, und für die Sache der Vernunft und der Menschheit viel Freude gemacht. Zuförderst über Ihren Antheil an meinen Vaterfreuden. Ja, es ist mir ein Knabe geboren, der jetzt in die 13te Woche geht, gesund und fröhlich ist, und über sein Alter schon Antheil nimmt an der Freude, die er erregt. Ihr Antheil daran begegnet mir auf halbem Wege: denn Sie sind der Pathe dieses Knaben. Daß ich mir dazu erst jetzt Ihre Einwilligung erbitte, kömmt daher, weil ich früher nicht Zeit hatte, zu schreiben. Aber ich habe auf dieselbe so fest gerechnet, daß Sie schon seit dem 20. July in das hiesige Kirchenbuch eingeschrieben sind. Sie sind mein Freund, ich weiß es, und der Knabe kann auf Ihre Freundschaft rechnen, wenn ich nicht mehr seyn werde. – Die ausserwesentlichen Nachrichten, die ich dem Pathen schuldig bin. Er ist geboren den 18ten July, gegen 1 Uhr des Nachts, heißt Immanuel Hartmann; das erste, Sie wissen wohl nach Wem, das zweite nach meinem redlichen Schwiegervater. Ihre Mitpathen sind Hülsen, Smidt aus Bremen, und damit eine Frau dabey sey, die Hofpredigerinn Schulz in Königsberg, und ein Klopstock in Triest, als Onkel [/] meiner Frau[.] Und hiermit sey der Knabe an Ihr freundschaftliches Herz gelegt: und wenn Sie einst nach Deutschland und Jena zurückkommen, wird er Ihnen hoffentlich entgegen laufen können.
Ueber die philosophischen Ansichten, die Sie mir mittheilen,bin ich sehr einverstanden mit Ihnen. Der Aesthetische Geist, und der Philosophische, beide stehen auf dem transscendentalen Gesichtspunkte: der erstere, ohne es zu wissen, denn dieser Standpunkt ist ihm der natürliche, und er hat keinen andern, von welchem er ihn unterscheiden könnte; der letztere mit seinem Wissen; und dies ist der ganze Unterschied. Der letztere beweißt auch, daß ihr selbst es seyd, die ihr die Welt macht: der erstere erblickt sie nur so, wie sie durch uns gemacht wird. – Jedes Objekt hat zwei Ansichten. Theils ist es zu betrachten als Product der übrigen Welt, ist nicht, was alles übrige ist: und insofern erblickt ihr es nur begrenzt, zusammengedrückt, verzerrt. Diese Ansicht der Welt ist sehr unästhetisch. Theils ist es ein Product seiner eignen innern Kraft; dann seht ihr es in seiner Fülle, und in seinem Leben; und diese Ansicht ist die ästhetische. Aber woher kömmt denn die Kraft und das Leben in das Ding, ausser aus euch selbst. Je mehr Leben und Kraft, desto mehr Aesthetisches, und Philosophisches im Menschen. – Wenn etwa die erste Ansicht der Welt philosophisch heißt – das soll bei einigen Leuten der Fall seyn – dann sind ästhetischer Geist, und Philosophie allerdings Antipoden.
Mein Zürch kenne ich von innen und von aussen. Der Charakter seiner Bewohner ist ein wahres Product der bloßen Beschränkung, und man könnte dem ästhetischen Sinne Trotz bieten, ihn nach seiner Weise anzusehen.
Die gesunde und fröhliche Mutter Ihres Pathen empfiehlt sich Ihnen herzlich.
Ganz der Ihrige
Fichte.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 11. Oktober 1796
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johann Erich von Berger ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 36‒38.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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