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Karl Ludwig Pörschke to Johann Gottlieb Fichte

Königsberg den 14. März 1797.
Ihr gütiges Schreiben habe ich den 29sten Januar erhalten. Wäre ich so glücklich, Ihnen persönlich bekannt zu seyn, ich dürfte Ihnen nicht sagen, wie herzlich ich Ihnen für Ihren ehrenvollen Antrag danke, wie lange ich Sie Ihres ausgezeichneten philosophischen Geistes wegen verehre, daß mir Ihre vortrefflichen philosophischen Schriften ein Schatz sind, und daß ein Beifall von Ihnen mir den Beifall eines großen Publikums aufwiegt. Wenige haben so aufmerksam als ich Ihre Schriften gelesen, dankbar lernte ich vieles daraus, vieles war mir wie aus der Seele geschrieben, so daß ich zu der Klasse, zu welcher Ihr Geist gehöret, wenigstens auf eine entfernte Weise zu gehören scheine. Sie vertrauen gewiß dem Schutzgeiste der Philosophie, daß die vorzüglichsten Männer auf Ihrem Wege wandeln werden, und achten es nicht, wenn Ihre Schriften manchem prophetisch dunkel zu seyn scheinen. Ich freue mich über Ihren eigenthümlichen Weg in der Philosophie, auch darum, daß dem heillosen Geschrei der Kantianer gewehret wird, die ich für die frechste Rotte, (kaum die Dominikaner ausgenommen,) wegen ihres ganz verdummenden Nachbetens und ihrer Intoleranz gegen Andersredende halte. So ehrwürdig und lieb mir der Genius Kant, der beinahe der einzige Gelehrte, mit dem ich hier Umgang habe, ist, ein Mann, mit dem ich schon gegen 30 Jahre zu dieser Universität gehöre, dessen Redlichkeit vielleicht Niemand besser als ich kennet, und dessen Wahrhaftigkeit unübertreffbar ist, so sehr sind mir die Kantianer zuwider, unter welchen selten Jemand ist, der den großen Geist seines Meisters ahndet. [/] Kanten ist nichts so natürlich gewesen als ein großer Weltweiser zu seyn; von allen Menschenseelen fühlet er am wenigsten seine Größe, er ist gewiß ein Muster von bescheidenem Schriftsteller; oft höre ich ihn edelmüthig über seine Gegner urtheilen, nur müssen sie ihn nicht wie Mönche und persönlich angreifen, dann wird er bitter. Ihm selbst habe ich meinen Widerwillen gegen die Kantianer gewiesen, die eben so wie die meisten Christen sind, deren Vorgänger auch als ein herrlicher Mann dasteht. Ich bitte Sie, edler Mann, da Ihre Stimme so geehret und gefürchtet in Deutschland ist, helfen Sie doch die Philosophie von der Schmach der Beinamen retten, helfen Sie doch auch den Namen kritische Philosophie vertilgen. Wir haben ja eben so wenig eine kritische als eine euklidische und wolfische Mathematik; wir sollen ja Philosophie schlechtweg haben. Selbst die Klugheit verbietet uns in manchen Ländern den Philosophen einen Beinamen, der so gut als ein Brandzeichen ist, zu geben, denn es wird, wenn es so fortgehet, spätstens nach Kant’s Tode, eine Zeit kommen, da der Name kantischer und sogar kritischer Philosoph ein rother Mantel seyn wird, den eine gewisse tolle Büffelsart mit Füßen treten wird.
Sie haben mein Herz, durch die gütige Einladung zur Mitarbeit an Ihrem philosophischem Journale, gestärket. Ich danke Ihnen auf’s innigste für die Ehre, daß Sie mir das Geschäft eines Revisors des Naturrechtes, das mir über allen Ausdruck am Herzen lieget, auftragen. Längst hätte ich Ihnen schon geantwortet, wenn ich im Stande gewesen wäre, Ihnen eine entscheidende Antwort zu geben. Sie werden daher meine Langsamkeit nachsichtsvoll verzeihen. Noch habe ich den letzten Jahrgang des Journals, wo ich die Manier einer solchen Revision, was sie für ein Maas und Ziel haben mußte, nachsehen wollte, durch Herrn Nicolovius nicht erhalten. Bestellet habe ich es gleich nach dem Empfange Ihres Briefes, aber bei den hiesigen Buchhändlern muß man auf ein nöthiges Werk oft viele Monate warten. [/] Litte die Revision des Naturrechtes keinen längern Verzug, so muß ich freilich sogleich der Ehre, Revisor zu werden, entsagen; wenn es aber Zeit hätte, so wünsche ich erst die Revision der Logik ec. anzusehen, damit ich mich auch prüfen könne, ob ich einem solchen Geschäfte gewachsen bin.
Sie und einige andere Männer von Kopf und Herz, welche das Naturrecht mit Weltbürgersinn bearbeitet haben, betrachte ich als die Vertheidiger der Freiheit, des Kostbarsten der wirklichen Menschheit. Ich bin schon zu alt, um über Freiheit zu schwärmen; doch entsagte ich für sie gern allen bürgerlich fesselnden Genüssen des Lebens. Ich wünschte durch meine Vorbereitung ec. etwas für den Freiheitssinn zu thun; meine Schrift scheinet aber, ungeachtet der günstigen Recensionen, wenig bekannt geworden zu seyn. Ich gehöre zu keiner Partei, doch bin ich kein Dialektiker, obgleich ich wackere Männer von den entgegengesetztesten Meinungen hochachte; ich kenne wahrlich keinen meiner Recensenten, habe auch nicht erwartet, mit solchem Wohlwollen aufgenommen zu werden, wundere mich fast über die Recension in der Allgemeinen deutschen Bibliothek, wo ich ein ganz anderes Urtheil über mich besorgte. Meine Vorbereitung ec. hätten mehrere gelesen, wenn die Allg. Litt.-Zeit. sie aus einem [vortheilhaftern] Gesichtspunkte angesehen hätte, als die Ausführung des Thema, daß die Anmaßungen der Regenten, den Bürger geschickt, klug, religiös und moralisch zu machen, der schrecklichste Grund der Despotie, und der Ungeschicklichkeit, Unklugheit, Gottlosigkeit und aller Ehrlosigkeit ist, und daß jeder, ohne seinen Platz zu verlassen, Schöpfer einer bessern Bürger= und Menschenwelt werden könne. Wäre mein Buch hauptsächlich als ein Werk des Herzens und der Freiheitsliebe betrachtet worden, hätte es in der A. L. Z. einen Recensenten von Ihrem eminenten Kopfe und Herzen erhalten, ich würde jetzt der Welt etwas nützlicher seyn. Mir ist es gewiß nicht um Celebrität, sondern um die Ausbreitung des Freiheitsgeistes zu thun. [/]
Ich empfehle meine Schriftsteller=Produkte Ihrem Schutze, wenn sie zur Beförderung des Wahren und Guten etwas beitragen. Bald schreibe ich Ihnen wieder. Versichern Sie sich von der innigen Verehrung
Ihres
ganz ergebensten
Pörschke.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 14. März 1797
  • Sender: Karl Ludwig Pörschke
  • Recipient: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Place of Dispatch: Königsberg · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 53‒55.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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