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Johann Gottlieb Fichte to Karl Leonhard Reinhold

Jena den 4. Juli 1797.
Ich nehme, was Sie über „meine Freundlichkeit und Nachsicht mit Ihren Aeußerungen, als eines zwar gelehrigen aber noch sehr ungelehrten Schülers“ sagen, nicht für Satire, weil ich unmöglich glauben kann, daß Sie, mein verehrtester Freund, mir meine natürliche Art zu seyn und mich zu erklären übel nehmen sollten.
Ich wünschte, daß Sie weniger Werth in meine Bearbeitung der W.L. setzten und weniger Zeit auf das Studium derselben verwendeten. Was an der Hauptsache ist, weiß ich wohl; aber hat man sich dieser bemächtigt, so hilft man sich durch sich selbst weit besser, als durch diese sehr unreife Darstellung. Wie weit klärer sehe ich jetzt in dieser Wissenschaft! Mein Naturrecht ist ohne Zweifel besser.
Wenn Sie aus Ihrem bisherigen Systeme den gegebenen Stoff weglassen, so erhält es eine ganz andere Bedeutung, und Alles, was Sie darin sagen, steht auf einem ganz andern Gesichtspunkte, aus dem es Wahrheit ist. Es kann Niemand sehnlicher wünschen als ich, daß Sie mein neues an Ihre ehemalige Vorstellungsart anknüpfen; auch darum mit, weil Sie, wie Sie sehr richtig bemerken, nur dadurch recht fähig sind, die W.L. Andern verständlich zu machen.
Es wird so eben eine Abhandlung von mir für das 4te Heft unsers Journals abgedruckt, in welcher ich mich über Mehreres, was Ihr Brief enthält, nach Ihren Aeußerungen in den vermischten Abhandlungen 2. Th. erkläre. Es hat mir geschienen, als ob Sie wirklich an die entgegengesetzte Klippe, von der Sie in Ihrem Briefe sprechen, gerathen könnten, eine Klippe, an der Beck wirklich scheitert, indem Sie das Setzen des Nicht=Ich in der Wissenschaftslehre wohl zu absolut nehmen. Ich habe in dieser Abhandlung, die wohl bald nach dem Briefe bei Ihnen ankommen wird, [/] diesen Punkt klärer zu machen gesucht, als ich es bisher im Drucke gethan habe.
Ebendaselbst habe ich mich auch über das Verhältniß der Kantischen Philosophie zu meinem Systeme erklärt. Was Sie in Ihrem Briefe über den Unterschied des wissenschaftlichen Vernunftgebrauchs und des blos natürlichen bei Kant sagen, scheint mir vortrefflich bemerkt, und ich bin darüber mit Ihnen einig. Beck scheint in dieser Hinsicht höher zu stehen als Kant, wiewohl er in materieller Rücksicht viel tiefer steht. Daß es um das ursprüngliche Vorstellen zu thun sey, hat sich Kant wohl nicht deutlich gedacht, weil er überhaupt zu wenig über sein Philosophiren selbst philosophirt zu haben scheint, aber er hat es in der Erörterung desselben gerade so weit gebracht, als die W.L. Hier ist nun der Punkt, worüber wir gegenwärtig noch uneins sind, und worüber ich nach der Lösung jenes Aufsatzes Ihre weitern Gedanken mir ausbitte. Daß Kant’s ausdrückliche Behauptungen der W.L. widersprechen, ihr gar durchgängig widersprechen, glaube ich nicht. Der Widerspruch, in den Kant sich dadurch mit sich selbst versetzt hätte, ist sehr arg: und er ist von jedem Standpunkte aus in die Augen springend. Daß er sich die Frage über den Ursprung der äußern Empfindung nicht bestimmt vorgelegt, mag seyn – wiewohl ich allenfalls, besonders in der Einleitung zur Kritik der Urtheilskraft, die Antwort darauf nachzuweisen mir getraute. – Jedoch, dies sei wahr, so hat er dabei gar nichts gedacht; sie unter die absolut unbeantwortbaren geworfen. Wenn er aber diesen Ursprung in etwas an sich vom Ich Verschiedenes nur durch die leiseste Andeutung gesetzt hätte, so hätte er darüber allerdings Etwas gedacht, und dies ist sonach etwas ganz Anderes. Dies halte ich nun für unmöglich, dem ganzen Kantischen System in allen seinen Punkten und den hundertmal wiederholten klaren Aussprüchen Kant’s widersprechend. Indem Sie dies lesen, mögen Sie vielleicht unwillig werden; vielleicht bei sich sagen: Hat denn dieser Fichte auch nicht einmal [/] den Anfang der Kritik der reinen Vernunft, nicht die ersten Perioden der Einleitung, nicht §. 8 der transcendentalen Aesthetik gelesen? Haben Sie Geduld bis auf meine Abhandlung. Ich erkläre daselbst diese Stellen.
Kant nicht verstanden zu haben, ist in meinem Munde wahrlich kein Vorwurf; denn ich halte – und ich will dies so laut sagen, als es begehrt wird – seine Schriften für absolut unverständlich für den, der nicht schon weiß, was darin stehen kann. Kant’s Verdienste als Denker thut dies keinen Abbruch; als Lehrer – behält er dann freilich nicht das Geringste. – (So hat auch Jacobi, auf den ich in jener Abhandlung mich berufe, sie von der andern Seite unrichtig verstanden, indem er sie von der einen sehr wohl verstand; den empirischen Realismus verkannt, indem er den transcendentalen Idealismus wohl faßte.)
In Beziehung auf das, was Sie auf Veranlassung meiner Annalen des Ph. Tons über meinen Ton sagen – haben Sie Gründe gegen meine Gründe, so bitte ich Sie, mir dieselben mitzutheilen, und seyen Sie der aufmerksamsten und gewissenhaftesten Ueberlegung [/] derselben, versichert ([Sie] mögen dieselben in einem Privat=Briefe, oder in einer öffentl. Schrift mittheilen) meines offenen Geständnisses, daß ich unrecht habe, und meiner Besserung versichert. Diejenigen, welche sich mündlich mit mir über meine Philosophie unterhalten, meine Zuhörer, und andere – klagen sicherlich nicht über Ungeduld und Härte. So werde ich mit Leuten, die ich für wahrheitsliebend halten kann, auch öffentlich umgehen: bis jezt habe ich es mit Leuten zu thun gehabt, die aufgeblasen sind, sich für Meister halten, indeß Sie bedürfen, daß man sie die ersten Buchstaben lehre, und die mich unwürdig behandelt haben.
„Nichts was nur durch die W.L. ausgemacht ist, sollte zur Erörterung ihrer Ansicht gebraucht werden“. Ja wohl: und die Klagen, die Sie in derselben Rüksicht in Ihren vermischten Aufsätzen über die nachbetenden Kantianer führen, sind sehr gerecht. – Aber die W.L. hat eben keine eigenthümliche Terminologie, und ich suche mich beständig des gemeinschriftstellerischen Sprachgebrauchs zu bedienen. – Was ist denn nur durch die W.L. ausgemacht? Seiner Freiheit (Ichheit u. Selbständigkeit) sich bewußt zu seyn, wird in ihr, als jedem rechten Menschen natürlich zukommend, vorausge[/]sezt; und wer dies nicht hat, noch kann, dem ist durch kein Mittel zu helfen. Als einzig möglicher wissenschaftl. Standpunkt wird es freilich erst durch die W.L. erwiesen; aber ich muthe auch keinem an, dies vor derselben voraus zuzugestehen; sondern es nur vorläufig problematisch anzunehmen, und zu versuchen, wie es gehen wird. Ich liebe die freien Denker, wie Leibniz, Lessing, Kant, die nicht erst fragen, was sie gewinnen werden; sondern sich auf einen eigenthümlichen Weg einlassen, gesezt auch, sie hätten zulezt nichts weiter <daran> als die Uebung ihrer Kräfte. Die andern, die bedächtiger sind, auf diesen Weg zu bringen, sind, denke ich, zwei Mittel: entweder, daß man ihnen historisch nachweise: alle Wege sind versucht, und keiner führte zum Ziele: noch ist dieser Eine übrig, ist die Erreichung des Ziels möglich, so ist sie es nur auf ihm: – diesen Beweiß zu führen, ist, wie ich glaube, ganz eigentlich Ihr Geschäft, und Sie werden es, wie ich hoffe, vortreflich ausführen – oder, man macht ihnen angst und bange in ihrem Gebäude, reis’t ein Stük nach dem andern weg, daß sie unter freiem Himmel jämmerlich dastehen. Zu dem leztern habe ich am meisten Trieb, und Lust. Sie werden dann schon genöthigt werden, dasz anderwärts für sie zubereitete Obdach zu suchen. [/]
Der Aufsaz, auf den Sie Rüksicht nehmen, geht überdies besonders den Rec. an, und dekt ihm Fehler gegen die allgemeine Logik auf. Das einzige, worauf Ihre Bemerkung sich beziehen könnte, ist das, was ich den Spaßvögeln über die Bedeutung der Ausdrücke a priori, u. a posteriori sage. Dies soll sie nun keinesweges positiv belehren; diese Belehrung wird sich anderwärts finden, und hat sich schon gefunden (z. B. in demselben Hefte im ersten Aufsatze) sondern es soll ihnen nur zeigen, daß sie bisher darüber nichts wußten, und nichts verstanden, und sich selbst widersprachen: und dazu, sollte ich denken, reicht das Gesagte hin.
Ihre aphoristische Darstellung der Rechtslehre (vermischte Abhandlungen) hat mir sehr grosse Freude gemacht; durch ihre Klarheit, und scharfe Bestimmtheit. Die beiden Punkte, an denen Sie in meiner Rechtstheorie Anstoß nehmen, sind mir so ausgemacht, als irgend ein Philosophischer Saz. Die Trennung der Gewalten kann glaube ich, gar nicht bestimmt gedacht werden: sie wird immer nur so im Bausch u. Bogen gedacht. Bei dem Ephorate sehe ich gar keine Schwierigkeit, wenn dasselbe nur in die ganze von mir beschriebne, und noch zu beschreibende Verfassung hineingedacht wird; und man nicht glaubt, daß unsere fehlerhaften Verfassungen auf einmal durch einen Sprung verbessert werden sollen. (Dies muß allmählich geschehen; und die Regel dieses Fortschritts wird nach mir [/] in einer ganz andern Wissenschaft, der Politik, angegeben, die ich wohl einmahl zu bearbeiten gedenke.[)] – Die Form des Staats halte ich keinesweges für eine Idee, sondern für einen vollkommen bestimmbaren Begriff; den ich auch wirklich in meinem N. R. bestimmt zu haben glaube. Idee ist, und wird bleiben, solange die Vft. endlicher Wesen endlich ist, und nicht der Unendliche selbst herabsteigt, und in unsren Streitigkeiten richtet, die Materie des Staats; die wirkliche Herrschaft reiner Gerechtigkeit. In dieser Rüksicht gebe ich nun gern zu, daß auch die unter ihren Ephoren versammelte Nation etwa einen materialiter ungerechten Spruch thun könne, weil sie irren kann; aber ich behaupte, daß nur sie das (formale) Recht hat,wenn es sich etwa so fügt, (materialiter) ungerecht zu seyn, d. h. nur sie und schlechthin kein Einzelner das Recht hat, ihre Entscheidung der Entscheidung der reinen Vft, die man nicht haben kann, gleich zu setzen, und es darauf hin zu wagen: darum, weil sie das höchste auf Erden ist, und eigentlich niemanden unrecht thut, als sich selbst, also ihr eignes Recht aufgiebt, wozu jeder das Recht hat. – Es ist hier gar nicht von Nutz, oder Schade, nicht vom Erfolge, sondern vom strengen Rechte der Nation die Rede. Es kann seyn, daß Schwierigkeit, und unrichtige Ansicht dadurch veranlaßt werden, daß ich dies nicht entschieden gesagt habe (ohnerachtet es S. 224. deutlich genug insinuirt wird.) Im zweiten Theile, dessen Abdruk nächstens angefangen wird, werde ich es thun. [/]
Noch Eins. – Auf Ihren Vorschlag zur Vereinigung pp. bin ich Ihnen noch immer die Antwort schuldig, und bleibe auch für diesesmal die bestimmte Antwort noch schuldig. – Ich war über die Idee überhaupt sehr erfreut, nicht aber über die nähere Bestimmung derselben; hoffte, daß wir in unsrer Denkart einander etwas näher rüken würden, und wollte die bestimmte Erklärung solange mir vorbehalten. Jezt ist vielleicht dieser Zeitpunkt.
Ich meine, Lieber, daß man sich nicht zum Glauben vereinigen müsse, sondern zum Handeln, und zwar zu einem genau bestimmten Handeln. Nur der äussere Zwek bindet. Eine Gesellschaft ohne ihn ist eigentlich keine.
Nun fehlt es jezt warlich nicht an Zweken, die des Bestrebens der Biedermänner würdig wären. – Ich denke nicht auf unmittelbare politische Wirksamkeit; diese würde glaube ich schaden. Der Gelehrte hat mittelbar zu wirken. – Die Litteratur ist das schändlichste Gewerbe geworden; der Buchhandel eine <Nürnberger> Bude. Ein toller Luxus entnervt selbst unsre bessern Schriftsteller, und macht sie abhängig. Die Wissenschaft ist in grösserer Gefahr, als sie je war; und die Geistesfreiheit wird sich, ohnerachtet des Blödsinns der dagegen verschwornen Mächtigen, leicht unterdrüken lassen, weil die Gelehrten – so gar wenig taugen. [/]
Aber gerade um dieses allgemeinen Taumels, Blödsinns, und dieser Schwäche Willen, würde die planmässige, und berechnete Gegenwirkung einiger wenigen einverstandnen Biedermänner eine entschiedne Uebermacht haben.
Gefällt Ihnen diese Idee, so haben Sie die Güte mir darüber zu schreiben; und ich bilde dann meine Gedanken weiter aus. Es würde dabei nicht auf die Anzahl, sondern auf die Energie der Einverstandnen ankommen. Hier z. B. kenne ich nur Paulus, von welchem sich etwas versprechen liesse. Nichts würde uns nachtheiliger werden, als Eitle, die alles nur um des Geräusches Willen thun.
Möchte es doch möglich seyn, daß wir uns, sowohl über diesen Gegenstand, als über hundert andre, mündlich besprechen könnten!
Ich empfehle mich Ihrer Liebe, und Wohlwollen: mit innigster Werthschätzung, u. Ergebenheit
Der Ihrige
Fichte
Verzeihen Sie das schlechte Schreiben. Es ist mir nichts zeitfressender, als die Bemühung, besser zu schreiben, und dies entfernt mich fast von allem Briefwechsel.
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 4. Juli 1797
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Karl Leonhard Reinhold
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Kiel · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 3: Briefe 1796‒1799. Hg. v. Hans Gliwitzky und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Peter K. Schneider und Manfred Zahn. Stuttgart 1972, S. 68‒73.
Manuscript
  • Provider: Goethe- und Schiller-Archiv
Language
  • German

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